Die Gefahr durch Hooligans ist nicht auf Stadien begrenzt

Ultra lernresistent

Drei Beispiele aus den vergangenen Wochen zeigen: Die deutsche Polizei verharmlost weiter die drohende Gefahr durch rechte Hooligans, verfolgt lieber Antifaschisten und verbietet »Fahnen von Juden«.

Es ist schon typisch, wie sich der Pressesprecher der Polizei Bremen, Dirk Siemering, gegenüber der Tageszeitung Weser-Kurier äußerte: »Da haben sich zwei gewaltbereite Gruppen gesucht und gefunden.« Nazis gegen Antifas, rechts gegen links – was sich vor zweieinhalb Wochen rund um das 102. Nordderby in der Fußball-Bundesliga zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV zutrug, passt einmal mehr in das Weimar-Narrativ von der sich gegenseitig aufschaukelnden Gewalt der politischen Extreme.
Dabei deutet vieles daraufhin, dass die Polizei selbst mit ihrer von Unkenntnis und Hau­drauf-Mentalität geprägten Einsatztaktik die Eskalation erst ermöglichte. Was war passiert? Zeugenaussagen zufolge waren nach Spielende etwa 15 Personen aus der weitgehend antirassistischen Bremer Ultraszene in Richtung Stadion gelaufen. Sie hatten die Partie in einer Kneipe verfolgt, wollten nun aber vor der Arena ihre Freunde treffen. Auf dem Weg dorthin kamen sie an der Kneipe »Verdener Eck« vorbei, wo sich 40 bis 50 Bremer Hooligans aufhielten, darunter bekannte Größen aus der Neonazi-Szene der Hansestadt. Nach Informationen der Taz waren unter anderem »Captain Flubber«, einer der Organisatoren von »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa), Hannes Ostendorf, der Sänger der rechten Band »Kategorie C«, und Mirco Hornstein von »Nordsturm Brema« dort. Die Nazi-Hools griffen die Ultras körperlich an, diese flüchteten. Auf dem Weserdeich vor dem Stadion wurden sie dann von Polizisten eingekesselt. Das bestätigte Daniel Behm, ein Mitarbeiter des Bremer Fanprojektes, gegenüber Spiegel Online.
Eine größere, aus dem Stadion kommende Gruppe von 100 bis 150 Ultras wurde demnach ebenfalls auf dem Deich von der Polizei in Empfang genommen. »Mit krasser Brutalität« sei diese Gruppe dann plötzlich von der Polizei in die Gegenrichtung geprügelt worden, sagte Michael M.*, ein Bremer Ultra, im Gespräch mit der Jungle World. Es sei nicht nur Pfefferspray eingesetzt worden, sondern auch Schlagstöcke – durch die es zum Teil zu schweren Verletzungen gekommen sei. »So etwas habe ich lange nicht gesehen«, sagte auch Fanprojekt-Mitarbeiter Behm. Nun aber liefen plötzlich zehn Mal so viele Ultras wie zuvor in Richtung »Verdener Eck«. Was ein Polizeisprecher dann gegenüber Radio Bremen als »Rückspiel« bezeichnete, war also überhaupt nicht beabsichtigt, sondern wurde erst durch die Polizei ausgelöst. Gegenüber der Taz sagte ein Polizeisprecher zwar, dass er nicht bestätigen könne, »dass wir die Ultras auf die Hooligans zugetrieben haben«, räumte aber gleichzeitig ein, dass der Polizei noch nicht klar sei, was passiert sei. Dennoch bewertete die Polizeiführung »den Ablauf des Gesamteinsatzes insgesamt positiv«. Einige Tage später wollte sich die Polizeipressestelle gegenüber der Jungle World mit Verweis auf laufende Ermittlungen lieber gar nicht mehr äußern.
Was passierte, ist noch nicht vollständig geklärt. Sicher scheint, dass es – erneut – zu diesmal heftigen köperlichen Auseinandersetzungen zwischen Ultras und Hooligans kam. Nach Informationen der Jungle World soll insbesondere Rechtsrock-Sänger Hannes Ostendorf dabei eingesteckt haben. Seitdem postete der »Kategorie C«-Frontmann auf seiner Facebook-Fanpage wiederholt steckbriefartige Fahndungsfotos angeblicher Bremer Ultras, die des »versuchten Totschlags« bezichtigt werden. Das berichtet das Portal Fußball gegen Nazis. Versehen waren die Bilder mit dem Hinweis, man solle Informationen an die »Bremer Hoolizei« geben. Die Fotos wurden zwar schnell wieder gelöscht, tauchten jedoch anderenorts wieder auf, etwa auf der Facebook-Seite der Partei »Die Rechte«, wo »Antifa, UItras, Gewalttäter und ihre Unterstützer« quasi zur Fahndung ausgeschrieben wurden – unter anderem wurden dazu auch zwei Fanprojektmitarbeiter und die Journalistin Andrea Röpke gezeigt.
Dabei zeigte die Bremer Polizei bereits vor einem guten Jahr, beim vorigen Nordderby an der Weser, dass sie die Gefahr durch rechte Hooligans systematisch unterschätzt. »Schon damals hat die Polizei total versagt«, kritisiert Michael M. im Gespräch mit der Jungle World. Im März 2014 waren mehr als 100 Nazi-Hools per Schiff zum Stadion gekommen. Größtenteils mit Sturmhauben vermummt und von der Polizei unbehelligt, machten sie Jagd auf Passanten und verfolgten die Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke sowie einen weiteren Journalisten.
