Prekär beschäftigte Akademiker wollen sich organisieren

Keine Liebe für den Schreibtisch

Lange gab es keine nennenswerte Revolte mehr an deutschen Universitäten. Dabei liegt so viel im Argen wie eh und je. Auf einem Kongress in Leipzig wollen prekär beschäftigte Akademiker ein »Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft« gründen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Betteldozenten – das ist ein geläufiger Begriff an deutschen Hochschulen. Denn ein stetig wachsendes Heer von prekär beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern trägt die erdrückende Hauptlast in Lehre und Forschung. Der Alltag dieser Berufsgruppe ist geprägt von Beschäftigungsunsicherheit und geringer Bezahlung. Das letzte Aufbegehren regte sich im Jahr 2009 mit einem bundesweiten Bildungsstreik. Seither blieb es ruhig, trotz schlechter Bedingungen.
»Um die Lage in absehbarer Zeit zu verändern, möchten wir als wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte, Privatdozenten, wissenschaftliche Hilfskräfte, studentische Beschäftigte und Studierende uns endlich vernetzen und gemeinsam handlungsfähig machen«, heißt es aus dem Kreis der Organisatoren, die am 21. Januar zur Gründung eines »Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft« nach Leipzig laden. Dieses soll Öffentlichkeitsarbeit leisten, Kampagnen ermöglichen und langfristig auch Streikfähigkeit erarbeiten – und zwar bundesweit. Zudem soll das Netzwerk die Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften, Professoren und Studierenden fördern. Dass die Zeit reif ist für eine solche Organisation, zeigte bereits im November die basisgewerkschaftliche Organisation »Unterbau«: An der Universität Frankfurt am Main wirbt sie genau um diese Gruppen und genießt großen Zulauf.
Denn eines ist klar: Albert Camus’ Mythos des Sisyphos war nie aktueller, liest man ihn als Parabel auf die Universitätsbeschäftigten. Diese mühen sich Semester für Semester in Lehre und Forschung, von der Illusion beseelt, eines Tages vielleicht doch eine Festanstellung zu erhalten. »Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen«, beschreibt Camus seinen Sisyphos , der glücklich ist, wenigstens seinen zerstörerischen Felsbrocken zu besitzen. Im selben Glücksgefühl verharren viele Wissenschaftler hinter ihren Schreibtischen. Dementsprechend diagnostizieren Soziologen gerade bei ihnen eine folgenschwere Symptomatik, »die hohe intrinsische Motivation, eine erfüllende und sinnvolle Tätigkeit auszuüben«. Den Schreibtisch zum Objekt der Liebe zu verklären, täuscht dabei über die Perspektivlosigkeit der Arbeit und die gewaltvollen Machtstrukturen an den Hochschulen hinweg. »Gewaltvoll deshalb, weil sie demütigen, entwürdigen und damit suggestiv psychisch zerstörerisch wirken«, wie eine Erhebung der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin zu dem Thema schließt.

Die Lage prekärer Akademiker steht exemplarisch für eine Entwicklung, die seit der rot-grünen Agenda-Politik weite Teile der Gesellschaft erfasst hat.

Die Lage dieser Akademiker ist exemplarisch für eine Entwicklung, die seit der rot-grünen Agenda-Politik weite Teile der Gesellschaft erfasst hat. Die verbreiteten unsteten und unbefriedigenden Arbeitsbedingungen einen die Prekären dieser Tage zu einer neuen Klasse. Nicht erst seit Didier Eribons autobiographischer Studie ist offensichtlich, dass Unterschiede im Habitus nicht über die gemeinsame, unhaltbare Lebenssituation hinwegtäuschen dürfen. »Eine freie Hochschule inmitten einer kapitalistischen Gesellschaft ist wie eine Lesestube in einem Gefängnis«, schloss bereits das »Communiqué from an Absent Future«, das 2009 in den USA entstand. »Sie dient nur als Ablenkung vom alltäglichen Elend.«
Die Promovierten unter den Prekären tragen darum eine Verantwortung, die über ihr eigenes Umfeld an der Hochschule hinausweist. Die neue Klasse zu erkennen, gelingt nur, wenn Wissenschaft und Bewusstsein – science und conscience – konvergieren. Der Protest des Prekariats braucht eine relevante theoretische Grundlage, ohne jedoch aus den Augen zu verlieren, was auch das Motto des Leipziger Kongresses ist: »Vom Wort zur Tat zu schreiten.«
Denn mit hoffnungsvollen Worten allein lässt sich auch an den Hochschulen kaum etwas ändern. Die Probleme liegen längst offen, an Forderungen, sie zu beheben, mangelt es nicht. Ein erster Schritt zur Veränderung ist der bundesweite Zusammenschluss der vereinzelt existierenden Mittelbauinitiativen. Dieser Schritt soll am 21. Januar auf dem Gründungskongress in Leipzig besiegelt werden. Und hoffentlich führt er zu weiteren Schritten: Ein neuer Bildungsstreik etwa wäre ein adäquates Zeichen für grundlegende Veränderung.


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