Die kolumbianischen Farc fühlen sich von den Medien missverstanden

Medienguerilla des Mainstreams

In Kolumbien wird über den Konflikt zwischen der Guerilla Farc und der Regierung meist sehr tendenziös berichtet.

Mittags halb eins in Kolumbien. Landesweit dröhnt Hans-Zimmer-Musik aus den Fernsehern, begleitet von schnell geschnittenen Bildern und einer dramatischen Stimme aus dem Off. Es ist die Uhrzeit des Tages, zu der die beiden großen Fernsehkanäle des Landes ihre wichtigste Nachrichtensendung ausstrahlen. Eines der wichtigsten Themen ist derzeit, neben von Überwachungskameras aufgezeichneter Kleinkriminalität, Unglücken und Provinzpossen, wieder der Konflikt zwischen der Guerilla Farc und der Regierung. Seit die Farc ihren einseitigen Waffenstillstand aufgekündigt haben (Jungle World 24/2015) und Angriffe des Militärs auf Rebellencamps sowie Attentate der Guerilla auf die Infrastruktur häufiger werden, dominiert der Krieg wieder die Wohnzimmer, Kantinen und öffentlichen Plätze, wo um die Mittagszeit die Fernsehgeräte meist im Dauerbetrieb laufen.

Die sensationsorientierte und Farc-kritische Berichterstattung der Medien hat in den vergangenen Wochen für Diskussionen zwischen der Guerilla und Medienvertretern gesorgt. Der Oberkommandierende der Farc, Rodrigo Echeverry, meldete sich mit einer Medienschelte aus dem Dschungel zu Wort, in der er die Berichterstattung der großen Tageszeitungen El Espectador und El Tiempo moniert. Die Zeitschrift Semana antwortete, man werde sich von der Guerilla keine Nachhilfe in Journalismus geben lassen.
Tanja Nijmeijer, Mitglied der Delegation der Guerilla, die seit Ende 2012 im kubanischen Havanna mit Regierungsvertretern über ein Ende des bewaffneten Konflikts verhandelt, sagt im Gespräch mit der Jungle World, vor allem die beiden privaten Fernsehsender RCN und Caracol würden tendenziös berichten und »die Gehirne der Kolumbianer beherrschen«. »Die Medien verfälschen vorsätzlich Informationen, beschuldigen die Guerilla ohne jegliche Beweise und hinterfragen Informationen aus Quellen des Militärs nicht«, klagt die Niederländerin.
Als ein Beispiel nennt sie den Tod einer Zehnjährigen im Mai. Laut ersten Medienberichten unter Berufung auf Militärquellen habe eine Anti-Personen-Mine der Farc den Tod des Mädchens herbeigeführt. Als sich Tage später herausstellte, dass es sich vielmehr um eine nicht detonierte Granate gehandelt haben könnte, wie sie das Militär verwendet, wurde die Nachricht nicht korrigiert. In der Tat stützen sich viele Medien bei der Berichterstattung über den Konflikt vor allem auf Angaben des Militärs, das in umkämpften Gebieten meist die einzige nationale Institution ist. Dass Militäroffensiven wie die Bombardements von Farc-Camps die Zivilbevölkerung vertreiben und in Angst versetzen, wird in der reißerischen Berichterstattung oft ausgelassen. Zahlreiche Stimmen, die beide Seiten angesichts der erneuten Eskalation der Gewalt dazu auffordern, einen Waffenstillstand zu erklären, verhallen in den Medien ungehört.
Der Grund für die einseitige Berichterstattung sei, so Nijmeijer, dass sich insbesondere die beiden Privatsender mit einer Reichweite von mehr als 90 Prozent der kolumbianischen Zuschauer »in den Händen der wohlhabenden Klasse« befinden. Deren Interesse sei es, an der Macht zu bleiben, weshalb sie jene diffamierten, die sie in ihrer Stellung bedrohten: die Farc.
Selbstüberschätzung hin, Vulgärmarxismus her: In der Tat verfügen die beiden Sender Caracol und RCN über gehörigen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. In weiten Teilen Kolumbiens sind einzig die beiden Privatsender frei empfangbar, ihr Programm hat der Nationalen Fernsehagentur ANTV zufolge einen Marktanteil von über 50 Prozent. Öffentliche Kanäle, die über einen Bruchteil des Budgets verfügen, haben noch weniger Chancen als einige Regionalsender, die am spärlichen Tropf öffentlicher Unterstützung hängen und auf Linie der jeweiligen Bürgermeister oder Gouverneure liegen.