Es war ein Vorgeschmack auf das, was wenige Monate später bei der großen Hogesa-Demonstration in Köln passieren sollte. Auch dort wurde die Polizei vom Ausbruch der rechten Gewalt überrascht. Nach dem Scheitern von HoGeSa als bundesweiter Bewegung scheinen sich die Nazi-Hools nun offenbar wieder auf die Auseinandersetzung mit antirassistischen Ultras an Ort und Stelle konzentrieren zu wollen. Wobei wohlgemerkt keineswegs alle Ultra-Gruppen so engagiert gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und andere Diskriminierungsformen sind wie die in Bremen, wo in einem langen Kampf über viele Jahre gewisse zivilisatorische Mindeststandards in der Kurve durchgesetzt wurden – weswegen sie bis heute zu den Lieblingsfeinden der Bremer Nazi-Szene zählen.
Dass deren Steckbriefe und Fahndungsplakate nicht zu belächeln sind, zeigt ein Vorfall, der sich bereits eine Woche vor dem Nordderby in Wuppertal ereignete. Nach einem Bericht von Vice tauchten dort Samstagnacht vor dem Autonomen Zentrum (AZ) drei Männer auf und provozierten die Besucher mit rassistischen Sprüchen. Kurz danach stach einer der Männer einem 53jährigen AZ-Besucher mehrfach mit einem Messer in den Rücken und verletzte diesen lebensgefährlich. Das Opfer, der AZ-Website zufolge ein »Antifaschist mit türkischem Migrationshintergrund«, wurde ins Krankenhaus eingeliefert und ins künstliche Koma versetzt. Die Polizei schrieb später in einer Pressemitteilung: »Erst durch den Einsatz von Pfefferspray und mittels Schlagstock konnten die Einsatzkräfte den Verletzten zur weiteren ärztlichen Versorgung aus dem Gebäude retten.« Mehrere lokale Medien übernahmen diese Version.
Doch wie in Bremen stellte sich auch in Wuppertal die polizeiliche Version als fragwürdig heraus. Nach Darstellung auf der Website des AZ habe die Polizei den Notarzt nicht ohne großes Polizeiaufgebot in das Gebäude hineingelassen und die Hilfe damit verzögert. Später habe die Polizei wahllos mehrere Türen eingetreten, um nach möglichen Tätern zu suchen, obwohl man den Beamten eigens das Schlüsselbund ausgehändigt habe. Nach Information von Vice wurden zudem AZ-Besucher wie Täter behandelt und nach Angaben der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte vernommen.
Inzwischen allerdings sitzt ein 25jähriger in Untersuchungshaft, den die Polizei später als mutmaßlichen Messerstecher ermittelt hat. Der Mann hat Verbindungen zur regionalen Neonazi-Szene und zur Partei »Die Rechte«. Vice zufolge gab er die Tat zu, beruft sich aber auf Notwehr. Beim AZ indes fühlt man sich angesichts des Agierens der Polizei an die Ermittlungen zu der Nazi-Terrororganisation »NSU« erinnert: »Opfer werden zu Tätern umgelogen und gegen sie wird ermittelt. Wuppertal ist an diesem Punkt kein Einzelfall. Als schreckliche und katastrophale Beispiele müssen in diesem Zusammenhang die Ermittlungen um die Morde des NSU und den Nagelbombenanschlag auf die Kölner Keupstraße genannt werden.« Man kenne das »widerwärtige Agieren der deutschen ›Sicherheitsorgane‹« bereits zur Genüge.
Widerwärtig kann man wohl auch nennen, wie Ende April mit Fans von Almog Cohen umgesprungen wurde. Der israelische Nationalspieler war mit seinem Verein, dem Zweitliga-Tabellenführer FC Ingolstadt, zu Gast beim 1. FC Union im Stadion an der Alten Försterei in Berlin-Köpenick. Fans wollten Cohen mit einer Fahne seines Landes am Zaun grüßen – nicht ungewöhnlich in Fußballstadien. Doch in diesem Fall hieß es von Seiten des Ordnungsdienstes: »Keine Fahnen von Juden erlaubt.« Das jedenfalls twitterte der Spieler selbst nach der Partie. Union Berlin berief sich auf ein sprachliches Missverständnis und verwies auf die Polizei: Die habe die Anweisung gegeben, die Fahne abzuhängen – zur »Gefahrenabwehr«. Der Einsatzleiter an Ort und Stelle habe »das Zeigen der Flagge für ein politisches Statement« gehalten, »das er bei einer Sportveranstaltung untersagen wollte«. Die Maßnahme sei falsch gewesen, räumte die Berliner Polizei am nächsten Tag in einer Pressemitteilung ein. Ihr Präsident Klaus Klandt erklärte: »Die Aufforderung zum Einrollen der Flagge war eine Fehlentscheidung, für die ich bei den Betroffenen um Entschuldigung bitte.«
Oliver Samwald, Pressesprecher des FC Ingolstadt, sagte nach der Entschuldigung durch die Polizei: »Wir bedauern, dass unser Spieler Almog Cohen beim Spiel am Sonntag in Berlin so etwas erleben musste. Wir gehen davon aus, dass sich ein solcher Vorfall nicht mehr wiederholt.« Leider jedoch, das zeigen die beschriebenen Beispiele aus Bremen, Wuppertal und Berlin, spricht wenig dafür, dass die politische Lernfähigkeit bei der deutschen Polizei besonders ausgeprägt ist. Anders gesagt: Der nächste Vorfall kommt bestimmt.

* Name von der Redaktion geändert