Schlechtes Benehmen im Internet

Benehmt euch!

Wer kennt das nicht? Schlechtes Benehmen in sozialen Medien und Internet-Foren ist mittlerweile Alltag. Warum ist das so? Ein Erklärungsversuch.

Ein Ort, an dem Menschen aus aller Welt miteinander und voneinander lernen können, neue Freundschaften entstehen und alle gleich sind, mit anderen Worten: eine ideale Welt. So ungefähr lautete die landläufige Vorstellung von dem, was dieses Mitte der Neunziger noch neue Internet werden könnte und vermutlich auch werden würde.
Solche Entwürfe eines virtuellen Paradieses krankten allerdings daran, dass diejenigen, die sie verbreiteten, wohl kaum schon im Usenet aktiv gewesen waren und deswegen keine Ahnung hatten, wie scheußlich selbst im realen Leben eher unauffällige Menschen sich benehmen können, sowie sie an einem Rechner sitzen und mit anderen Leuten kommunizieren.
Nicht umsonst entstand schließlich bereits 1983 die Netiquette, Benimmregeln für Usenet-User, die vor allem eines vermitteln wollten: respektvollen Umgang miteinander oder, wie es in Punkt eins dieses Knigges für die virtuelle Welt hieß: »Vergiss niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!«
Pustekuchen. Selbst elementare Regeln der Höflichkeit – anderen kein Gespräch aufdrängen; auf Beleidigungen verzichten; Menschen, die offensichtlich keinen Kontakt wünschen, in Ruhe lassen; private Mitteilungen nicht veröffentlichen; über andere nicht hinter deren Rücken tratschen – werden schon fast gewohnheitsmäßig verletzt, und so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein besteht dabei in aller Regel nicht. Sich schützend vor jemanden zu stellen, den man nicht mag, aber der von einer Gruppe gemobbt wird und damit erkennbar ein großes Problem hat, kommt ebenfalls im Repertoire vieler Internetbewohner nicht vor – viel lieber schaut man weg oder befeuert solche Angriffe sogar.
Aber der Reihe nach: Wie es um das Internet als Ort des Lernens bestellt ist, zeigt sich am Besten in sozialen Medien. Empfehlenswert ist ein einfacher Test mit einer technischen Frage, sagen wir: »Ich weiß nicht, wie ich dieses Sonderzeichen mache«, oder: »Hilfe! Wie kann ich (Schilderung eines leicht zu behebenden Problems) lösen?« Wenn man nicht gerade mitten in der Nacht fragt, wenn die Anwesenden eher grundentspannt und froh über jede Unterhaltung sind, zeigt sich in solchen Fällen das Internet gern von seiner hässlichsten Seite. Man bekommt Antworten, die hämisch feststellen, dass es bei so viel Doofheit ja ein Wunder sei, dass man es überhaupt ins Internet geschafft habe, oder herablassende Witze beinhalten. Wie schnell durch solche Überheblichkeiten eine Atmosphäre geschaffen wird, in der sich nur ausgesprochen selbstbewusste Menschen trauen, Nichtwissen zuzugeben und um Ratschläge zu bitten, ist leicht auszurechnen – was zum Beispiel in Spieleforen ein großes Problem ist, weil dort nur wenige Besserwisser ausreichen, um ein Game für Neulinge richtig zu versauen.

