Chinas Investitionen in Lateinamerika

Kontinentalverschiebung

China investiert Milliarden US-Dollar in Lateinamerika, was viele Regierungen der Region begrüßen. Doch der Wirtschaftsboom wird von neuen Abhängigkeiten begleitet.

626 000 Barrel Erdöl liefert Venezuela jeden Tag nach China und die Ausfuhrmenge soll noch steigen. Das Land ist längst der größte Gläubiger der Regierung von Präsident Nicolás Maduro. Mit 40 Milliarden US-Dollar steht die venezolanische bei der chinesischen Regierung in der Kreide. Anfang Januar war Präsident Maduro wieder in China, um nach Unterstützung zu suchen. Der unerwartete Preisverfall des Erdöls trifft Venezuela hart, denn Erdöl und Schmierstoffe machen rund 95 Prozent der Exporte aus und eine Steigerung des Ölpreises ist nicht in Sicht. Venezuela ist ein klassischer Rentenstaat und da kommen Inves­titionen aus dem Ausland gerade recht.

Chinas Präsident Xi Jinping hat Anfang Januar bei einem Treffen mit Vertretern aus Lateinamerika ein gigantisches Investitionsprogramm für Lateinamerika bekanntgegeben. 250 Milliarden US-Dollar will das Land in den nächsten zehn Jahren dort investieren. Allein 20 Milliarden US-Dollar will China, Xi zufolge, in Venezuela investieren – vor allem im Erdölsektor. »Manchmal scheint sich die Welt verschworen zu haben, um Venezuela als bankrott darzustellen. Venezuela ist aber eine ökonomische Macht, mit einer produktiven Bevölkerung und einem gigantischen Potential«, frohlockte daraufhin Präsident Maduro. Schließlich sitzt Venezuela auf den größten Erdölreserven der Welt. Die chinesischen Wirtschaftsstrategen versuchen durch Kredite und Investitionsprojekte in verschiedenen Förderregionen, einen sicheren Zugang zu Rohstoffen zu bekommen; nicht nur in Venezuela, sondern auch in Peru, Argentinien, Ecuador und Bolivien. Vieles von dem, was China für sein Wachstum braucht, gibt es in Lateinamerika in großer Menge: Eisenerz, Kupfer, Erdöl, aber auch Soja, Getreide und Orangen.
250 Milliarden US-Dollar sind eine gigantische Summe, die jedoch nicht nur in die Erschließung von Rohstoffen und die Versorgung mit Nahrungsmitteln fließen soll, sondern auch in die Infrastruktur des Subkontinents. Da gibt es durchaus Bedarf. Jüngstes Beispiel ist der Bau des 278 Kilometer langen Nicaragua-Kanals. Das gigantische Bauwerk soll breiter und tiefer als der Panama-Kanal werden. In Nicaragua ist der als »Gran Canal Interoceánico« bekannte Schifffahrtsweg umstritten (Jungle World 47/2014). Er gilt als ökologisch riskant, weil er mitten durch das größte Trinkwasserreservoir Mittelamerikas, den Nicaragua-See, führt. Deshalb reißen die Proteste rund um Brito, wo der erste Spatenstich erfolgte, nicht ab und der chinesische Investor ist längst nicht überall gern gesehen: Wang Jing stammt aus Hong­kong und garantiert die Finanzierung des Megaprojekts mit 40 bis 50 Milliarden US-Dollar. Für das Bauprojekt in Mittelamerika hat Wang Jing die Hong Kong Nicaragua Canal Development Group (HKND) gegründet. Sie ist in Hongkong registriert und wird, den spärlichen Informationen zufolge, den Kanal mindestens 50 Jahre in Konzession betreiben – zuzüglich einer Option auf weitere 50 Jahre. Das hat das Parlament in Nicaragua abgesegnet und zudem genehmigt, dass an beiden Seiten des Kanals Seehäfen mit Golfplätzen und Luxushotels gebaut werden dürfen. Weitere Details sind in Nicaragua unter Verschluss. Die Familie von Präsident Daniel Ortega soll auf allen Ebenen in die Geschäfte involviert sein.
Das könnte so oder ähnlich auch anderswo laufen. Investitionen in Häfen, Terminals, Überlandstraßen und Flugplätze sind in vielen Ländern Lateinamerikas nötig. Auch in Bolivien sind Architekten, Spezialisten und Anlagen aus China bereits im Einsatz – zu Vorzugsbedingungen, wie es gern heißt. In Argentinien kursieren bereits Gerüchte, dass chinesische Unternehmen ganz ohne Ausschreibungen zum Zuge kommen. Zwar gibt es dafür bis dato keine stichhaltigen Belege, aber unstrittig ist, dass die Verhandlungsposition Argentiniens, das in erster Linie Soja und Getreide nach China exportiert, ähnlich wie die des Nickellieferanten Kuba oder des Kupferexporteurs Chile nicht die beste ist. Die Weltmarktpreise für ihre Rohstoffe sinken, so dass sie weniger Konsumartikel, Maschinen und Hochtechnologie aus China erhalten.

