Die Vorstandsmitglieder der HSH Nordbank wurden freigesprochen

Unwissenheit schützt vor Strafe

In Hamburg stand erstmals der gesamte ehemalige Vorstand einer Bank wegen des Vorwurfs der Untreue vor Gericht. Nun wurden Dirk Jens Nonnenmacher, der frühere Vorstandsvorsitzende der HSH Nordbank, und alle Mitangeklagten freigesprochen.

Das erste Zeichen hatte Dirk Jens Nonnenmacher gleich zu Prozessbeginn im Juli vorigen Jahres gesetzt. Gänzlich ungegelt erschien der ehemalige Vorstandsvorsitzende der HSH Nordbank, dessen Verbrauch von Haargel zumindest nördlich der Alpen als einzigartig galt und ihn zur Symbolfigur für das Klischee eines Bankers machte, vor dem Landgericht Hamburg. Mit ihm standen fünf weitere frühere Mitglieder des Vorstands vor Gericht, die Staatsanwaltschaft warf ihnen gemeinschaftlich begangene Untreue in einem besonders schweren Fall vor, zwei von ihnen waren zudem wegen Bilanzfälschung angeklagt. Fast genau ein Jahr später endete nun das Verfahren mit Freisprüchen für alle Angeklagten. Die Pflichtverletzungen seien »nicht gewichtig genug« gewesen, teilte das Gericht in seiner Urteilsbegründung mit. Auch wenn die Staatsanwaltschaft ankündigte, in Revision zu gehen, endet damit ein weiterer Prozess gegen eine Gruppe von Bankern vorerst mit einem Freispruch.

Gegenstand des Prozesses gegen die ehemaligen Manager der Landesbank, deren Haupteigentümer die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein sind, war ein Kreislaufgeschäft, das unter dem Namen »Omega 55« bekannt geworden war. 2007 war es von Nonnenmachers Vorgänger, Hans Berger, der ebenfalls mitangeklagt war, autorisiert worden. Nach dessen Rücktritt wurde es von »Dr. No«, wie Nonnenmacher bankintern genannt wurde, weitergeführt. Hinter dem Namen »Omega 55« verbirgt sich ein kompliziertes Bankgeschäft zwischen der HSH Nordbank und der französischen Bank BNP Paribas, organisiert und durchgeführt wurde der Deal von der HSH-Niederlassung in London. Aufmerksam geworden waren die Ermittler auf »Omega 55« und die damit einhergehenden Um- und Falschbuchungen in den Bilanzen der Bank durch Hinweise von Mitarbeitern der HSH Nordbank, die selbst die Orientierung im komplexen Transaktionssystem verloren hatten.
So unübersichtlich die Transaktionen gewesen sein mögen, so einfach war die Idee des aus zwei Teilen bestehenden »Omega 55«-Geschäfts. Die HSH Nordbank übertrug risikoreiche Immobilienkredite in Höhe von rund zwei Milliarden Euro an die französische Bank BNP Paribas und zahlte dafür eine Art Versicherungsprämie. Hätte sie die Immobilienkredite behalten, hätte sie für das Geschäft 160 Millionen Euro Eigenkapital vorhalten müssen, so aber konnte die HSH Nordbank ihre Bilanzen entlasten. Die Immobilienkredite landeten in der eigens gegründeten Zweckgesellschaft »Omega Capital Funding 55« in Dublin. Die Staatsanwaltschaft sah darin den Versuch, die Bilanz »aufzuhübschen«, um den für 2008 geplanten, letztlich aber nicht erfolgten Börsengang der HSH Nordbank besser vorbereiten zu können. Bei diesem Teil des Deals entstanden noch keine Verluste, im weiteren Verlauf dieses Überkreuzgeschäfts hingegen schon. »Omega 55« sah vor, dass die BNP Paribas in die Zweckgesellschaft ein Portfolio der berüchtigten »Collateralized Debt Obligations« (CDO) über 820 Millionen Euro einbringen konnte, für das beide Bankinstitute mit etwa der Hälfte hafteten. In dem Anleihepaket fanden sich isländische Staatsanleihen und Zertifikate der US-Bank Lehman Brothers, die Papiere verloren im Zuge der Finanzkrise stark an Wert, letztlich musste die norddeutsche Landesbank 145 Millionen Euro abschreiben.