Warum aber legen Menschen, die vermutlich im richtigen Leben durchaus hilfsbereit sind, wenn sie angesprochen werden, im Internet ein solches Verhalten an den Tag? Natürlich liegt es an der Computerfrage, denn aus unerfindlichen Gründen halten sich viele Nutzer für Computercracks, und um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren, ist es anscheinend wichtig, die Blödheit des Gegenübers zu betonen. Ein gewisser Hang zum Belehren gehört dazu, zu dem wir aber erst später kommen.
Zunächst geht es nämlich um die Ursache für Konflikte, wie sie in sozialen Medien und Foren an der Tagesordnung sind. Einer der Gründe für überraschend häufig unerbittlich geführte persönliche Kleinkriege dürfte in der verkürzten Kommunkation zu suchen sein, vor allem bei Twitter. Wo nur 140 Zeichen zur Verfügung stehen (aber auch immer dann, wenn man zu faul für ausführliche Tipperei ist), fallen Redewendungen weg, die in der verbalen Kommunikation selbstverständlich sind. In schriftlich geführten Gesprächen werden persönlichen Vorlieben entsprechend rasch zu ultimativen Aussagen. Aus, beispielsweise: »Ich finde orange eine hässliche Farbe« oder »Ich halte Schokoladenpudding für ungefähr das Ekligste, was es auf dem Nahrungsmittelsektor gibt« wird dann »Orange ist hässlich« beziehungsweise »Schokoladenpudding ist eklig«, was umgehend vehementen Widerspruch von Fans der Farbe oder der Nachspeise nach sich zieht, der natürlich ebenfalls als allgemeingültige Wahrheit geäußert wird. Und schon befindet man sich mitten in einem Kleinkrieg, der umso vehementer geführt wird, wenn es eben nicht um Kleinigkeiten geht, sondern beispielsweise um politische Themen.
Was der gemeine Internetbewohner nämlich gar nicht mag, sind von seiner eigenen abweichende Meinungen. Was im realen Leben durchaus akzeptiert wird – die Welt ist voller Leute, die andere Themen wichtig finden als man selbst und es wäre Zeitverschwendung, sich darüber aufzuregen oder gar zu jedem einzelnen hinzugehen und so lange auf ihn einzureden, bis er seine Position aufgibt und sagt, dass man Recht hat – ist in Foren und sozialen Medien für viele User immer noch vollkommen überraschend und vor allem unerträglich. Vielleicht liegt es daran, dass man Plattformen als eigenes Revier begreift und deswegen entsprechendes Verhalten an den Tag legt, oder vielleicht auch daran, dass man nicht über das Ichichich hinausdenken kann, konsequentes Ignorieren oder auch nur Gelassenheit gegenüber missliebigen Personen ist für erstaunlich viele Internetnutzer keine Option. Im schlimmsten Fall entstehen daraus immer wieder aufflammende Zankereien und penetrante Belehrungen, die das jeweilige Medium für andere User zu einem unertäglichen Ort werden lassen. Denn im Gegensatz zur realen Welt, wo lautstarke Streitigkeiten nur selten vor einem völlig unbeteiligten und ziemlich uninteressierten Publikum ausgetragen werden, wird im Internet keinerlei Rücksicht darauf genommen, dass man anderen Leuten auf die Nerven gehen könnte.
Was im wirklichen Leben schon nicht funktioniert, nämlich Leuten so lange sagen, dass sie das Allerletzte sind, bis sie es einsehen und damit aufhören, funktioniert im Internet natürlich auch nicht, aber im Unterschied zum real life wird genau das mit unermüdlicher Ausdauer versucht. Was auch dazu führt, dass die mit viel Enthusiasmus ob der tollen neuen Möglichkeit, interessante, bereichernde Diskussionen zu führen gestarteten Leserkommentarspalten mittlerweile ein Ort des Grauens geworden sind, deren Abschaffung den Nerven ausgesprochen gut tut.

Die Auswirkungen von Trollen in den Kommentarbereichen sind schließlich enorm. Eine Studie aus dem Jahr 2013, durchgeführt vom George Mason University Center for Climate Change Communication, zeigte, welche Auswirkungen Kommentare auf Leser haben. Ein ausgewogener Artikel über Risiko und Nutzen von Nanotechnologie wurde einer Gruppe zusammen mit typischen Troll-Comments vorgelegt, eine andere Gruppe bekam denselben Artikel, unter dem allerdings freundliche und nicht beleidigende Kommentare standen. Das Ergebnis überrascht: Der Text, zu dem sich Trolle äußerten, verstärkte die Meinungstendenz, die die Probanden vor dem Lesen des Artikels zum Thema geäußert hatten, während die beleidigungsfreie Gruppe viel leichter die eigene Meinung angesichts der dort aufgeführten Fakten revidierte. Die Forscher führten dies darauf zurück, dass Emotionen schneller zu Reaktionen führen als Gedankengänge, man fühlt sich angegriffen, was dazu führt, dass man auch den eigenen Standpunkt verteidigt – eine Meinungsänderung wird so umso schwieriger.
Doch wer sind diese Trolle überhaupt? Eine Studie an der der University of Manitoba kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei Trollen um narzisstische, machiavellistische, psychopathische und sadistische Menschen handelt. Bei Trollen vorherrschend ist der Sadismus, der sich mit den anderen drei Eigenschaften – in der Psychologie als Persönlichkeitskonstrukt auch als die dunkle Triade bezeichnet – mehr oder weniger überlappt. Trolle sind also Menschen, die es genießen, anderen Leid zu zufügen. Die Eigenschaften der Trolle finden sich übrigens, so die Wissenschaftler, auch bei Mobbern – und Serienmördern.
Dabei sind Trolle verhältnismäßig leicht auszuschalten. Bleibt das generelle Unhöflichkeitsproblem – und der Verdacht, dass die schöne neue Welt, die das Internet zu werden versprach, an vielen Stellen genau die Hölle ist, die Leute eben schaffen, die einen Ort suchen, um ihr Ego auszutoben.