: Die Zeitschrift »Compact« und ihre Berichterstattung über den Anschlag in München

Jihadisten bevorzugt

Die rechte Monatszeitschrift »Compact« arbeitete in ihrer Berichterstattung über den Massenmord in München mit Methoden, die sie sonst gerne der »Lügenpresse« vorwirft.

Gegen 17.50 Uhr eröffnet der 18jährige David S. das Feuer. Neun Menschen sterben. Etwa zweieinhalb Stunden später erschießt sich der Todesschütze selbst. Erst weit nach Mitternacht geben Polizei und Medien Entwarnung. Sie vermuteten bis dahin womöglich weitere Täter auf freiem Fuß.
Seit dem Massenmord am 22. Juli in München sind knapp drei Wochen vergangen. Viele Details sind mittlerweile geklärt. Umstritten bleibt vor allem die Frage, was genau den Schüler antrieb. Fest steht, dass er in München geboren wurde, die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und seine Eltern aus dem Iran nach Deutschland eingewandert waren. Für Islamismus als Motiv fanden sich keinerlei Belege.
Doch einigen Medien wäre ein Jihadist als Täter offenbar lieber gewesen, beispielsweise der rechten Monatszeitschrift Compact, die sich selbst als »Magazin für Souveränität« bezeichnet. Das Heft existiert bereits seit 2010, hat aber vor allem in den vergangenen beiden Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Was Pegida und andere völkische Bewegungen auf die Straße tragen, findet sich in publizistischer Form in Compact wieder. Beliebte Themen sind die »Merkel-Diktatur«, der »Weltkrieg gegen Putin«, die »Lügenpresse« und das »Asylchaos«. Zahlreiche Medien wie die Zeit oder das Bildblog haben sich in den vergangenen Monaten ausführlich mit Compact auseinandergesetzt. Eine Titelstory im Leipziger Stadtmagazin Kreuzer fand ebenfalls große Beachtung. In der sächsischen Großstadt hat Compact seinen Redaktionssitz. Der Tenor: Obwohl sich das Blatt den »Mut zur Wahrheit« auf die Fahnen geschrieben hat, legt es genau darauf nicht allzu viel Wert. Mit welchen Methoden das Magazin arbeitet, lässt sich am Beispiel der Ereignisse in München anschaulich darstellen.
Am Tatabend, nur wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen, veröffentlichte Compact zwei Artikel auf seiner Homepage. Im Gegensatz zu den meisten anderen Medien, die vor allem damit beschäftigt waren, den jeweils aktuellen Stand der Lage zu kommunizieren, hatte Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer schon seine Schlüsse aus dem noch laufenden Geschehen gezogen.
Unter der Überschrift »Krieg gegen Deutschland« ließ er kaum Zweifel daran, dass die Tat einen islamistischen Hintergrund haben müsse. Den »Versuch der Tagesschau, das zunächst als ›Amoklauf‹ darzustellen«, bezeichnete er als »skandalös«. Während sich die Polizei in München noch im Großeinsatz befand, hatte Elsässer schon dras­tische Forderungen formuliert: Grenzen, Flüchtlingszentren und Moscheen sollten sofort geschlossen beziehungsweise abgeriegelt werden. »Keiner darf mehr rein oder raus«, so Elsässer.
