Die Farc haben das Friedensabkommen mit der kolumbianischen Regierung angenommen

Friedlich auf dem Acker tanzen

Die Delegierten der Guerilla Farc haben auf ihrer Konferenz das mit der kolumbianischen Regierung geschlossene Friedensabkommen angenommen. Die Farc müssen sich nun als politische Partei bewähren.

So sehr sie sich auch bemühen, der berühmte Funke will nicht überspringen. Salsa-n-Groove heißt die Band, die auf einer Bühne mitten auf einem Acker in der Yarí-Ebene im kolumbianischen Departamento Caquetá steht. Immer wieder ruft der Sänger die Zuhörer zum Tanzen auf, doch die meisten bleiben auf ihren weißen Plastikstühlen sitzen. Erst als die Band aus der Hauptstadt Bogotá die Bühne verlässt und die Rebeldes del Sur, ein Folkloreorchester der Guerilla Farc, zu spielen beginnen, erheben sich die Guerilleros und Guerilleras, um sich im Paartanz und in Gummistiefeln elegant über den Acker zu bewegen. Auf der Leinwand über ihnen prangt der Schriftzug »10. Nationale Guerillakonferenz« und die Silhouette des Konterfeis von Manuel Marulanda, genannt »Tirofijo«, jenes legendären Kommandeurs, unter dessen Führung die Farc zur schlagkräftigsten Guerilla des Kontinents wurden und der 2008 nach mehr als 40 Jahren in den Reihen der Rebellen starb.
Die Guerillakonferenz ist die höchste Entscheidungsinstanz der Farc, auf ihr haben die »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« vergangene Woche die bei den Friedensverhandlungen in Havanna mit der kolumbianischen Regierung getroffenen Vereinbarungen angenommen und damit zugleich ihre Auflösung als militärische Organisation beschlossen. Rund 1 000 Menschen hatten teilgenommen. Am Montag folgte dann die feierliche Unterzeichnung des Friedensabkommens, bevor am 2. Oktober die kolumbianische Bevölkerung in einem Volksentscheid über den Friedensschluss mit den Farc abstimmen muss. Danach beginnt der Demobilisierungsprozess der rund 8 000 Kämpferinnen und Kämpfer der Farc und damit endet die Geschichte der ältesten noch aktiven Guerilla Lateinamerikas, die nun als rein politische Organisation weiterbesteht.
Die Farc sind nach leninistischen Prinzipien organisiert und hatten nach ihrer Lossagung von der Kommunistischen Partei Kolumbiens (PCC) ihre eigene, klandestine Kaderpartei gegründet. »Das bedeutet, dass jede Farc-Einheit, vom Sekretariat, dem obersten Führungsgremium, bis zur kleinsten Kampfeinheit, militärische und zugleich politische Zelle ist«, erklärt der Kommandeur Adalberto auf der Guerillakonferenz. »Wir sind ein Kollektiv mit demselben Ziel. Jedes Mitglied unserer Organisation wird dir unabhängig von seinem Rang dasselbe über unsere politischen Positionen sagen.« Adalberto ist einer von Hunderten Guerilleros und Guerilleras, die auf der Konferenz dafür sorgen, dass die zu Hunderten angereisten Medienvertreter und Wissenschaftler dem letzten Akt in der mehr als 50jährigen Geschichte der Farc als bewaffneter Organisation beiwohnen können. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Friedensverhandlungen im August, bei denen unter anderem eine Agrarreform beschlossen wurde, kehren die Farc als ziviler Akteur auf die politische Bühne zurück. Zehn Sitze im Kongress stehen ihnen in der kommenden Legislaturperiode (2018–2022) zu. Damit werden sie aus dem Stand neben der linken Sammelpartei »Polo Democrático« zur wichtigsten linken Oppositionspartei. Politischer Schwerpunkt der Farc war stets ein grundlegender Wandel der Agrarpolitik. Das Agrarprogramm, das sie in ihrem Gründungsjahr 1964 beschlossen, hatte bis in die neunziger Jahre unverändert Bestand. Nun haben die Farc in Havanna eine Agrarreform ausgehandelt, die, wird sie in den kommenden Jahren tatsächlich umgesetzt, die weitreichendste in der über 200jährigen Geschichte Kolumbiens werden könnte. Allerdings spielen antikapitalistische Grundsätze mittlerweile eine geringere Rolle. »Wir widersetzen uns der Agrarindustrie nicht«, sagt Pablo Catatumbo, Mitglied des Farc-Sekretariats am Rande der Guerillakonferenz. »Im Gegenteil: Wir begrüßen technische Verbesserungen im Agrarsektor. Wir sind aber gegen ein Modell, in dem die Menschen keine Kleinbauern mehr sein können.«
