Deutsche Exporte nehmen weiter zu

Exportextremisten

Mit Hermes-Bürgschaften wird der deutsche Export unterstützt. Menschenrechte, lokale Konkurrenten und Volkswirtschaften geraten unter die Räder der geballten ökonomischen Macht Deutschlands – mit schweren Folgen, auch für die Stabilität der globalen Wirtschaft.

In diesem Sommer hat Siemens den größten Auftrag in seiner Unternehmensgeschichte an Land gezogen: Für acht Milliarden Euro wird der Dax-Konzern drei Gaskraftwerke und zwölf Windparks ins politisch unruhige Ägypten liefern. Das unternehmerische Risiko ist begrenzt: Zur Not dürfte es die öffentliche Hand tragen. Denn Siemens hat für einen erheblichen Teil des Geschäfts staatliche Hermes-Bürgschaften beantragt. Das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium prüft, ob der Bund die Deckung übernimmt. Das ist wahrscheinlich, und so wird der deutsche Staat einspringen, falls die ägyptische Regierung nicht zahlt.
Deutsche Unternehmen zwingen Konkurrenten und Volkswirtschaften auf der ganzen Welt in die Knie und übertreffen sich dabei von Jahr zu Jahr.Der schwache Euro, der niedrige Ölpreis – die Geschäfte laufen prächtig. Und doch rufen Repräsentanten der Wirtschaft nach weiterer staatlicher Exportförderung. Vertreter der vier wichtigsten Verbände der deutschen Exporteure fordern von der Bundesregierung eine Ausweitung der staatlichen Bürgschaften – um »mehr Wettbewerbsfähigkeit« zu erreichen, wie es in einem gemeinsamen Positionspapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), des Bundesverbands deutscher Banken, des Außenhandelsverbands BGA und des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer heißt. Die sogenannten Hermes-Bürgschaften sollen nach dem Willen der Verbände von der Bundesregierung künftig auch dann übernommen werden, wenn die ins Ausland gelieferten Produkte überwiegend aus importierten Komponenten bestehen. Dann könnten die Exporteure das unternehmerische Risiko noch häufiger auf die öffentliche Hand übertragen, als es bereits jetzt der Fall ist.

Hermes ist in der griechischen Mythologie der Schutzgott der Kaufleute – aber auch der Diebe. Dass ist allerdings nicht der Grund, warum die staatlichen Exportbürgschaften diesen Namen tragen. Sie heißen so, weil der private Warenkreditversicherer Euler Hermes – eine Tochter des Allianz-Konzerns – das Geschäft mit den Bürgschaften für den Staat abwickelt. Gerade Großprojekte im Ausland sind für Unternehmen riskant. Sie laufen lange. Der Auftraggeber kann Pleite gehen, nach politischen Umbrüchen können die Lieferanten auf ihren Rechnungen sitzen bleiben. Mit Hermes-Bürgschaften schützen sie sich davor.
Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass Lieferanten keinen privaten Versicherer finden. Für menschenrechtliche oder ökologische Aspekte der zu schützenden Großprojekte interessieren sich die privaten Anbieter nicht. Auch der Staat nimmt bei der Vergabe der Bürgschaften zu wenig Rücksicht darauf, kritisieren Menschenrechtsorganisationen und andere NGOs wie Amnesty International oder Urgewald e.V. immer wieder. Regelmäßig gibt es Proteste, wenn etwa bei der Errichtung von mit Hilfe der Bürgschaften versicherten Staudammprojekten Menschen vertrieben werden. Die Vergabe der Hermes-Bürgschaften steht also unter Beobachtung. Die Wirtschaftsverbände der Exporteure warnen allerdings, dass die Bundesregierung nicht auf dumme Gedanken kommen und es mit den Auflagen nicht zu weit treiben soll. Es sei »sicherzustellen, dass es zu keiner Überfrachtung des Instruments durch zusätzliche umwelt- und sozialpolitische Vorgaben« komme, fordern sie in ihrem Positionspapier.
Die Unternehmen bekommen die Bürgschaften nicht umsonst, sie zahlen dafür Gebühren. Allein im ersten Halbjahr 2015 hat der Bund so fast 300 Millionen Euro eingenommen. Den Exporteuren geht es nicht darum, weniger zu zahlen. Ausdrücklich bekunden die Wirtschaftsverbände in ihrem Positionspapier, dass sie im Zweifel lieber eine höhere Gebühr wollen als einen höheren Eigenanteil beim Risiko, das der Bund nie zu 100 Prozent deckt.

