Die Parlamentswahlen in Finnland

Der Norden wird kälter

In Finnland könnten nach den Parlamentswahlen vom Sonntag auch Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt werden. Probleme bereitet dem Land aber vor allem die Wirtschaftskrise.

Wer versucht, sich in den gängigen Medien ein Bild von der Krise in Europa zu machen, wird unweigerlich zu dem Eindruck kommen, es handele sich dabei in erster Linie um ein südeuro­päisches Problem. Die Krise jedoch hat viele Gesichter. Eines, das bislang nur wenig Beachtung fand, vielleicht weil es schlecht zum deutschen Vorurteil vom faulen Südländer passt, zeigt sich in Finnland. Lange galt das Land im Nordosten Europas als Vorzeigemodell. In der Pisa-Studie weit vorne und mit Firmen wie Nokia vor allem in Wachstumsbranchen erfolgreich, verzeichnete Finnland über Jahre hinweg ein für westeuropäische Verhältnisse hohes Wirtschaftswachstum. Die politischen Verhältnisse waren stabil und die Löhne hoch.
Doch dann traf 2009 die Krise die Wirtschaft des Landes. Um 8,3 Prozent schrumpfte die Wirtschaftsleistung in nur einem Jahr, auf zwei Jahre der Erholung folgten ab 2012 zwei weitere Jahre der Rezession. Für das Jahr 2015 hat die Regierung ihre Erwartungen gerade von einem auf ein halbes Prozent Wachstum reduziert. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit von 6,3 Prozent 2006 auf derzeit 9,2 Prozent gestiegen. Auch die Sanktionen der EU gegen Russland – nach der EU Finnlands wichtigster Handelspartner – belasten die Wirtschaft des Landes erheblich.

In den vergangenen Jahren erlebte Finnland außerdem den Aufstieg der rechtspopulistischen Partei Perussuomalaiset (PS), früher meist mit »Wahre Finnen«, heute oft nur noch mit »Die Finnen« übersetzt. Bei den Europawahlen von 2009 konnte die Partei ihren Stimmenanteil von einem halben auf 9,8 Prozent steigern und mit ihrem Vorsitzenden Timo Soini erstmals einen Abgeordneten nach Straßburg entsenden.
Zwei Jahre später, bei den Parlamentswahlen 2011, wurde die PS mit 19,1 Prozent dann sogar drittstärkste Partei und begann spätestens ab diesem Zeitpunkt mit ihrer rassistischen, europafeindlichen und sozialkonservativen Agenda starken Einfluss auf den politischen Diskurs des Landes auszuüben. Auch wenn die PS nur in der Opposition war, entschied meist sie, welche Themen es zu verhandeln gab.
Daran änderten auch die eher durchwachsenen Resultate der Partei bei der Präsidentschaftswahl 2012 und der Europawahl 2014 wenig. Der Erfolg der PS hat die politischen Verhältnisse Finnlands und wohl auch das Land selbst verändert. Das zeigte sich nicht zuletzt in der aufgeheizten Debatte um die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die das zweite Halbjahr 2014 dominierte. Nur mit einer knappen Mehrheit von 101 zu 90 Stimmen konnte das entsprechende Gesetz schließlich das Parlament passieren.
Das gesellschaftliche Klima ist kälter geworden in Finnland. In erster Linie bekommen das Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten zu spüren. Vor allem gegenüber Muslimen – allen voran Bürgerkriegsflüchtlingen aus Somalia – sind rassistische Vorurteile weit verbreitet. Aber auch die Kale, eine bereits seit Jahrhunderten in Finnland ansässige Untergruppe der Roma, sind von erheblicher Diskriminierung betroffen.

Nach den Parlamentswahlen vom Sonntag hat die PS mit einem Ergebnis von 17,6 Prozent nun zwar leichte Verluste hinnehmen müssen. Damit ist sie aber weiterhin drittstärkste Kraft im Parlament und dürfte sich somit bis auf weiteres als ernstzunehmender politischer Faktor in Finnland etabliert haben. Abgesehen davon bleibt vieles unsicher nach der Wahl. Klar ist, dass Ministerpräsident Alexander Stubb die Wahl ver­loren hat. Mit 18,2 Prozent liegt seine konservative Nationale Sammlungspartei auf Platz zwei hinter dem Wahlsieger Juha Sipilä, dessen wirtschaftsliberale Zentrumspartei mit 21,1 Prozent nach dem historisch schlechten Ergebnis von 2011 wieder zu alter Stärke zurückgefunden hat. Wer aber in Zukunft regieren wird, ist noch völlig unklar.
Wenn Sipilä sich nun um die Regierungsbildung bemühen und sein Programm durchsetzen will, das im Wesentlichen aus unternehmerfreundlichen Reformen, einer deutlichen Senkung der Zahl der Staatsbediensteten und spürbaren Kürzungen im sozialen Bereich besteht, dann braucht er dafür mindestens zwei, vielleicht sogar drei oder vier Koalitionspartner. Fragt sich nur, wer das sein wird.
Im Grunde kommt von den Grünen bis zu den Christdemokraten, abgesehen von der Linken Allianz, jede Partei für eine Koalition in Frage. Welche Parteien den kommenden sozialen Kahlschlag mitverantworten werden, wird wohl letztlich gar nicht so wichtig sein. Die zentrale Frage ist vielmehr, ob Sipilä es wagen wird, die PS aus ihrer Rolle als politischem Paria heraus- und in die Regierung hineinzuholen. In der traditionell konsensorientierten finnischen Politik wären die Folgen einer solchen Entscheidung weitreichend. Vor den Wahlen hatte Sipilä eine Zusammenarbeit zumindest nicht ausgeschlossen.

Soini ist zum Katholizismus konvertiert und bekennender Abtreibungsgegner, seine Partei stilisiert sich als Bollwerk gegen die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen. Immer wieder po­lemisieren Politiker der PS auch gegen die schwedischsprachige Minderheit und die vor allem im Norden lebenden Saami. Sollte Soini, der bekannt dafür ist, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, sein erklärtes Ziel erreichen und Außenminister werden, wären Skandale wohl programmiert.
Die finnische Gesellschaft steht eigentlich vor derselben Frage wie Europa als Ganzes: Reagiert sie auf die ökonomische Krise und die Angst vor dem militanten Islamismus mit Offenheit und Solidarität? Oder igelt sie sich gegen alles vermeintlich Fremde ein? Das Wahlergebnis allein gibt hierauf keine eindeutige Antwort. Der wei­tere Umgang mit Soini und seiner Partei aber dürfte entscheidend sein.