Das Oktoberfest und die Angst vor Terroranschlägen

Durst fressen Angst auf

Der islamistische Terror in Europa hat auch eine Diskussion um die Sicherheit des Oktoberfestes ausgelöst. Doch als am schutzwürdigsten gelten in München Tradition und Umsatz.

Rumpeln soll es ja in der Achterbahn. Die 26 Verletzten, die auf dem Oktoberfest 1996 in zwei kollidierenden Zügen des »Euro Star« saßen, hatten sich die Fahrt aber sicher anders vorgestellt. Hinterher wurden große Sicherheitsbedenken geäußert. Das Oktoberfest galt bei den mit dem Sicherheitskonzept betrauten Beamten der Münchner Polizei wegen des Trubels ohnehin als »eigentlich nicht veranstaltbar«. Das Attentat des Nazis Gundolf Köhler von 1980 lag da bereits längere Zeit zurück. Islamistischer Terror war hingegen noch kein Thema.
Das hat sich geändert. Gerade angesichts der jihadistischen Anschläge in Paris und Brüssel sind die Sorgen groß. Das Volksfest auf der Theresienwiese ist für zwei Wochen im Jahr eine riesige Biertankstation, mehrere Millionen Besucher befüllen sich dort mit Alkohol. Es fehlt an Evakuierungsflächen für die täglich ungefähr 380 000 Besucher, an einer ausreichenden Zahl an Rettungswegen für Feuerwehr und Krankenwagen. Zudem ist die Massenveranstaltung unkalkulierbar: Niemand kann wissen, wie viele und welche Besucher zu welchen Zeiten an welchen Orten sind. Für die Polizei ebenso wie für viele Verantwortliche der Stadt München war bislang die Bilanz der »Wiesn« schon positiv, wenn außer einigen Schlägereien und Taschendiebstählen nichts Schlimmeres passierte.
Sich auf das Glück zu verlassen, war in diesem Jahr offenbar nicht mehr genug. Im April war bekannt geworden, dass die Stadt München ein neues Sicherheitskonzept einführen wollte. Zu den nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführten Zufahrtsbeschränkungen und einer Art Bannmeile um das Festgelände sollten Taschenkontrollen bei allen Besuchern, Beschränkungen bei mitgeführten Gepäckstücken wie Rucksäcken und ein Zaun kommen, mit dem das Festgelände geschlossen werden könnte.
Solche Maßnahmen würden den Charakter des Festes eklatant verändern. Bisher konnten Gäste die Theresienwiese ohne Zaun und Kontrollen von allen Seiten zwanglos betreten und verlassen. Deshalb war das geplante Sicherheitskonzept von Anfang an äußerst umstritten. Die Süddeutsche Zeitung befragte Volker Zintel dazu, den ehemaligen Sicherheitschef des Flughafens Frankfurt, der die Pläne als »unausgegoren« bezeichnete. Mit den angekündigten Maßnahmen ließen sich zwar Menschenmassen lenken, zur Terrorabwehr seien sie aber nicht geeignet. Andere Kritiker wiesen darauf hin, dass durchgängige Taschenkontrollen bei derart vielen Besuchern undurchführbar seien. Wieder andere bemängelten, ein Zaun sei im Fall einer Panik viel zu gefährlich.
Selten wird erwähnt, dass es auch ums Geld geht. Etwa eine Milliarde Euro wird jährlich in den zwei Wochen des Oktoberfests umgesetzt. Keiner der Beteiligten will den Umsatz dadurch gefährden, dass Zugangsbeschränkungen für die zahlungswillige Kundschaft eingeführt werden. Die Kritik hat Wirkung gezeigt: So liest man inzwischen auf den offiziellen Websites der Stadt nur noch von einer »Weiterentwicklung des bewährten Sicherheitskonzeptes«. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) versicherte der Bild-Zeitung in der vorvergangenen Woche: »Wir sollten keine Pseudosicherheit vorgaukeln, indem man etwa darüber nachdenkt, die ganze ›Wiesn‹ zu umzäunen.« Zur Beruhigung schob er hinterher: »Wir haben aber unser Sicherheitskonzept selbstverständlich angepasst.« Eine Banalität gab Reiter dem Interviewer noch mit: »Natürlich gibt es niemals so etwas wie eine absolute Sicherheit.«