Der Verfassungsrechtler Jochen Rozek von der Universität Leipzig meint: »Diese Maßnahmen wären prinzipiell rechtsstaatswidrig. Das scheint mir von der Türkei abgeschaut«, wo eine Woche zuvor ein Putschversuch statt­gefunden hatte. Auch Elsässers Forderung, unterstützend die Bundeswehr heranzuziehen, ließe sich mit der aktuellen Gesetzeslage nicht in Einklang bringen. »Ein Bundeswehreinsatz wäre nur möglich, wenn es die Landesverteidigung, einen Katastrophennotstand oder eine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung betrifft«, so Rozek. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen. Außerdem forderte Elsässer, die »islamischen Gefährder« zu verhaften. Doch auch dafür gibt es keine Grundlage. Ein Sprecher der Polizeidirektion Leipzig sagte auf Anfrage der Jungle World: »Aus rechtlicher Sicht bestehen keinerlei Voraussetzungen dafür, Menschen, denen keine konkrete Straftat vorgeworfen wird, in Untersuchungshaft oder irgendeine andere Form der Haft zu bringen.«
Am islamistischen Tathintergrund hielt Compact auch in den folgenden Tagen fest. Einziger Anhaltspunkt dafür war eine anonyme Zeugin, die dem US-Nachrichtensender CNN von »Allahu akbar«-Rufen berichtet hatte. Für Compact war die Beweisaufnahme damit abgeschlossen. So empörte sich wiederum Elsässer einen Tag nach den Morden über die »Hauptlügen im Falle von München«. Gelogen sei beispielsweise, dass es »keinen islamischen Hintergrund« gebe. Der Augenzeugenbericht werde in deutschen Medien ausgeblendet. In einem anderen Artikel hieß es sogar, die Aussage der Zeugin werde von der »Lügenpresse vertuscht«. Den Tatsachen entspricht das jedoch nicht. Unter anderem die Onlineangebote von Spiegel, Focus, Bild und Welt berichteten noch in der Nacht oder zumindest am Morgen danach über die CNN-Zeugin. Es handelt sich dabei um die vier deutschen Nachrichtenweb­sites mit der größten Reichweite.
Elsässer nahm die Aussage der Zeugin – entgegen journalistischen Standards – einfach als Fakt. In einem Artikel schrieb er: »Der Täter hat vor Beginn der Mordserie im McDonald’s ›Allahu akbar‹ gerufen.« Elsässer behauptete sogar, dass es zwei Personen gegeben habe, die die »Allahu akbar«-Rufe bezeugen konnten, und bezog sich dabei auf einen Bericht in der Welt. Da war die »Lügenpresse« plötzlich wieder eine legitime Quelle. Das Problem: In dem Welt-Artikel wurde lediglich »eine Zeugin« erwähnt, ohne weiter ins Detail zu gehen. Eine Nachfrage bei Welt-Autor Uwe Müller ergibt, dass die Zeitung nur andere Medienberichte aufgriff. Auf die Existenz einer zweiten Zeugin gibt es also keine Hinweise.
Erst nachdem sich die Medienberichte gehäuft hatten, denen zufolge der Münchner Täter Sympathien für Hitler hatte und Hass auf Türken pflegte, war bei Compact von einem islamistischen Hintergrund kaum noch die Rede. Fünf Tage nach den Morden ließ Elsässer offen, ob David S. »als irrer Amokläufer, blitzradikalisierter Muslim oder – wie es jetzt aus durchsich­tigen Gründen heißt – als Rassist gehandelt hat«. Stattdessen versteifte sich Compact nun auf die Behauptung, dass es weitere Schützen gegeben habe. »Wir glauben nicht an den Einzeltäter«, so der Chefredakteur.
Um seine These zu untermauern, mussten vermeintliche »Widersprüche in der offiziellen Version« herhalten. Verantwortlich für diese »Widersprüche« waren jedoch überwiegend Zeugen, die am Freitagabend von mehreren Tätern und »Langwaffen« sowie Schüssen an unterschiedlichen Orten berichteten. Dass Hektik, Panik und Überlastung sowie nicht als solche gekennzeichnete Polizisten zu falschen Zeugen-, Polizei- und Medienaussagen führten, reichte den Compact-Autoren als Erklärung offenbar nicht aus. Polizei und andere Behörden mit den vermeintlichen Widersprüchen zu konfrontieren – darauf verzichteten sie. Stattdessen bietet die Zeitschrift ihren Lesern nun 1 000 Euro als Belohnung für »sachdienliche Fotos und Videos«.