Der Parteitag der Piratenpartei

Bizarr sind die anderen

Am vergangenen Wochenende fand in Würzburg der Bundesparteitag der Piratenpartei statt. Große Überraschungen blieben aus, große Aufbruchstimmung ­allerdings auch.

Es ist ruhig um die Piratenpartei geworden – dass der Hype vorbei ist, lässt sich allein schon mit einem Blick auf die Mitgliederzahlen feststellen: 19 040 Piraten sind derzeit registriert, davon sind allerdings nur 5 308 stimmberechtigt. Säumige Beitragszahler können nämlich nicht sofort aus der Partei geworfen werden, sie verlieren zunächst nur die Möglichkeit, an Parteitagen teilzunehmen und abzustimmen. So rechnete denn auch niemand mit großen Überraschungen beim Parteitag in Würzburg.

Aber dann wurde die fast schon beschauliche Ruhe im Piratenland doch noch jäh gestört. Eine knappe Woche vor dem Beginn des Parteitags twitterte Kristos Thingilouthis, der politische Geschäftsführer der Piratenpartei: »Und ganz wichtig für mich als Person!!!! Ich arbeite mit keinem Bizarrem (sic) zusammen!« Wen genau der Immobilienkaufmann, der sich selbst in einem Interview mit einer parteinahen Internetzeitung als »konstruktiv, teamfähig« bezeichnete, damit meinte, ist unklar – auf eine Anfrage der Jungle World antwortete der 40Jährige nicht. In Piratenkreisen hat es sich allerdings eingebürgert, den nur noch in Resten vorhandenen linken Parteiflügel als »Linksbizarre« zu bezeichnen.
Der Tweet gefiel nicht allen in der Partei und so begann das, was ein Teil der verbliebenen Parteianhänger anscheinend bis heute als politisches Engagement betrachtet: Drohungen und Beleidigungen gegen alle, die anderer Meinungen sind, Verschwörungstheorien über Gruppen, die angeblich die Piratenpartei unterwandert haben, um sie zu vernichten, sowie persönliche Angriffe wurden öffentlich unter größtmöglichem Engagement der jeweiligen Kumpels ausgetauscht, wobei auch ehemalige Parteimitglieder munter mitmischten.
Ungefähr zur selben Zeit begann auf Heise.de eine Diskussion darüber, warum die Piratenpartei nicht mehr an ihre Anfangserfolge anknüpfen kann. Ein User namens Ice fasste in seinem Kommentar unter einem Artikel zum Thema zusammen, was auch auf Twitter für manche Parteimitglieder Konsens ist, nämlich dass keinesfalls das öffentliche Auftreten im Internet, die mangelhafte Pressearbeit oder das Fehlen einer charismatischen Person wie Marina Weisband schuld sind, sondern Feministinnen: »Man hat schön viele Feministen-U-Boote reingedrückt, und die ­haben dann die ganze Piratenpartei handlungsunfähig und unglaubwürdig gemacht. Mit voller Absicht, überlegt und geplant. (Ok, der übliche Prozentsatz nützlicher Idioten, die das Gender- und Feministinnen-Gewäsch auch tatsächlich glaubt, ausgenommen)« lautete das Posting unter dem Titel »Genderidiotie und Feministen haben die Piraten versenkt«, das mit dem in solchen Kreisen üblichen Cui bono schloss, jedenfalls fast: »Qui bono? Die etablierten Machtstrukturen.«