Zwar wirkt dieser Verlust im Verhältnis zu den 2,8 Milliarden Euro Verlust, den die HSH im Jahr 2008 machte oder angesichts der 13 Milliarden Euro, die Hamburg und Schleswig-Holstein 2009 für die Rettung der defizitären Landesbank zur Verfügung stellten, wie die sprichwörtlichen Peanuts. Im Prozess ging es jedoch vor allem um die Frage, ob bei »Omega 55« die Grenze zwischen einem riskanten Geschäft und Kredituntreue zum Schaden der HSH Nordbank überschritten wurde. Im Mai hielten die Ankläger ein mehrstündiges Plädoyer, sie forderten zwischen zehn und 22 Monaten Haft für die früheren Vorstandsmitglieder sowie Geldbußen – auch im Fall einer Verurteilung hätte man daher wohl eher von einer symbolischen Strafe sprechen müssen. Der Rest der Verluste war den Anklägern nach eingehender Prüfung schon kein Verfahren mehr wert gewesen. Das Gericht folgte jedoch der Argumentation der Verteidigung, deren Strategie – wie so oft in den Verfahren gegen Bankmanager in Folge der Finanzkrise – darauf fußte, ihre Mandanten für inkompetent zu erklären.

Eine Strategie, der sich auch Nonnenmacher von Anfang an verschrieb. »Eine falsche Bilanz ist keine gefälschte Bilanz«, hatte der frühere Professor für Mathematik 2010, als sich die Verdachtsmomente zu erhärten begannen, gegenüber der FAZ spitzfindig erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Vorstandsvorsitzender der HSH Nordbank, erst im März 2011 musste er gehen, nicht ohne eine Abfindung in Höhe von vier Millionen Euro. Auch bei den diversen Personalskandalen der Landesbank hatte er stets auf die eigene Unkenntnis oder Vorgänge hingewiesen (Jungle World 36/2010). Im Prozess vor dem Hamburger Landgericht sagte Nonnenmacher, der immerhin alle Transaktionen persönlich abgezeichnet hatte, er habe diesen »hochkomplexen Fall« kaum überblicken können. »In die Planung, Vorbereitung, Ausgestaltung, Umsetzung und Überwachung der Transaktion war ich persönlich zu keinem Zeitpunkt eingebunden«, erklärte er in seiner Einlassung Anfang September gegenüber dem Gericht. Der Wille dazu scheint allerdings auch kaum vorhanden gewesen zu sein.
Unterstützung erfuhr Nonnenmacher dabei nicht nur von den Mitangeklagten, die ähnlich lautende Aussagen machten, sondern auch von Martin van Gemmeren, dem damaligen Leiter des Risikomanagements der HSH Nordbank, der mittlerweile im Vorstand der Stadtsparkasse Düsseldorf sitzt. Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft zur HSH Nordbank teilte er mit, »Omega 55« sei einfach »in die falsche Box« einsortiert worden und dann in Vergessenheit geraten. »Als sie die Box mal aufgemacht haben, sahen sie, dass nicht mehr so viel drin ist«, erläuterte van Gemmeren mit beeindruckender Naivität. Noch simpler hatte das nur Schleswig-Holsteins frühere Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), die von 2003 bis 2005 Vorsitzende des Aufsichtsrats der Landesbank war, formuliert: »Wir waren besoffen.«
Immerhin waren die führenden Manager der HSH Nordbank damit nicht allein. Denn nicht nur sie hatten offenbar keine Ahnung, was sich in ihren Büchern verbarg. Süffisant konnte Nonnenmacher darauf verweisen, dass sich mehrfach Rechnungsprüfer, Juristen und auch die Aufsichtsbehörden mit »Omega 55« befasst hätten und es keinerlei Beanstandungen gegeben habe. »Es gibt wohl keinen Sachverhalt im deutschen Bankenbereich, der von so vielen sachkundigen Institutionen geprüft und unabhängig voneinander gewürdigt werden musste«, gab er im Gerichtssaal zu Protokoll. »Sämtliche Untersuchungen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass mir aktien- und zivilrechtlich keine Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind.« Ein Argument, das letztlich so stark war, dass sich auch das Gericht dem anschließen musste. »Dumm, gefährlich, skandalös, aber nicht verboten«, kommentierte das Manager-Magazin die allgemeine Desorientierung im Fall der Landesbank und deren teure Folgen.