Ideologisch haben sich die Farc in den vergangenen vier Jahren flexibler gezeigt als je zuvor. Sorgte die Kaderstruktur der Organisation einerseits für eine interne politische Kohäsion, ist in Havanna andererseits deutlich geworden, dass sie sich neuen Einflüssen geöffnet und von alten Forderungen verabschiedet hat. Der Kampf gegen das Patriarchat und die rechtliche Gleichbehandlung von LGBTI-Personen fanden Einzug in die politischen Forderungen. Eine Begrenzung des Landbesitzes kolumbianischer Großgrundbesitzer und ausländischer Investoren konnten die Guerilleros in Havanna aber nicht durchsetzen. »Der Marxismus in der leninistischen Interpretation der Farc ist politisch begraben«, stellt der Schriftsteller und Soziologe Alfredo Molano im Gespräch mit der Jungle World fest. Seiner Ansicht nach könnten die Kapitalismuskritik von José Mujica, des ehemaligen Präsidenten Uruguays und Mitglieds der Stadtguerilla Tupamaros, und eine Gesellschaftskritik verknüpft mit ökologischen und sozialen Themen, wie sie Papst Franziskus artikuliert, ideologische Wegweiser sein.
Auch verbal haben die Farc abgerüstet. Ihr metaphernschwerer Revolutionsdiskurs – wer ihn verwendet, wird in Kolumbien mamerto genannt, eine Art linksintellektueller Nerd – ist bereits einem nüchtern argumentierenden Duktus gewichen. Das kommt besonders bei der urbanen Mittelschicht besser an. Gerade jene Menschen, deren Alltag mehr demjenigen in modernen Großstädten ähnelt als dem in abgelegenen kleinbäuerlichen Regionen, in denen die Farc gesellschaftlichen Rückhalt haben, hatten in der Vergangenheit meist wenig Sympathien für die Guerilleras und Guerilleros aufbringen können. Ein Umstand, der zum einen durch die oft einseitige Berichterstattung der Medien befördert wurde, vor allem während der Präsidentschaft Alvaro Uribes (2002–2010), als die »Narco-Terroristen« der Farc als Grund allen Übels der kolumbianischen Nation dargestellt wurden. Zum Anderen haben die Farc mit Entführungen und schweren Menschenrechtsverletzungen selbst dazu beigetragen. Ob sie ihr Image etwas verbessern konnten, wird sich zunächst bei der Volksabstimmung zeigen. Umfragen sehen derzeit eine deutliche Mehrheit von rund 70 Prozent für die Annahme des Abkommens.
Allerdings ist schwer absehbar, inwieweit es in der Zukunft zu politischen Allianzen mit anderen linken Kräften kommen wird. Einerseits hat die gesellschaftliche und parlamentarische Linke fast enthusiastisch für die Annahme der Vereinbarungen beim Volksentscheid am 2. Oktober geworben. Die Linken hoffen, dass der Frieden nicht nur zum Schweigen der Waffen, sondern generell zu einer demokratischen Öffnung führt und grundlegende soziale und politische Veränderungen ermöglicht. Doch die innerlinken Gräben zwischen sozialdemokratischen Kräften, den einflussreichen Maoisten und den kommunistischen Gruppen sind zu groß, als dass etwas wie Mujicas Bündnis »Frente Amplio« (Breite Front) in Uruguay in naher Zukunft möglich scheint. Der Berater des bisherigen Farc-Oberkommandierenden Timoléon Jímenez, Gabriel Ángel, sagte im Gespräch mit der Jungle World, die Farc hofften, dass die Präsenz der neuen Farc-Partei als Katalysator für die Einheit der Linken und über sie hinaus wirken werde: »Wir kommen mit einer machtvollen Waffe in der Hand: Die Vereinbarungen von Havanna haben enormes Transformationspotential.«