Der Front National im französischen Senat

Liebling der Wahlleute

Zum ersten Mal sitzen zwei Politiker des Front National im französischen Senat. Auch auf europäischer Ebene könnte sich die Lage der Partei eindeutig verbessern.

Gibt es nun doch den Sieg statt nur den Trostpreis? Im Frühsommer war fraglich, ob es Marine Le Pen, der Parteivorsitzenden des rechtsextremen Front National (FN), oder dem britischen Rechtsnationalisten und Vorsitzenden der UK Independence Party (Ukip), Nigel Farage, gelingen würde, eine Fraktion im Europaparlament zu bilden. Die Frage stellt sich erneut, wie Ende vergangener Woche publik wurde.

Im Juni war zunächst Farage erfolgreich. Am 19. Juni hatte er die Bildung einer Fraktion unter dem vordergründig wohlklingenden Namen »Europe of Freedom and Direct Democracy« verkündet. Dieser gehörten 48 Abgeordnete aus insgesamt sieben Mitgliedsländern der Europäischen Union an. Damit lag die Parlamentariergruppe deutlich über der erforderlichen Mindestzahl von 25 Mandatsträgern, aber hart an der Grenze, was die Mindestzahl der beteiligten Nationalitäten betrifft. Denn die Geschäftsordnung des EU-Parlaments schreibt vor, dass Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten zusammenkommen müssen, um eine Fraktion bilden zu können, also Parlamentarier aus mindestens sieben EU-Ländern. Farage hatte dies geschafft, indem er neben dem populistischen italienischen Politclown Beppe Grillo und dessen Abgeordneten auch Parteien in seine Fraktion aufnahm, die zuvor mit Marine Le Pen und dem FN kooperiert hatten, wie etwa die rechtsextremen »Schwedendemokraten«.
Nun gerät diese Konstellation durcheinander. Denn wie am Donnerstag voriger Woche bekannt wurde, verlässt die einzige lettische Abgeordnete von »Europe of Freedom and Direct Democracy« nun die Fraktion. Es handelt sich um Iveta Grigule von der »Union der Grünen und der Bauern«, die kürzlich Ambitionen auf den Vorsitz der Parlamentsdelegation für die Beziehungen zu den Staaten Zentralasiens anmeldete, die in ihrer Mehrheit frühere Sowjetrepubliken wie Lettland sind. Ob darüber hinaus auch inhaltliche Differenzen für ihren Austritt verantwortlich waren, wurde nicht bekannt.
Le Pen macht sich nun ernsthafte Hoffnungen darauf, mehrere Verbündete unter ehemaligen Mitgliedern von Farages Fraktion zu finden. Neben den »Schwedendemokraten«, die sie zurückgewinnen möchte, setzt sie dabei besonders auf die rechtsnationalistische Partei »Ordnung und Gerechtigkeit« aus Litauen. Im Juni hatten ihr Abgeordnete aus zwei Mitgliedsländern für die Frak­tionsbildung gefehlt.

