Russland erlässt ein neues Antiterrorgesetz

Denunziation als Bürgerpflicht

Das neue Antiterrorgesetz gibt den russischen Sicherheitsbehörden zahlreiche neue Vollmachten – auch im Ausland.

Über ein umstrittenes Gesetz wird besser gar nicht erst diskutiert. Jedenfalls nicht im russischen Parlament und schon gar nicht unmittelbar vor einer entscheidenden Abstimmung. Von Irina Jarowaja, einer Abgeordneten der Partei Einiges Russland, können Hardliner aus dem Westen einiges lernen. Sie ist als Autorin einer ganzen Reihe von Gesetzesverschärfungen bekannt, darunter das rigide russische Versammlungsrecht und die Stigmatisierung nichtstaatlicher Organisationen als »ausländische Agenten«, und ist Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung. Jarowaja hat gemeinsam mit Senator Viktor Ozerow aus dem Föderationsrat mit ihrem Antiterrorgesetz neue Verhältnisse in Russland geschaffen.
Am 24. Juni hatten die Abgeordneten gleich in zweiter und dritter Lesung über eine von der Regierung leicht abgeschwächte Fassung abzustimmen. 287 sprachen sich dafür aus, es gab 147 Gegenstimmen – die Fraktionen der Kommunistischen Partei (KPRF) und der Liberaldemokratischen Partei (LDPR) stimmten mit nein – und eine Enthaltung. In der Woche darauf bestätigte der Föderationsrat das Gesetz. Jetzt steht nur noch die Unterschrift von Präsident Wladimir Putin aus. Zwar wandte sich der Menschenrechtsrat mit der Bitte an den Präsidenten, nicht zu unterzeichnen, aber das ist unwahrscheinlich, denn vermutlich geht die Initiative auf den Sicherheitsrat zurück, dessen Vorsitzender er ist. Somit ist davon auszugehen, dass die umfangreichen neuen Regelungen bereits am 20. Juli in Kraft treten.
Im Falle eines internationalen Terrorakts, bei dem im Ausland russische Staatsbürger zu Schaden kommen, kann dann nach russischem Strafrecht ermittelt werden. Welche Mittel erlaubt sind, schlüsselt das Gesetz nicht auf, auch fehlt generell eine genaue Definition von Terrorismus. Dafür erhalten die Geheimdienste mehr Spielraum zur Festnahme im Ausland lebender russischer Staatsbürger und von Ausländern, die im Verdacht stehen, gegen Russlands Interessen vorzugehen. Das Gesetz erhöht Geld- und Gefängnisstrafen für zahlreiche Vergehen, die im Zusammenhang mit »Extremismus« stehen. Es sind jedoch aus der Strafverfolgungspraxis bereits jetzt zahlreiche Fälle zweifelhafter Verurteilungen bekannt, beispielsweise für die Weiterleitung von Beiträgen im Internet, die keinerlei Aufrufe zur Gewalt enthalten und daher die öffentliche Sicherheit nicht gefährden.
Besonders heikel ist ein Paragraph, der für die Anwerbung für oder den Aufruf zu Massenunruhen bis zu zehn Jahre Haft vorsieht. Zudem wird die Liste von Vergehen, für die die volle Strafmündigkeit ab 14 Jahren vorgesehen ist, erheblich erweitert. Dann erfolgt unter Umständen eine Unterbringung jugendlicher Beschuldigter nicht mehr in einem geschlossenen Heim, sondern in einer Strafkolonie. Schuldig macht sich aber auch jeder, der von einer schweren Straftat, die in Zukunft begangen werden könnte, erfährt und diese nicht meldet. Erstmals im postsowjetischen Russland wird somit die Denunziation zur gesetzlichen Bürgerpflicht erhoben. Und Missionieren darf nur noch, wer über eine entsprechende Genehmigung verfügt.
Doch damit nicht genug. Russische Telekommunikationsanbieter müssen Verbindungsdaten künftig drei Jahre lang speichern, inhaltliche Daten aus Telefonaten, SMS und Mailverkehr müssen sechs Monate lang abrufbar sein. Provider sind unter Androhung von Strafzahlungen bis zu 14 000 Euro dazu verpflichtet, auf Anfrage des Inlandsgeheimdienstes FSB die komplette Datenverschlüsselung offenzulegen. Wesentlich teurer kommt sie allerdings die notwendige technische Aufrüstung zu stehen, um die Voraussetzung für die geforderte Datenspeicherung zu schaffen. Das russische Telekommunikationsministerium kündigte Veränderungsvorschläge an, zu entscheiden hätte darüber die neue Duma, die im September gewählt wird.
Unterdessen hat Putin bereits ein anderes Gesetz unterzeichnet, das prophylaktischen Zwecken dienen soll. Wer gegen »allgemeingültige Verhaltensnormen und Moral« verstößt, wird polizeilich erfasst. Beinahe jede Handlung oder Unterlassung kann dann genügen, um ins Visier der Behörden zu geraten.