Die Kärtner Schuldenkrise

Kein Cent für die Pleite-Kärntner!

Das österreichische Bundesland Kärnten steckt wegen seiner Haftungen für die Bank Hypo Alpe Adria in einer schweren Schuldenkrise. Die österreichische Regierung fürchtet um die Bonität des ganzen Landes.

Kärnten ist das Griechenland Österreichs. Das wird in letzter Zeit zumindest immer häufiger behauptet. Tatsächlich lassen sich einige Parallelen feststellen. Da wäre eine neu gewählte Regierung, die auf dem Schuldenberg ihrer Vorgänger sitzt und sich von einer übergeordneten politischen Instanz Hilfestellungen erhofft, um der drohenden Insolvenz zu entgehen. Der vom Boulevard liebevoll »Karawanken-Varoufakis« genannte sozialdemokratische Landeshauptmann Kärntens, Peter Kaiser, wollte, ähnlich wie der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, einen Neubeginn einläuten, wird jedoch seit Amtsantritt zu einer rigiden Sparpolitik gedrängt. Viel weiter gehen die Ähnlichkeiten allerdings nicht. Zu unterschiedlich sind die involvierten Rechtssubjekte und die ökonomischen Voraussetzungen. Dennoch ist die Grundmisere die gleiche: Kärnten muss, wie Griechenland, um jeden Preis verhindern, dass die von ihm getragenen Haftungen zur Gänze fällig werden. Bei diesem Vorhaben muss es jedoch, wie Griechenland, derzeit einen Rückschlag nach dem nächsten in Kauf nehmen.
Ende Juli kippte der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) endgültig das im August vergangenen Jahres erlassene Sondergesetz zur Sanierung des Bankkonzerns Hypo Alpe Adria. Mit diesem Gesetz versuchte die Regierung, bestehend aus der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), auf politischem Weg Forderungen in Höhe von rund 800 Millionen Euro für nichtig zu erklären. Grund für die Verfassungswidrigkeit war das Vorhaben, die vom Bundesland Kärnten getragenen Haftungen auf Nachranganleihen außer Kraft zu setzen, das heißt auf jene Anleihen, die im Falle einer Insolvenz zuletzt bedient werden müssten. Dies widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz und stelle einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Eigentums dar, heißt es in der Urteilsbegründung des VfGH. Die Nachranggläubiger müssen daher wie alle anderen Gläubiger auch behandelt werden und haben somit noch immer die Chance, zumindest große Teile ihres Geldes zu erhalten.
Die Haftungen des maroden Bundeslandes Kärnten bleiben dementsprechend zur Gänze gültig, worauf die Ratingagentur Moody’s sogleich mit der Abwertung Kärntens um vier Stufen, von Ba2 auf B3 reagierte. Investitionen in Kärntner Landesanleihen gelten damit als »hochspekulativ«, da die auf elf Milliarden Euro bezifferten Landeshaftungen nun doch zur Gänze fällig werden könnten. Der einzige Grund, warum das Rating nicht noch negativer ausfiel, liegt in dem Glauben, dass im Falle einer Insolvenz Kärntens der Bund im Notfall für die Haftungen aufkommen würde. Das gekippte Gesetz bildet die vorerst letzte Etappe in der politischen Sisyphos-Aufgabe, den Schuldenberg, den die Bank über Jahre angehäuft hat, für den Staat Österreich auf ein erträgliches Maß zu bringen. Nach Zypern und Griechenland war dies der dritte Versuch eines Landes der Euro-Zone, sich auf gesetzlichem Weg Schuldforderungen mit öffentlichen Haftungen zu entledigen.