Die steigende Bedeutung Chinas ist auch an den Handelsstatistiken ablesbar: Das Volumen des Handels zwischen China und Lateinamerika ist zwischen den Jahren 2000 und 2013 von 13 auf 275 Milliarden US-Dollar gestiegen. China ist nunmehr der zweiwichtigste Lieferant nach den USA, aber noch vor der EU. Mit der chinesischen Investitionsoffensive wird Lateinamerika noch enger an China gebunden und es ist absehbar, dass auch die USA alsbald überholt werden. In den Handelsbilanzen von Brasilien, Chile und Peru steht die Volksrepublik China schon an erster Stelle und mehr Unabhängigkeit von der Hegemonialmacht USA streben viele Regierungen in der Re­gion an. Der Präsident von Costa Rica, Luis Guillermo Solís, machte das bei dem Treffen in Peking Anfang Januar deutlich, als er auf den Charakter der Kooperation mit China verwies. Sie sei nicht wie jene mit den USA über die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds mit Auflagen verbunden, wie der Privatisierung öffentlicher Unternehmen, dem Abbau von Sozi­alleistungen und der Liberalisierung des Arbeitsmarkts.
Viele lateinamerikanische Regierungen sehen darin Vorteile, da sie ernst genommen werden und nicht mehr nur als Juniorpartner erscheinen wollen, wie bei Abkommen mit den USA. So sieht Ecuadors Präsident Rafael Correa in der Kooperation mit China die Chance auf eine eigenständige Entwicklung. Dass China dabei die Märkte mit seinen Produkten überschwemmt und die regionale Produktpalette kleiner wird, ist dieser Ansicht zufolge ein kaum vermeidbarer Nebeneffekt. Geliefert wird von Kinderspielzeug über bil­lige Elektronik bis zu Geländewagen aus den Werken von Shuanghuan oder Mingjun Motors. Im Straßenbild von Bolivien und Peru nimmt die Zahl von Autos, Bussen und LKW aus chinesischer Produktion stetig zu. Geschätzt wird das gute Preis-Leistungs-Verhältnis. Rund zwei Mil­lionen Fahrzeuge exportiert China derzeit nach Lateinamerika, in drei Jahren sollen es drei Mil­lionen sein.

Für die Produktion werden mehr Eisenerz aus Brasilien, mehr Kupfer aus Chile und Peru und mehr Silber, Zink und Lithium aus Bolivien benötigt. Bei der Förderung von Lithium und der Produktion von Batterien nutze die bolivianische Bergbaugesellschaft Comibol unter anderem Know-how aus China, so der leitende Ingenieur Luís Alberto Echazú.
In Bolivien ist Technologie gefragt, im benachbarten Peru wird eher Investitionskapital aus China benötigt. Darum bemüht sich Präsident Ollanta Humala kräftig. Die größte Investition im Bergbauparadies Lateinamerikas ist den chinesischen Investoren allerdings beinahe in den Schoß gefallen. »Las Bambas« heißt die Kupfermine südöstlich von Cusco, die der Schweizer Bergbaukonzern Xstrata entwickelt hatte, aber nach der Fusion mit Glencore verkaufen musste, weil Glencore/Xstrata zu dominant auf dem Kupfermarkt geworden wäre. So bekam MMG Metals aus Hongkong die Chance, die gerade fertiggestellte Mine für rund fünf Milliarden US-Dollar zu erwerben, sagt Jorge Casanova von der peruanischen Entwicklungsorganisation Cooperacción. Er sieht den Verkauf kritisch: »Sonst hätten die Schweizer ­einen Kupferkorridor zwischen Cusco und Arequipa geschaffen und die Kupferkonzentrate per Pipeline zur Weiterverarbeitung transportiert. So hätte nur einmal in die Verarbeitungsanlagen investiert werden müssen.«
Er erwartet wie andere peruanische Ökonomen weitere Investitionen aus China in den Bergbau, aber auch in die Lebensmittelproduktion. Das wird von der Regierung begrüßt, denn die chinesische Nachfrage habe in den vergangenen Jahren merklich zum Boom der peruanischen Wirtschaft beigetragen, so der Ökonom Carlos Monge. »Allerdings sind wir nicht mehr als Lieferanten und haben keinen Plan B für die langfristige Entwicklung«, kritisiert der Lateinamerika-Koordinator des Natural Resource Governance Institute.
Die langfristige ökonomische Entwicklung wird nicht nur in Peru vernachlässigt, sondern auch in vielen Nachbarländern. Wirklich neu ist das Muster der Handelsbeziehungen zwischen China und Südamerika daher nicht, es entspricht dem bereits bekannten mit den westlichen Industrieländern.