Im »Friedensprozess« mit der PKK geht es der türkischen Regierung nicht um den Frieden

Lösungsprozess mit Tücken

Woran der »Friedensprozess« mit der kurdischen Bewegung in der Türkei scheitert.

Die Türkei droht in das Terrorszenario der neunziger Jahre zurückzufallen: Bomben, Anschläge, Morde. Jeder Anschlag auf eine Polizeiwache zieht eine Anti-PKK-Demonstration nach sich, die dann durch die gewaltige Medienmaschine der Regierung landesweit als eine Art Wahlkampfclip gegen die prokurdische HDP genutzt werden kann. Neuwahlen im November sind so gut wie sicher, weil Präsident Recep Tayyip Erdoğan sie will.
Dem steht der Ruf nach einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses auch von Seiten europäischer Politiker entgegen. Doch ist nicht vielleicht einer der Gründe für das Scheitern, dass es eben keinen wirklichen Friedensprozess gab, sondern nur ein Hinhalten, das Erdoğan so neutral wie möglich als »Lösungsprozess« bezeichnete?
Einige Zweifel an dem »Lösungsprozess« bringt Cemil Bayık, den man als Feldkommandanten der PKK bezeichnen kann, in einem Artikel für PKK-nahe Medien zum Ausdruck: »Ohne zu sagen, wie die Lösung sein soll, ist es nur Demagogie oder Selbsttäuschung, von einem Lösungsprozess oder von einer Lösung zu sprechen.«
Bayık spricht damit die politische Inhaltslosigkeit des Prozesses an. Ultimativ wurden der Abzug der PKK aus der Türkei und die Abgabe der Waffen gefordert. Gleichzeitig hat die Türkei ihre Militärstützpunkte von Anfang an ausgebaut und Erdoğan hat mehrfach erklärt, es gebe gar kein Kurdenproblem in der Türkei. Nicht einmal die Andeutung irgendeines politischen Zugeständnisses an die kurdische Seite war zu vernehmen.
Zudem kritisiert Bayık, dass der Friedensprozess durch die Isolation Abdullah Öcalans auf der Gefängnisinsel İmralı ebenfalls zur Farce werde. Alle Fäden in diesem Prozess laufen bei Öcalan zusammen und von dort weiter zu Erdoğan. Kann Erdoğan den Friedensprozess gerade nicht brauchen, werden Besuche bei Öcalan untersagt. Was sind das für Verhandlungen, bei denen die eine Seite ihren Verhandlungspartner nach Gutdünken von seinen Leuten isolieren kann?

Allerdings ließe sich Öcalans Rolle bei den Verhandlungen noch weiter hinterfragen, was Bayık wohlweislich unterlässt. Da ist einmal Öcalans völlige Abhängigkeit von der türkischen Obrigkeit. Das zu erwähnen verbietet sich von kurdischer Seite, weil dadurch Öcalans Integrität in Frage gestellt würde. Aber als Anfang Oktober 2014 Kobanê zu fallen drohte und deshalb in den kurdischen Provinzen der Türkei Unruhen ausbrachen, war in türkischen Zeitungen zu lesen, man habe Öcalan mit lebenslanger Totalisolation gedroht, wenn er die kurdische Bewegung nicht beruhige.
Faktisch hat Öcalan Erdoğan sowohl bei den Gezi-Protesten als auch bei den Korruptionsskandalen unterstützt, indem er die Zurückhaltung der kurdischen Bewegung erreichte. Zudem ist fraglich, ob der einseitige Waffenstillstand der PKK zweieinhalb Jahre weitgehend eingehalten woren wäre, hätte Öcalan sich nicht ins Zeug ­gelegt. Natürlich war es gut, dass die Waffen schwiegen, aber offensichtlich verspürte Erdoğan auch keinen Druck, den Friedensprozess mit Hilfe politischer Zugeständnisse voranzutreiben. Spricht man Kurdinnen und Kurden kritisch auf die Rolle Öcalans im Friedensprozess an, dann heißt es, er sei der einzige, der die Waffen zum Schweigen bringen könne. Aber genau da liegt das Problem: Mit Öcalan wird die kurdische Frage auf ein Sicherheitsproblem reduziert. Anders ­gesagt, auf ein Terrorismusproblem. Das ist genau der politische Standpunkt, mit dem die Türkei längst gescheitert ist, den aber nun Erdoğan wieder einnimmt, weil er politisch bequem ist.

Zehn Jahre nach seiner Rede in Diyarbakır, in der er eine Lösung der kurdischen Frage versprach, ist es klar, dass Erdoğan nur taktische Spiele treibt. Doch nach ihrem Wahlerfolg und nachdem sich bei einem guten Teil der Opposition die Haltung zur kurdischen Frage geändert hat, könnte die HDP die kurdischen Anliegen auch auf der politischen Ebene auszufechten suchen. So schwer es angesichts der Angriffe des Militärs auch fällt: Ein einseitiger Waffenstillstand ohne Verhandlungen mit Erdoğan wäre eine Option. Die kurdische Bewegung könnte das tun, was sie bei den Gezi-Protesten versäumte: auf eine gemeinsame Opposition gegen Erdoğan zu setzen.