»Die einseitige Berichterstattung der Medien ist ein Erbe der Regierungszeit des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe«, sagt die Journalistin Juanita León, die das unabhängige Nachrichtenportal La Silla Vacía leitet, der Jungle World. Während der Präsidentschaft Uribes (2002 – 2010) wurden die Sicherheitskräfte aufgerüstet und der Kampf gegen die Guerilla wurde ebenso professionalisiert wie die Medienarbeit des Militärs. Das wirke bis heute nach, sagt León. Insbesondere die großen Medienanstalten reduzierten den Konflikt auf die Logik der Konfrontation: Hier die guten Soldaten, die für das von der Farc terrorisierte Vaterland kämpfen, dort die böse, antipatriotische Guerilla. Während getötete Guerilleros in den Medien namenlose Terroristen sind, halten die Fernsehanstalten bei gefallenen Soldaten jede Träne der Angehörigen fest und initiieren emotionsgeladene Social-Media-Kampagnen. Eine Kontextualisierung des Konflikts und seiner politischen und sozialen Hintergründe fehle völlig, so León.
Objektive und hintergründige Berichterstattung findet sich eher in den Printmedien oder auf Nachrichtenseiten. Die aber werden von höchstens einem Drittel der Bevölkerung konsumiert. Neben den Fernsehsendern sind mehrere allmorgendliche Radiosendungen sehr populär, in denen meinungsstarke Moderatoren miteinander um den nächsten Scoop wetteifern. Bei der Nachrichtensendung »Noticias RCN« ist eine parteiergreifende Berichterstattung gar Geschäftsmodell. Ähnlich wie der US-Sender Fox News vertritt die Redaktion einen konservativen Meinungsjournalismus. Mit dem Unterschied allerdings, so Kritiker, dass in den USA eine größere Vielfalt alternativer Medien existiere und Fox News lediglich über Kabel zu empfangen sei.

Im Zuge der neusten Eskalation des Konflikts ist die Unterstützung der Friedensgespräche durch die Bevölkerung erneut gesunken. Die Farc sehen den Grund dafür allerdings nicht in ihren Attentaten, wie auf die Strom- und Wasserversorgung ganzer Städte, sondern in der tendenziösen Berichterstattung. Umfragen zufolge glauben rund 70 Prozent der Bevölkerung mittlerweile nicht mehr an einen Erfolg der Gespräche. Die für eine Verhandlungslösung notwendigen Zugeständnisse an die Guerilla, insbesondere eine Teilamnestie für deren Anführer, unterstützen einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos vom Mai zufolge weniger als zehn Prozent.
Viele Linke verweisen auch auf die Besitzverhältnisse im Mediensektor. Caracol und RCN gehören zu den zwei großen kolumbianischen Holdings Valorem und der Organización Ardila Lulle. Diese sind nicht nur zugleich Mehrheitseigner von Hunderten Radiostationen und mehreren Printmedien, sondern auch in der Getränkeindustrie, dem Einzelhandel sowie in der Agrarindustrie vertreten, wo sie immer neue Rekordgewinne erzielen. Die Eigentümerfamilien mit ihren jeweiligen Patriarchen gehören zu den wohlhabendsten im Land. Dass sie an grundlegenden politischen und sozialen Reformen interessiert sein könnten, die sich viele Linke im Anschluss an die Friedensverhandlungen erhoffen, wird bezweifelt.
Ändern soll sich nach den Friedensgesprächen auch die Medienlandschaft. Im zweiten Punkt der Verhandlungsagenda, der politischen Teilhabe, vereinbarten Farc und Regierung eine »Demokratisierung der Medien«. Konkret bedeutet dies eine stärkere »Bürgerbeteiligung« an den staatlichen und regionalen Fernsehsehanstalten und einen besseren Medienzugang für soziale Organisationen. Zudem sollen kommunitäre Medien stärker unterstützt werden.
Die Farc greifen in ihrer Medienstrategie derweil vor allem auf das Internet zurück. Ein eigenes Team bespielt täglich mehrere Websites und Social-Media-Kanäle auf Spanisch und Englisch. Seit einigen Wochen produziert die Guerilla eine eigene Nachrichtensendung, die wöchentlich auf Youtube ausgestrahlt wird. Diese unterscheidet sich in Design, Regieführung und tendenziöser Berichterstattung wenig von den Sendungen bei Caracol und RCN. Nur die Musik erinnert nicht an Hans Zimmer.