Die Oberbürgermeisterwahl in Köln muss verschoben werden

Kölner Brauchtumspflege

In Köln muss die Oberbürgermeisterwahl verschoben werden. Eine Provinzposse aus Deutschlands viertgrößter Stadt.

Für Jochen Ott läuft es nicht rund: »Ich bin stinksauer.« In den vergangenen Tagen hat Kölns SPD-Vorsitzender diesen Satz in unzählige Mikrophone gesagt. Er hat allen Grund dazu: Wegen fehlerhafter Stimmzettel muss die eigentlich für den kommenden Sonntag geplante Oberbürgermeisterwahl in der viertgrößten Stadt Deutschlands auf den 18. Oktober verschoben werden. Für den sozialdemokratischen Kandidaten ist das ein Desaster. »Es muss doch möglich sein, dass hier eine ordentliche Wahl organisiert wird«, zeterte er. Nach dem Verlust seines Ratsmandates vor wenigen Monaten droht der nächste Reinfall. Denn Ott wird wohl ausbaden müssen, was seine Parteifreunde in der Kölner Stadtverwaltung angerichtet haben.
»Mir wird durch den Wahlzettel ein Vorteil unterstellt, den ich überhaupt nicht haben will«, beklagt sich der 41jährige Oberstudienrat a. D. Denn in seiner Wahlkampagne hatte Ott nicht mit seiner Parteizugehörigkeit geworben. Auf den Plakaten fehlt der Hinweis auf die SPD sogar. Auf den offiziellen Stimmzetteln der Stadt prangten dafür neben seinem Namen die drei Buchstaben umso größer. Das jedoch war unzulässig, wie die Bezirksregierung als aufsichtsführende Behörde nun befand. Die Wahl musste verschoben werden, die verantwortliche sozialdemokratische Wahlleiterin Agnes Klein zurücktreten.
Dabei hätte ein Blick in die Kommunalwahlordnung des Landes genügt. Dort hätte die Wahlleiterin den Hinweis entdecken können, dass »das Muster der Anlage 17c« für die Oberbürgermeisterwahl »maßgebend« ist. Diesem Muster ist auf einen Blick zu entnehmen, dass sich die Schriftgröße des Namens des Kandidaten nicht von dem der Partei oder Wählergruppe, für die er kandidiert, unterscheiden sollte.
Um diese Layoutvorgabe hatte sich in Köln allerdings noch nie jemand geschert. Seit der ersten Direktwahl des Oberbürgermeisters vor 16 Jahren prangten stets die Parteinamen weitaus größer auf dem Zettel als die der Kandidaten. Dass dies eine unrechtmäßige Benachteiligung der Einzelbewerber sein könnte, kam keinem Verantwortlichen in den Sinn: Wo kein Kläger, da kein Richter. Das dürfte daran gelegen haben, dass die jeweiligen Einzelbewerber bislang ohnehin als völlig chancenlos galten.
Eingeführt hat den nicht regelkonformen Stimmzettel 1999 der damalige Stadtdirektor und Wahlleiter Bernhard Wimmer (CDU). Dreimal wurde seitdem damit der Kölner Oberbürgermeister gewählt. Nun gilt im Rheinland die ungeschriebene Regel: Einmal ist keinmal, zweimal ist Tradition und dreimal ist Brauchtum. In diesem Sinne hat sich die SPD-Politikerin Klein also eigentlich nur um die Brauchtumspflege verdient gemacht, auf die in der Domstadt viel Wert gelegt wird. Auch wenn sie dabei etwas übereifrig agierte, indem sie die Parteinamen diesmal noch ein bisschen größer als in der Vergangenheit drucken ließ. Dummerweise gibt es jedoch eine Besonderheit bei der diesjährigen Wahl: Von den im Rat vertretenen Parteien schicken nur die SPD und die AfD einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Diese stehen auf den Plätzen eins und drei. Dazwischen findet sich auf Platz zwei Mark Benecke von der Partei »Die Partei«. CDU, Grüne und FDP haben sich diesmal auf eine gemeinsame Kandidatin verständigt: die Parteilose Henriette Reker, seit 2010 auf Vorschlag der Grünen Sozialdezernentin in Köln. Klassifiziert als »Einzelbewerberin« und an vorletzter Stelle stand Reker, dank des fehlenden dicken Parteienkürzels, etwas verloren auf dem ursprünglichen Wahlzettel.

Um eine Überprüfung gebeten, kam die Bezirksregierung am Dienstag vergangener Woche zu dem Schluss, dass der »Stimmzettel für die Kölner Oberbürgermeisterwahl in seiner Ausgestaltung gegen die Wahlfreiheit und Wahlgleichheit und das Recht auf Chancengleichheit der Wahlvorschlagsträger und Wahlbewerber verstößt«. Damit war der Wahltermin am kommenden Sonntag geplatzt – auch wenn Wahlleiterin Klein noch eineinhalb Tage brauchte, um das zu begreifen. Stattdessen gab sie zunächst hektisch den Druck von 800 000 neuen Stimmzetteln in Auftrag und erklärte, die bereits abgegebenen 55 000 Brief- und Direktwahlstimmen blieben »grundsätzlich gültig«. Eine Wahl mit unterschiedlichen Wahlzetteln? Einen besseren Anfechtungsgrund hätte es kaum geben können. So beanstandete die Bezirksregierung auch dieses Vorhaben. Nun soll am letzten Tag der nordrhein-westfälischen Herbstferien gewählt werden. Neue Wahlleiterin ist nun die Kölner Stadtkämmerin Gabriele Klug (Grüne). Etwa eine Million Euro dürfte die Verschiebung kosten.

Schon die Stadtratswahl im Mai 2014 war überschattet von einem groben Fehler: In einem Briefwahlbezirk waren die Wahlzettelstapel vertauscht worden. Obwohl es von Anfang an offensichtlich war, dass der vermeintliche Erdrutschsieg der SPD im traditionell schwarzen Stadtteil Rodenkirchen ein Irrtum war, wehrten sich die Sozialdemokraten über Monate dagegen, nachzählen zu lassen. Erst eine Verwaltungsgerichtsentscheidung machte Ende März den Weg frei, sich die Zettel noch mal genauer anzuschauen. Im Mai wurde offiziell festgestellt, was die Genossen nicht hatten wahrhaben wollen: Die Neuauszählung ergab einen satten Vorsprung für die CDU. Ausgerechnet der SPD-Vorsitzende Ott verlor sein Ratsmandat.
Otts Chancen, Nachfolger des derzeitigen SPD-Oberbürgermeisters Jürgen Roters zu werden, sind nach der neuerlichen Provinzposse auf null gesunken. Laut einer Umfrage des WDR liegt er mit 36 Prozent in der Wählergunst weit abgeschlagen hinter der blassen Henriette Reker (»Sozial. Führungsstark. Parteilos. Kölnerin.«), die auf 51 Prozent kommt und damit auf einen Sieg bereits im ersten Wahlgang hoffen kann. Für »Die Partei«-Kandidat Mark Benecke könnte es einen Achtungserfolg geben. Der Kriminalbiologe kam in der Befragung auf sechs Prozent, die restlichen vier Kandidaten teilten sich sieben Prozent.