Ein Porträt des belgischen Schauspielers Benoît Poelvoord

Belgien sehen und sterben – lassen

Gibt es den Idealbelgier? Vielleicht heißt er Benoît Poelvoorde.

Das belgische Kino ist hochangesehen, es ist ein Paradies, es ist der Himmel. Und im Himmel wohnt natürlich Gott, und der kann nur einer sein: der Schauspieler Benoît Poelvoorde, der die internationale Bühne mit dem Film »Mann beißt Hund« betrat, einer Mediensatire aufs Killer-Genre.
Schon damals war klar: Wenn man das Dilemma des zerrissenen Landes inmitten Europas verbildlichen will – das ja, auseinanderfallend wie es ist, als Quasihauptstadt repräsentativ für das marode kontinentale Gebilde steht –, will man in ein Gesicht schauen, in dem sich die Zustände spiegeln: Es ist das Poelvoordes, der am 22. September 52 Jahre alt geworden ist. Da wundert es nicht, dass der ehemalige Kunststudent und Comiczeichner in einem Film namens »Das brandneue Testament« die Hauptrolle als, na klar, der Allmächtige spielt. Und er ist ein cholerischer, ein ekelhafter Gott, er sieht beschissen aus in seinem Morgenrock, tyrannisiert und manipuliert seine Umgebung.
Als Leitfigur der populären belgischen Kultur hat Poelvoorde den anderen ikonischen Filmbelgier längst abgelöst, er ist geradewegs sein Wiedergänger: Jean-Claude Van Damme, ehemals »the Muscles from Brussels«, der auch schon spitze war, aber dann irgendwo in einem Hochhaus in Hongkong seine Kokssucht damit auskurierte, für seine Wiedergeburt im Underground-Kino zu trainieren.
Die beiden könnten sich ruhig mal eine Hauptrolle teilen! Das tut Poelvoorde aber erst mal mit einem anderen bösen Buben des europäischen Arthouse-Films: mit Gérard Depardieu. In dem schönen Film »Saint Amour« (Kinostart: 13. Oktober) drehen sich die beiden als alkoholkranke Schweinebauern im Koben. Beide verkörpern sie den Niedergang des weißen Mannes, ganz sprichwörtlich: Poelvoorde setzt dabei allerhand Körperteile ein, die es ansonsten nicht immer zu sehen gibt. Im Taxi unterwegs ins Weindorf Saint Amour hinterlassen die beiden Landplagen eine Spur des Glücks und der schönen Momente, in der sich unter anderem eine Ehe zwischen drei Männern und einer Frau anbahnt, so viel darf verraten werden.
Poelvoorde spielt gern mit physischer Präsenz. Seine Figuren tun sich oft sehr weh. Da eine Beule, hier reißt ein Finger ab, da klemmt er sich die Genitalien ein. Sie sind dem Dreck nah, sie benehmen sich daneben, sie haben eine prekäre Lebensgrundlage und soziale Schwierigkeiten. Mag man sich darin wiedererkennen?
Es ist das Leben unter der Oberfläche, abseits von Hip- und Coolness, wie sie vielleicht das tolle Berlin immerzu verheißt: Klasse tätowiert, angeschickert statt volltrunken, gestylt statt geschüttelt.
Belgier besetzen eine interessante Seitenlinie der Kultur, keine Frage. Regelmäßig beliefern die Dardenne-Brüder das Filmfestival Cannes, wo acht Jahre kein deutscher Film im Wettbewerb auftauchte. Im Theater und Tanz waren Flamen seit den achtziger Jahren die Avantgarde: Jan Fabre, Anne Teresa De Keersmaeker. Das Berliner Theater Hebbel am Ufer hat eine belgische Intendantin, Annemie Vanackere, und die Volksbühne Berlin bekommt mit Chris Dercon einen »belgischen Europäer als Chef«, wie der Belgien-Chronist des Tagesspiegel, Bernd Müllender, zusammenfasst (»Ehrenrettung für einen Nachbarn: Königreich Fritannien«).
Auch Poelvoorde kann außerhalb der Multiplexe großes Kino: Seine Landsleute hat er weiland aufgerufen, sich nicht mehr zu rasieren, bis die politische Krise Belgiens überstanden sei. Bärte sollten über die politischen Lager hinweg deutlich machen, wie lange das Land schon in der Scheiße steckt. Je länger, desto deutlicher.
Tja, lange Bärte – wer trägt die denn sonst so? »Gott existiert. Er wohnt in Brüssel«, lautete der Anreißer für »Das brandneue Testament«.