In Bayern wird über die Entnazifizierung gestritten

Mit Hitler unter vier Augen

Die örtliche Mittelschule trägt zwar nicht mehr seinen Namen. Doch weiterhin ist der Hitler-Verehrer Max Dingler Ehrenbürger von Murnau. In Kaufbeuren hat ein ähnlicher Fall vor kurzem die Öffentlichkeit beschäftigt.

Kaufbeuren war schneller. Während im oberbayerischen Murnau noch die Ehrenbürgerschaft des Zoologen Max Dingler geprüft wird, hat der Stadtrat von Kaufbeuren im Allgäu bereits gehandelt. Er hat beschlossen, die Kurat-Frank-Straße umzubenennen.
Max Dingler (1883 bis 1961) hatte ein Faible für Käfer – und für völkisches Gedankengut. Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte er sich in der aufkommenden »Bewegung«. Zusammen mit Gesinnungsgenossen gründete er Anfang der zwanziger Jahre die Murnauer Ortsgruppe der NSDAP. Selbstverständlich war er auch Parteimitglied. Im Jahr 1922 sprach er eigenen Angaben zufolge mit Hitler »unter vier Augen« und gelobte ihm »die Treue in die Hand«, wie der Historiker Freddy Litten 1996 in einem Essay über den Naturschützer und Heimatdichter schrieb. Da verwundert es nicht, dass Dingler auch am Hitler-Putsch 1923 teilnahm.

All das war für den Marktgemeinderat 1953 kein Hindernis, den »getreuen Ekkehard und Hüter der Murnauer Landschaft, den verehrten Pfleger bayerischen Brauchtums und bekannten Heimatdichter in Würdigung seiner Verdienste um die Murnauer Heimat in Dankbarkeit und Verehrung« zum Ehrenbürger zu ernennen. 1979 beschlossen die Volksvertreter dann einstimmig, die neue Hauptschule nach Dingler zu benennen.
Es dauerte bis 2011, bis der Schulname im ­Eilverfahren geändert wurde. Kürzlich kam nun Dinglers Ehrenbürgerschaft zur Sprache. Die Marktgemeinderätin Elisabeth Tworek (SPD) brachte das Thema in nichtöffentlicher Sitzung im Marktgemeinderat ein, auf Initiative des Historikers Thomas Wagner, der in Riegsee bei Murnau lebt. Eine Debatte gab es jedoch nicht, die Sache wurde vertagt.
Wagner hat eine eindeutige Meinung: »70 Jahre nach Kriegsende und mit dem Wissen über das Weltbild der Nationalsozialisten und die Monstrosität der NS-Verbrechen hat kein klar denkender Mensch Verständnis, wenn ein Mitbegründer der NSDAP-Ortsgruppe Murnau, ein Teilnehmer des Hitler-Putsches und ein langjähriger Profiteur der NS-Regimes als Ehrenbürger von Murnau präsentiert wird.« Der Ort sei mittlerweile international geprägt und beliebt. »Daher sollte man doch von solchen Peinlichkeiten endlich Abschied nehmen und echte Aufarbeitung vorantreiben.«
Tworek will nichts überstürzen. »Ich würde mir wünschen, dass sich der Marktgemeinderat ein Meinungsbild verschafft«, sagt sie. Eine »dif­ferenzierte Diskussion« sei wünschenswert. Auch Bürgermeister Rolf Beuting (ÖDP/Bürgerforum) spricht sich dafür aus, dass sich der Gemeinderat zunächst ein genaueres Bild von Dingler machen sollte.
Mit Dingler beschäftigt sich derzeit auch der Bund Naturschutz. Die Kreisgruppe Garmisch-Partenkirchen und die Ortsgruppe Murnau überlegen, wie sie mit einer 1995 aufgestellten Gedenktafel im Murnauer Moos umgehen sollen. Darauf wird Dingler neben der Naturschützerin Ingeborg Haeckel gewürdigt. Beiden hatten sich für den Erhalt des Mooses eingesetzt.
Anders liegen die Dinge in Kaufbeuren. Dort hat der Stadtrat kürzlich entschieden, die Kurat-Frank-Straße umzubenennen. Sie trug bislang den Namen des Heimatforschers und Geistlichen Christian Frank (1867 bis 1942), Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Deutsche Gaue. 1927 war darin zu lesen: »Wir haben nicht bloß eine immer größer werdende Menge körperlicher Jammergestalten von Erblichbelasteten, Hysterischen, Kretinen usw. mitzuschleppen, die eine wachsende Belastung der Kreise und Gemeinden bilden; sondern wir haben unter uns auch eingesprengt Mengen von politischen Entartungsmenschen, welche planmäßig Fieber des Volkskörpers hervorrufen und den Untergang eines so geschwächten Deutschlands mit ›Hochrufen auf Freiheit, Gleichheit und allgemeine Weltbeglückung‹ begleiten würden.« Im Jahr drauf verlangte die Zeitschrift die unbedingte Abwehr einer »Rassenmischung«.
1933 bejubelte das Blatt die neuen Machthaber. Die Machtübernahme sei die »Erfüllung des heißesten Strebens«. Für die Demokratie hatte Frank nichts übrig, für biologistisches und rassistisches Gedankengut hingegen schon. Die Historikerin Martina Steber vom Institut für Zeitgeschichte in München urteilt: »Sein Denken radikalisierte sich seit der Jahrhundertwende zunehmend und integrierte schließlich biologistische, rassenhygienische und rassenanthropologische Denkmuster. Franks Antiliberalismus und Anti­sozialismus ließen ihn klar Stellung gegen die Weimarer Republik beziehen und die nationalsozialistische Machtübernahme freudig begrüßen.«

Franks Klage über »körperliche Jammergestalten« kam nicht von ungefähr. Er war von 1894 bis 1942 Hausgeistlicher an der Heil- und Pflegeanstalt Irsee. Von dort wurden in der Zeit des Nationalsozialismus Patienten im Zuge der »Euthanasie« nicht nur in spezielle »Tötungsanstalten« deportiert, einige wurden auch mit fettloser Kost, mit Tabletten und Injektionen umgebracht. Forschungen Stebers und Recherchen des Stadtarchivars Stefan Fischer haben den Stadtrat bewogen, in Sachen Kurat Frank zu handeln.
Nun gilt es, einen neuen Straßennamen zu finden. Ernst Lossa könnte die Straße gewidmet werden. Der Junge wurde im Alter von nur 14 Jahren 1944 in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren/Irsee mit einer Überdosis Morphium umgebracht. Er war völlig gesund. Die Nazis hatten ihn aufgrund seiner Herkunft – die Eltern waren fahrende Händler – als »lebensunwert« eingestuft. Derzeit ist ein Film über Lossa in Arbeit. Er soll nächstes Jahr in die Kinos kommen.