Auch innenpolitisch konnte der FN vor kurzem einige symbolisch sehr bedeutende Erfolge verzeichnen. Ende September gelang es der rechtsextremen Partei, zum ersten Mal in ihrer Geschichte in den französischen Senat, das Oberhaus des Parlaments, einzuziehen. Dort verfügt sie zunächst über zwei Sitze. Ebenso bemerkenswert wie der Einzug ist aber ein anderer Aspekt: Die Mitglieder des Senats werden indirekt von Wahlmännern und –frauen gewählt. Diese repräsentieren die sogenannten Gebietskörperschaften wie Regionen, Départements und Kommunen. Über 90 Prozent der Wahlleute sind Kommunalparlamentarier. Bei der Wahl Ende September stimmten viele Wahlleute, die selbst nicht der rechtsextremen Partei angehören, für deren Kandidaten. Der FN verfügt in ganz Frankreich seit den Rat­hauswahlen von Ende März über etwa 1 000 Kommunalverordnete. Doch Ende September gingen ungefähr 4 000 Stimmen von Wahlmännern und -frauen an Senatskandidaten des FN.
Dieser Wahlerfolg scheint zunächst auch eine Bestätigung der kommunalen Politikexperimente der extremen Rechten zu sein, denn die beiden frischgewählten Senatsmitglieder amtieren seit dem Frühjahr als Bürgermeister: der 26jährige David Rachline in Fréjus, der 44jährige Stéphane Ravier in einem Bezirksrathaus in einem nördlichen Stadtteil von Marseille. Allerdings spielten bei der Senatswahl neben politischen Fragen auch lokale Rivalitäten eine wichtige Rolle, etwa in der Form von Stimmungsmache gegen kommunalpolitische Kooperationsmodelle und Zusammenschlüsse. Ravier richtete seinen Wahlkampf in Marseille und Umland stark gegen die vom Zentralstaat geförderte Zusammenarbeit zwischen der Stadt und Aix-en-Provence im Rahmen der »Metropole Marseille/Aix«. Diese Kooperation war vor allem im vergangenen Jahr rund um die »europäische Kulturhauptstadt Marseille/Aix« forciert worden.
Das Wahlverhalten vieler bürgerlicher Lokalpolitiker bei der Senatswahl muss also nicht bedeuten, dass die Lokalpolitik des FN seit den Rat­hauswahlen vom März große Anerkennung bekommt. Doch in über einem Dutzend Rathäusern der Öffentlichkeit die eigene Politik demonstrieren zu können, ist für die rechtsextreme Partei wichtig – trotz einiger örtlicher Skandale. Im lothringischen Hayange etwa wird dem 35jährigen FN-Bürgermeister Fabien Engelmann von seiner Anfang September entlassenen, früheren Ersten Beisitzerin Marie Da Silva Wahlbetrug vorgeworfen. Bislang können die Rechtsextremen sich allerdings darauf berufen, dass es auch in anderen, sozialdemokratisch oder konservativ geführten Rathäusern genügend Korruptionsskandale und Fälle von Machtmissbrauch gibt, als dass die des FN gesondert herauszustellen seien. Das Argument verfängt bisher.
Einige Skandale wären bei anderen Parteien aber kaum vorstellbar. Einem Beisitzer des FN-Bürgermeisters von Villers-Cotterêts wird vorgeworfen, sich rassistisch geäußert zu haben. Er soll im Streit um einen Parkplatz drei dunkelhäutige Franzosen dazu aufgefordert haben, »in ihren Busch zurückzukehren«. In der rechtsextrem regierten Stadt Béziers wurde der frühere Sänger der Neonaziband »Ultime assaut«, Robert Ottaviani, zum Versicherungsbeauftragten ernannt.

Einen Rückschlag musste der FN jedoch hinnehmen. Am Donnerstag vergangener Woche annullierte ein Verwaltungsgericht in Nîmes die Wahl des FN-Politikers Joris Hébrard zum Bürgermeister von Le Pontet, einem Vorort von Avignon. Ende März hatte er nur sieben Stimmen Vorsprung vor dem konservativen Gegenkandidaten Claude Toutain. Da 17 Unterschriften auf den Wahlunterlagen offenbar unleserlich sind, bestehen Zweifel an der Regelmäßigkeit der Wahl. Da Hébrard allerdings ankündigte, vor das oberste Verwaltungsgericht zu ziehen, dürfte sich die Auseinandersetzung bis zu einem endgültigen Urteil noch mindestens einige Monate hinziehen.
Sollte es allerdings zur Neuwahl kommen, dann könnte es für den FN schwierig werden. Denn von allen Amtsträgern der rechtsextremen Partei gehört Hébrard zu denjenigen, die am wenigsten taktische Rücksichtnahme pflegen, wenn der FN unter öffentlicher Beobachtung steht und stärker als andere Parteien für seine kommunalpolitischen Taten haftbar gemacht wird. So hatte Hébrard seine Bezüge als Bürgermeister mit den Stimmen der Kommunalverordneten seiner Partei um 44 Prozent erhöhen lassen, nachdem er gegen eine niedrigere Erhöhung unter seinem Vorgänger noch heftig gewettert hatte. Die Erhöhung wurde von höherer Stelle jedoch wieder kassiert. Sollte also Le Pontet als erster der rechtsextrem regierten Kommunen vorgezogene Neuwahlen bevorstehen, könnte es für den FN ungemütlich werden. Es sei denn, die Partei findet noch Argumente, mit denen sie zu beweisen glaubt, dass alle anderen schuld sind.