Berlin Beatet Bestes. Folge 263

Menschen, die auf Smartphones starren

Berlin Beatet Bestes. Folge 263. Die Lothar Nakat Boys: Beatnik Fly (1960).

Was lesen die Leute eigentlich, wenn sie wie hypnotisiert auf ihre Smartphones starren? »Liebling, ich komme gleich nach Hause« oder »IS droht Merkel«? Hirnverbranntes Kurznachrichtengeschnatter oder einen von einem unterbezahlten Redakteur geschriebenen Nachrichtenartikel, den ein Medienkonzern an unzählige Internetplattformen weiterverkauft hat? Das vermute ich, weiß es aber nicht. Ich habe kein Smartphone und auch noch nie ein Handy besessen. Mich interessieren im Internet nur E-Mail, Ebay, Blogs und Facebook. Bei Ebay gucke ich allerdings nur und kaufe nie etwas. Im Internet kaufen ist böse. Kaufen soll man in realen Geschäften. Facebook ist, genau wie E-Mail, ganz gut zum schnellen Kommunizieren. »Kommst du heute dahin?« »Wer spielt?« »Wann geht’s los?« »Was kostet es?« Ich erwarte, dass ich vom nächsten Börsencrash als erstes über Facebook erfahre, aber wenn meine Facebook-Freunde idiotische Videos und triste Selfies posten, interessiert es mich nicht. Ich habe den Eindruck, dass hinter dem verzweifelten Blick aufs Smartphone-Display auch eine Sehnsucht nach irgendeiner wirklich interessanten Meldung steht. Denn nur den völlig abgestumpften Leuten wird der immer gleiche Text nicht langweilig.
Das wichtigste Tool für den Internetzugang ist heute das Smartphone. So smart ist ein Smartphone aber noch nicht, um etwas Substantielles ins Internet einzubringen. Noch vor wenigen Jahren betrieben viele Leute einen Blog, um über ihre Hobbys wie Fußball oder Muttiwerden zu berichten. Seit es Facebook gibt, hat das private Veröffent­lichen auf eigenen kleinen Internetinseln nachgelassen. Immer weniger Menschen liefern den ernsthaften Content, den die Mehrheit auf ihren Smartphones anstarrt. Das Feld wird zunehmend dem Kommerz überlassen. Dafür hat die Veröffentlichung von Fotos liebevoll arrangierter Frühstückstische zugenommen. »Guck mal, mein tolles Leben!« Dann regieren Klicks und Likes. Der Widerspruch liegt darin, dass das wirkliche Leben natürlich nicht im Internet zu finden ist. Wer wirklich lebt, starrt nicht in sein Smartphone. Mit einer Ausnahme: die SMS, die meine Freundin mir regelmäßig nach Hause aufs Festnetz schickt. Ihr zärtliches Liebesgesäusel, vorgetragen von einer tonlosen Computerstimme, erwärmt mir jedes Mal das Herz.
Nachdem ich im Sommer ein paar Monate Pause vom Bloggen gemacht habe, poste ich jetzt wieder, scanne Plattencover und Labels, bearbeite sie mit Photoshop und digitalisiere die Musik mit meinem an den Computer angeschlossenen Plattenspieler. Zuletzt veröffentlichte ich eine EP des Billiglabelkünstlers Lothar Nakat. In Nakats deutscher Version des Rock ’n’ Roll-Intrumental-Hits »Beatnik Fly« von Johnny and the Hurricanes aus dem Jahr 1960 ersetzte er die fiepige Hammond-Orgel durch eine niedliche Blockflöte. Ich bin der erste Mensch, der diesen heiteren Blockflöten-Rock digital wiederveröffentlicht hat. So entsteht substantieller Content im Internet!
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.