Wie kam es zu dieser Situation? Als ehemalige Kärntner Landesbank expandierte die Hypo Alpe Adria nach der Auflösung Jugoslawiens vor allem in Richtung Kroatien und Slowenien und brachte mit riskanten Kreditgeschäften enorme Summen an fiktivem Kapital in Umlauf. Unter Jörg Haider, der 1999 erneut zum Kärntner Landeshauptmann gewählt wurde, wurden diese Geschäfte vor allem mit kroatischen Immobilien- und Infrastrukturprojekten zusätzlich angespornt. Gegen Provisionszahlungen übernahm Kärnten die vollen Haftungen für die Anleihen der Bank, wodurch die Landeshaftungen für die Hypo zwischen 2000 und 2006 um mehr als das dreifache des ursprünglichen Betrags auf 24,7 Milliarden Euro anstiegen. 2003 wurde von der EU-Kommission ein Beschluss verabschiedet, wonach die Landeshaftungen ab dem 1. April 2007 auslaufen müssen. Die Übergangszeit wurde von der Hypo genutzt, um die riskanten Geschäfte weiter auszubauen. Haider finanzierte auf diesem Weg seine ehrgeizigen Projekte, die von überdimensionierten und heute mehr oder weniger nutzlosen Stadien bis zum Verteilen von 100-Euro-Scheinen an die Kärntner Bevölkerung reichten. 2007 wurde die damals schon reichlich marode Bank an die Bayerische Landesbank verkauft, welche die Expansion Richtung Osteuropa noch intensivierte. Bis schließlich, auch durch den Einfluss der Finanzkrise 2008, alles in die Brüche ging und riesige Massen an fiktivem Kapital abgeschrieben werden mussten. Da jedoch die Haftungen für die faulen Kredite auch nach dem Verkauf noch größtenteils in Österreich lagen, wurde die Hypo zurückgekauft und notverstaatlicht. Der Rückkauf der Hypo gilt bis heute als eine der größten Streitfragen in der Angelegenheit, da viele Kommentatoren der Meinung sind, dass eine Insolvenz der Bank für den Staat Österreich weniger schadensträchtig gewesen wäre und sich das österreichische Verhandlungsteam in der Sache von den Bayern habe erpressen lassen.
Kurz nach dem Rückkauf entbrannte ein Rechtsstreit zwischen Bayern und Österreich, ob die von der Bayerischen Landesbank in die Hypo geflossenen Beträge als schuldenträchtige Kredite oder als nicht mehr von der Hypo zu begleichender Eigenkapitalersatz behandelt werden sollten. Außerdem meinte die BayernLB, sie sei beim Kauf der österreichischen Bank über deren Zustand getäuscht worden. Der bayerische Finanzminister Markus Söder sprach daher auch vor einigen Monaten davon, dass Wien gegenüber Bayern Töne anschlage, die man sonst nur aus Athen gegenüber Berlin kenne und prophezeite, dass Österreich nach Griechenland der nächste europäische Problemfall werden könnte. Das Landesgericht München gab schließlich im Mai, nach eineinhalb Jahren juristischer Querelen, der Bayerischen Landesbank recht, worauf sich beide Parteien auf einen Ausgleich einigten, bei dem die Schuldforderungen an die Hypo von 2,5 auf 1,23 Milliarden Euro reduziert wurden.
Mit diesem Ergebnis konnte vor allem Österreich gut leben, da sich das Ausmaß des Schadens in Grenzen hielt und die Hauptsorge vorerst aus der Welt war, auf den Finanzmärkten von nun an als unzuverlässiger Schuldner betrachtet zu werden. Zugleich versuchte die österreichische Regierung seit 2012, die intakten Teile der Bank schnellstmöglich zu verkaufen, während die nicht mehr verwertbaren Altlasten in der Heta Asset Resolution, einer eigens gegründeten Abbaugesellschaft, deponiert wurden. Diese untersteht mittlerweile der Finanzmarktaufsicht und es wird versucht, den darin untergebrachten Immobilien-, Anleihen- und Firmenanteilsschrott mit möglichst wenig Schaden für die öffentliche Hand abzuwickeln.