Zurzeit deckt der Bund mit den Hermes-Bürgschaften Anteile an Lieferungen im Wert von 89 Milliarden Euro. Zu den Voraussetzungen für die Risikoübernahme gehört, dass die Bestandteile der Ausfuhren zu höchstens 49 Prozent aus dem Ausland stammen. Den Wirtschaftsverbänden ist das zu niedrig. Sie fordern einen Zulieferanteil von bis 75 Prozent. »In vielen Ländern sind Instrumente nicht an vergleichbar strenge staatliche Vorgaben gebunden. Sie können Marktanforderungen daher besser erfüllen«, kritisiert Stefan Mair, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Das Bundeswirtschaftsministerium signalisiert Entgegenkommen. »Die Bundesregierung ist stets bestrebt, die Hermesdeckungen im Dialog mit der Exportwirtschaft weiterzuentwickeln und an die sich stets ändernden Marktbedingungen anzupassen«, heißt es im Wirtschaftsministerium. Die Regierung habe schon auf die zunehmende Internationalisierung der Wertschöpfungsketten reagiert: »Bereits heute besteht die Möglichkeit, in begründeten Einzelfällen mehr als 49 Prozent ausländischer Zulieferungen in eine Hermesdeckung einzubeziehen.« Die Exporteure wollen, dass das zum Regelfall wird.
Doch Hilfe brauchen sie keineswegs. Kein anderes Land exportiert im Verhältnis zu seiner Größe so viel wie die Bundesrepublik. Allein in den ersten sechs Monaten 2015 konnten deutsche Unternehmen den Wert ihrer Lieferungen ins Ausland um sieben Prozent auf 595,3 Milliarden Euro steigern. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt für das Gesamtjahr hat ein Volumen von 299,1 Milliarden Euro. Auch für die zweite Jahreshälfte wird ein kräftiges Wachstum erwartet. Daran wird auch das abgeschwächte Wirtschaftswachstum in China, dem fünftgrößten Empfängerland deutscher Waren, nichts ändern. China hat gerade seine Währung abgewertet, um den Exporte zu stärken. Dadurch werden zwar Einfuhren aus der Bundesrepublik teurer, die von deutschen Unternehmen dort hergestellten Waren und Vorprodukte aber billiger.

Stark zugelegt haben im ersten Halbjahr auch Rüstungsexporte aus Deutschland. Das Bundeswirtschaftsministerium genehmigte die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 6,35 Milliarden Euro – fast so viel wie im gesamten Jahr 2014 mit 6,5 Milliarden Euro. Die Ausfuhren in arabische Staaten haben sich nahezu verdoppelt. Im ersten Halbjahr 2015 neu übernommen hat die Bundesregierung die Bürgschaft für den Bau zweier U-Boote für Ägypten im Wert von einer halben Milliarde Euro.
Nicht nur die Rüstungsexporte sind gefährlich. Die geballte Exportmacht der deutschen Konzerne sorgt für Turbulenzen. Immer wieder prangern die EU, die OECD und die USA den enormen Exportüberschuss Deutschlands an, also die Tatsache, dass es mehr Produkte und Dienstleistungen ins Ausland verkauft, als es selbst einführt. Kein anderes Land hat einen so hohen Exportüberschuss wie Deutschland, 2014 waren es 216,9 Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt in anderen Ländern. Ihre Volkswirtschaften leiden darunter, dass einheimische Unternehmen ihre Produkte nicht absetzen können. Übermäßiger Export bedeutet immer auch den Export von Erwerbslosigkeit und den Aufbau von Schulden anderswo. Wohin das langfristig führt, ist in Griechenland zu besichtigen.
Die Regeln der Europäischen Union sehen vor, dass der Wert der Ausfuhren eines Landes nicht mehr als sechs Prozent seines Bruttoinlandsprodukts betragen darf. Im vergangenen Jahr lag Deutschland bei 7,5 Prozent. Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass auch in den kommenden Jahren sechs Prozent deutlich überschritten werden. Immer wieder fordern USA, OECD und EU vergeblich politische Maßnahmen von Deutschland, um das zu ändern. Das könnten mehr Investitionen im Inland, die Stärkung der Binnennachfrage etwa durch die steuerliche Entlastung von Niedrigverdienern oder die Erhöhung des Mindestlohns sein. Anders als gegenüber den Opfern der expansiven deutschen Exportpolitik, etwa Griechenland, beschränkt sich die EU gegenüber der deutschen Regierung jedoch auf folgenlose Rügen. Von Sanktionen sieht sie ab.
Seit 2006 überschreitet Deutschland den Grenzwert von sechs Prozent. Die EU könnte Korrekturen fordern und bei Ausbleiben der Maßnahmen Strafzahlungen in Höhe von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung verhängen. Das wären im Falle der Bundesrepublik einige Milliarden Euro. Aber Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat durchgesetzt, dass die EU Handelsbilanzüberschüsse nicht bestraft. Das Signal ist deutlich: Keine Instanz, keine überstaatliche Organisation wird dem maßlosen Exportstreben der Bundesregierung entgegentreten. Schlechte Aussichten für Europa.