So begann der Bundesparteitag fast schon traditionell mit Appellen an die twitternde Basis, an ihren Umgangsformen zu arbeiten. »Wir veranstalten regelmäßig Schlammschlachten, die nicht mal RTL2 übertragen würde«, rief ein genervtes Mitglied unter dem Beifall der Teilnehmer – warum ausgerechnet 2015 klappen sollte, was all die Jahre zuvor erkennbar nicht funktioniert hat, nämlich auf die Außenwirkung zu achten, blieb jedoch unklar.
Dennoch blieben am Ende die Überraschungen aus. Im Gegensatz zu den Parteitagen des vergangenen Jahres wurde weder ein neuer Vorsitzender noch ein neuer politischer Geschäftsführer gewählt. Auch spektakuläre Abrechnungen blieben aus, was vor allem daran liegen dürfte, dass viele der linken Parteimitglieder bereits im vorigen Jahr ausgetreten waren (die angekündigte Gründung einer linken Piratenpartei ist übrigens bis heute ausgeblieben). Natürlich sei er sehr zufrieden, sagte Stefan Körner, der wiedergewählte Vorsitzende der Piratenpartei, der Jungle World, das alte Team des Bundesvorstands sei im wesentlichen wiedergewählt worden. »Was die Leute positiv wahrgenommen haben, war, dass wir als Vorstand vor Ort waren, unter anderem bei Pegida-Gegendemos.« Nun wolle man sich darauf konzentrieren, 2017 in den Bundestag einzuziehen. »Das wird natürlich nicht so einfach wie vor einigen Jahren, als wir noch neu und deswegen berichtenswert waren«, räumte Körner ein, »aber wir werden durch kreative Aktionen, die gute Bilder liefern, auffallen.«
Da dürfte es jedoch nicht reichen, nur im Internet, der natürlichen Heimat der Piratenpartei, präsent zu sein. Auf dem Parteitag hatte Körner erklärt: »Wir haben zwar 150 000 Follower auf den wichtigen Kanälen, aber wir bewegen uns damit trotzdem in einer Blase. Wenn wir einen Tweet über den Bundesaccount schicken, erreichen wir immer die gleichen Leute. Zum Vergleich: Die Augsburger Zeitung hat eine Auflage von 220 000 Exemplaren – ein guter Artikel dort bringt mehr als zwei gute Tweets auf unseren Social-Media-Kanälen.«
Körner freue sich im Übrigen besonders, dass das Positionspapier 010, kurz PP010, wenn auch mit knapper Mehrheit, angenommen wurde. »Ich konnte vorab nicht einschätzen, wie die Abstimmung ausgehen würde«, gab der Parteivorsitzende zu.
Unter der Überschrift »Gegen Antisemitismus und Antizionismus« heißt es in dem Positionspapier: »Die Piratenpartei lehnt entschieden jegliche Form von Antisemitismus ab und schließt jede Zusammenarbeit und Unterstützung von antisemitischen und antizionistischen Gruppierungen aus.« Nicht alle Parteitagsteilnehmer wollten allerdings, dass dies auch offizielle Position der Piratenpartei wird. In der kurzen Aussprache zum Thema wurde praktisch alles aufgeboten, was der durchschnittliche Israelhasser zum Thema zu sagen hat. Als die Versammlung dann auch noch beschloss, geheim abzustimmen, ging man auf Twitter allgemein davon aus, dass PP010 wohl durchfallen werde. Am Ende fiel die Mehrheit knapp aus: 172 Mitglieder und damit 49,4 Prozent der Anwesenden stimmten mit Ja, 42,4 Prozent mit Nein und 9,2 Prozent enthielten sich – bei Positionspapieren reicht eine einfache Mehrheit zur Annahme.
Das nicht eben eindeutige Votum führte besonders unter linken Ex-Parteimitgliedern zu einiger Häme. Boris Turovsky, der Antrag PP010 erstellt hatte, zeigte sich gleichwohl zufrieden: »Mir ist es egal, mit wie viel Prozent er angenommen wurde, Hauptsache ist, er wurde angenommen«, sagte er der Jungle World. Etwas später twitterte er jedoch: »Nächstes Ziel: die 42,4 % aus der Partei zu jagen;)«. Der jüdische Pirat war nach der Annahme des Antizionismus-Antrags von einigen Parteimitgliedern und Ex-Mitgliedern heftig angegriffen worden, ein Twitterer namens NetRea­per hatte ihm unter anderem geschrieben: »Ich bin sicher, dass du einen guten SS-Offizier und Planer/Helfershelfer des Holocaust abgegeben hättest mit deiner Ideologie«, und fügte hinzu: »Du bist halt auch nicht weniger irre als die #killallmen Feministinnen.«

Im Gegensatz zum letzten Parteitag, als Linke die Piratenpartei verließen, wurden diesmal kaum Austritte vermeldet. Einer dürfte allerdings besonders schmerzen – der von Markus Katharina Bechtel. Die genderqueere Bechtel war Gründungsmitglied der Partei. Die Abgeordnete im Kreistag von Darmstadt-Dieburg sagte der Jungle World, sie sehe »keine Perspektive mehr für mich und linke Politik«. Der Parteitag habe »alle Richtungsentscheidungen von Halle bestätigt, die Personalentscheidungen kann ich nicht mittragen«. Es herrsche »ein Klima, in dem linke und antifaschistische Strömungen mit Argwohn betrachtet werden, keine Solidarität gelebt wird und Menschen als ›linksbizarr‹ diffamiert werden«.
Es war ein SPD-Kreistagsabgeordneter, der Bechtels Austritt auf Twitter publik machte, verbunden mit hämischen Bemerkungen in Richtung Piratenpartei. Das besage gar nichts, sagt Bechtel, sie werde »ganz bestimmt« nicht zu den Sozialdemokraten wechseln, denn die SPD gebe sich zwar sozial, »legitimiert aber eine Herrschaft, die Menschen unterdrückt, durch rassistische Abschiebungen, Hartz IV, Überwachung, Repression, Nationalismus und so weiter.« Bechtel wolle derzeit nicht in eine andere Partei eintreten, »weil ich von Parteiendemokratie desillu­sioniert bin. Ich möchte mich jetzt politischen Projekten außerhalb der Parteienlandschaft zuwenden, die emanzipatorisch, progressiv und antirassistisch wirken, und mich bis zum Ende der Legislaturperiode mit meinem Kreistagsmandat für Geflüchtete einsetzen und soziale Missstände kritisieren.«

Der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen warnt allerdings davor, die Piratenpartei schon abzuschreiben. »In Zeiten von großen Koalitionen steigen die Chancen der kleinen Parteien.« Transparenzfragen, Privatheit, Internet – das beschäftige die Gesellschaft sehr. »Diese Partei ist für diese Themen nicht nur legitimiert, sondern hat auch den Sachverstand dafür. Das muss sie nun über ein, zwei sichtbare Personen klug bündeln und dann kann sie noch einmal versuchen, anzugreifen.«
Nun wollen die Piraten für ihr großes Ziel, den Wahlerfolg im Jahr 2017, arbeiten. Ein wichtiges Signal wäre der Wiedereinzug ins Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 2016. Parteichef Körner ist zuversichtlich, dass dies trotz der Austritte einiger prominenter linker Berliner Abgeordneter gelingen kann. »Der Berliner Landesverband nimmt die anstehenden Wahlen sehr ernst und er wird hoffentlich eine Liste erstellen, die Zustimmung in allen Teilen der Partei findet«, so Körner. In der letzten Forsa-Umfrage vom 29. Juni liegt die Berliner Piratenpartei allerdings nur bei vier Prozent.
Bundesweit sieht es nicht besser aus. Bei den großen Umfrageinstituten werden die Werte für die Partei seit Herbst 2013 ohnehin nicht mehr ausgewiesen, sondern unter »Sonstige« mit denen anderer Splitterparteien zusammengefasst.