Das vom Verfassungsgerichtshof am 28. Juli gekippte Gesetz hätte durch die Entwertung der Nachranganleihen für Kärnten zumindest eine kleine Erleichterung gebracht. Nun ist die Lage für das südlichste und zugleich ärmste Bundesland Österreichs umso düsterer. 2013 wurde nach mehreren Jahrzehnten die politische Vorherrschaft der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) beziehungsweise von Haiders Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ) in Kärnten gebrochen. Die amtierende Regierungskoalition, bestehend aus SPÖ, ÖVP und den Grünen, sieht sich jedoch mit einem nicht zu bewältigenden Schuldenberg konfrontiert und wird von der Bundesregierung zu drastischen Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor genötigt. Kärnten hat Schulden in Milliardenhöhe und fordert, dass der Bund zumindest Teile der Landeshaftungen übernimmt. Finanzminister Hans Jörg Schelling von der ÖVP hat dies jedoch vor kurzem erneut vehement ausgeschlossen, da verhindert werden soll, dass die Kärntner Misere noch mehr auf den Bund übergreift, als sie es ohnehin schon getan hat.
Derzeit gehen nämlich auch einige Gläubiger gegen das Bundesgesetz zur Sanierung und Abwicklung von Banken vor. Dieses basiert auf der EU-Richtlinie zur Bankenabwicklung und trat Anfang des Jahres in Kraft. Im Zuge dessen wurde ein Zahlungsmoratorium auf Verbindlichkeiten der Heta Asset Resolution verhängt, das vorerst bis Ende Mai 2016 gelten soll. Dagegen führen die klagenden Gläubiger ins Feld, dass die EU-Bankenabwicklungsrichtlinie nur Geschäftsbanken und keine Abwicklungsgesellschaften umfasse, wie die Heta, die seit Ende 2014 über keine Bankenlizenz mehr verfügt. Gewinnen die Gläubiger nun vor Gericht und bringen auch dieses Gesetz zu Fall, müsste Kärnten die vollen Haftungen weiterhin tragen, was das Schuldenvolumen des Landes wohl endgültig nicht mehr tragfähig machen würde. In diesem Fall wäre eine Insolvenz Kärntens trotz rigider Sparmaßnahmen nicht mehr auszuschließen, wofür es jedoch bis dato keinen Präzedenzfall gibt. Daher wird angenommen, dass, würde Kärnten tatsächlich zahlungsunfähig werden, der Bund erneut einspringt. Womit genau das erreicht wäre, was die Regierung mit einigem Aufwand zu verhindern versucht: eine Abwertung des Finanzstandorts Österreich wegen der Kärntner Krise.

Ökonomische Fragen spielen in der Debatte um die Abwicklung der Hypo in Österreich allerdings eine untergeordnete Rolle, sie werden einigen Wirtschaftskommentatoren überlassen. Vielmehr wird die Angelegenheit als ein riesiger Kriminalfall behandelt. Die tatsächlich exorbitante Bereicherung einiger involvierter Akteure wird zum bestimmenden Thema und verschiedenste Untersuchungskommissionen – mit klingenden Namen wie »CSI Hypo« – wurden eingesetzt, um die Verantwortlichen ausfindig zu machen, wodurch dem ideellen Gesamtsteuerzahler auch ein paar Bösewichte präsentiert werden können. Wie immer wird im Nachhinein das staatlich forcierte Expansionsbestreben einer Bank auf die Gier und Korruption einiger Beteiligter zurückgeführt. Dabei könnten die Probleme, in die die ebenfalls österreichische Raiffeisenbank vor kurzem geraten ist, Aufschluss darüber geben, dass der Fall Hypo Alpe Adria sich höchstens quantitativ vom Vorgehen anderer europäischer Banken unterschieden hat, die seit dem Zerfall der realsozialistischen Staaten die Transformationsprozesse der dadurch entstandenen Kleinstaaten für lukrative Geschäftsmöglichkeiten genutzt haben.
Auch die Raiffeisenbank kam Anfang des Jahres in die Schlagzeilen, da sie durch riskante Osteuropageschäfte in ernsthafte Bedrängnis geraten ist. Die im Zuge der Finanzkrise verstärkten Kontrollmechanismen konnten jedoch in diesem Fall eine Pleite verhindern. Im Hinblick auf die Abwicklung der Hypo werden der jüngste, gescheiterte Versuch der Regierung, sich der Schuldforderungen politisch zu entledigen und die Kosten für den Staat, die damit verbunden sind, wohl eine neue Etappe der Schuldsuche einleiten. Das ist für die Oppositionsparteien eine attraktive Gelegenheit. Denn egal, wer als der nächste große Schuldige auserkoren wird: Der normale Gang der Marktwirtschaft kann nichts mit der Misere zu tun haben.