Dass das Streben nach mehr Sicherheit schnell erlahmt ist, könnte auch daran liegen, dass das Fest in seiner bisherigen Form bei der Bevölkerung äußerst beliebt ist – und bei Münchner Gewerbetreibenden. Dank des Lokalprotektionismus und der Aufsicht der Stadt München, die bis auf eine kurze Unterbrechung in den achtziger Jahren immer eine Hochburg der SPD war, scheint das Fest eines der letzten Rückzugsgebiete der sogenannten sozialen Marktwirtschaft alter bundesrepublikanischer Prägung zu sein. Vor allem in der Gastronomie herrschen solche Zustände sonst längst nicht mehr. Auf der »Wiesn« mitzumischen, ist deshalb äußerst begehrt. Als Bedienung in einem Zelt zu arbeiten, ist eine Frage guter Verbindungen. Um einen Platz für einen Verkaufsstand bewerben sich Hunderte. Denn an Bier, Bratwurst und dem Drumherum verdienen alle sehr gut.
Das gilt selbstverständlich auch für die ortsansässigen Brauereien, deren Ausschankmonopol in den Zelten dadurch garantiert wird, dass nur Münchner Bier zugelassen ist, gebraut innerhalb der Stadtgrenze. So drängt zum Beispiel Luitpold von Bayern, dessen Vorfahr Kronprinz Ludwig das Fest vor 200 Jahren eingeführt hat, mit seiner Schlossbrauerei Kaltenberg seit Jahren vergeblich darauf, zugelassen zu werden. Letztlich beliefern vier Großbrauereien die 14 Bierzelte. Löwenbräu und Spaten gehören zu Inbev, dem weltweit größten Brauereikonzern. Paulaner und Hacker-Pschorr gehören jeweils zur Hälfte der Heineken-Gruppe, die nicht gerade ein alteingesessenes Münchner Unternehmen ist. Nur Augustiner-Bräu hat mit der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung einen in München ansässigen Mehrheitseigner.
Weitere Großverdiener neben den Brauereien sind die »Wiesnwirte«, die die Bierzelte betreiben. Trotz großen Aufwands für Aufbau, Abbau und Lagerung der Zelte wird der in 16 bis 18 Tagen erwirtschaftete Gewinn jedes Wirts auf etwa eine Million Euro pro großem Zelt geschätzt. Auch die Bedienungen, die letzten Glieder in der Lieferkette bis zum Trinker, verdienen gut. Sie sind nicht angestellt, sondern kaufen dem Wirt jede Maß Bier ab, von der am Ende jeweils etwa ein Euro zuzüglich Trinkgeld für sie bleibt. Zwischen 5 000 und 8 000 Euro Gewinn erzielt eine Kellnerin durchschnittlich in zwei Wochen. Mit der Dokumentation der Arbeitszeit nimmt man es da nicht genau. Und so etwas ist in Bayern ohnehin kein Problem: Sozialministerin Emilia Müller (CSU) erließ 2015 einige Sonderregelungen eigens für das Saufgelage, mit denen ihrer Aussage zufolge der »Schutzaspekt des Arbeitszeitgesetzes erfüllt« wird.
Selbst bei den Gästen sind die Einheimischen protegiert: 65 Prozent der Plätze in den Bierzelten, an Wochenenden sogar 85 Prozent, sind reserviert. Eine Reservierung kostet zwar nichts. Eine zu erhalten, ist für Ahnungslose oder Nichtmünchner aber nahezu unmöglich. Zunächst bekommen nämlich diejenigen ein Angebot, die bereits im Vorjahr eine Reservierung hatten. Alle anderen können im Frühjahr mailen, schreiben oder faxen, die Chancen sind allerdings nicht groß.
So dürfte das Fest für Münchner auch in diesem Jahr gut laufen: Alles bleibt, wie es ist, man kann prima verdienen oder feiern. Und für Münchner Verhältnisse ist der Besuch nicht einmal teuer: Eine Maß Bier, je nach Tagesform des Zapfers zwischen 0,9 und einem Liter, soll in diesem Jahr 10,70 Euro kosten. 5,50 Euro zahlt man in den Clubs in der Innenstadt schon für ein Glas mit 0,4 Litern. Wenig Spaß könnten höchstens unerfahrene Touristen haben, die begeistert anreisen, viel Geld in der Stadt lassen und in kein Bierzelt gelangen, weil ihnen wegen vermeintlicher Überfüllung der Zutritt verweigert wird. Wenn es ganz schlecht läuft, vertragen sie zudem das Festbier mit seinem höheren Alkoholgehalt nicht und landen als Suffleichen in einer reißerischen Reportage von RTL2.
Wegen des besonderen Feierkonservatismus soll sich daran ebenso wenig ändern wie am Sicherheitskonzept. Paris hin, Brüssel her – man hofft offenbar weiterhin auf das Glück und ist im Glauben, dass den Münchnern niemand etwas antut. So muss wohl auch in diesem Jahr der erste Trinkspruch als Sommerwunsch reichen, den traditionell der Oberbürgermeister ausspricht: »Ozapft is’ – auf eine friedliche Wiesn!«