Benoît Hamon hat überraschend die erste Runde der Präsidentschaftsvorwahlen des französischen Parti Socialiste gewonnen

Der dritte Mann

Die erste Runde der Vorwahlen zur Bestimmung des sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten in Frankreich hat überraschend Benoît Hamon vom linken Parteiflügel gewonnen.

Gleich zwei Mal erhielt Manuel Valls, bis vor kurzem amtierender französische Premierminister, in der vergangenen Woche eine Ohrfeige. Zunächst am Dienstag voriger Woche: Anlässlich eines Wahlkampfauftritts im bretonischen Lamballe verpasste ein 18jähriger bretonischer Regionalist dem Rechtssozialdemokraten öffentlich eine Backpfeife. Dafür wurde der junge Mann inzwischen zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Auf zahlreichen Kanälen amüsierten sich Beobachter über die Maulschelle für den Machertypen. Der Liedermacher Franjo Reno verfasste einen eigenen Song über »La gifle de Valls«.
Die zweite, allerdings nur metaphorische Ohrfeige folgte am Sonntag in Form des Ergebnisses der Vorwahl, die den Präsidentschaftskandidaten des französischen Parti Socialiste (PS) bestimmen soll. Im ersten Durchgang landete Valls mit 31,2 Prozent der Stimmen nur auf dem zweiten Platz. Aus seiner Sicht ist das eine Überraschung. Nachdem Präsident François Hollande am 1. Dezember – unter anderem auch auf Drängen seines damaligen Premierministers Valls hin – auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte, hielt Valls sich für den natürlichen Kandidaten der Regierungspartei.
Nun muss der Einpeitscher darum bangen, das zentrale Ziel seiner politischen Karriere zu verfehlen. Denn derzeit sieht es so aus, als begünstige das Kräfteverhältnis seinen Gegenkandidaten Benoît Hamon, einen früheren Kopf des linken Parteiflügels, der von 2012 bis 2014 als Staatssekretär für Verbraucherschutz amtiert hatte. In der ersten Runde der Vorwahl lag der 49jährige mit 36,1 Prozent der rund anderthalb Millionen abgegebenen Stimmen in Führung. Nach Medienberichten am Dienstagmorgen über möglicherweise manipulierte Angaben zur Höhe der Wahlbeteiligung sind diese Zahlen aber umstritten.
Erneut könnte sich – gelingt Hamon am kommenden Sonntag die Bestätigung – der »dritte Mann« aus den Umfragen letztlich an die Spitze setzen. Denn bereits bei der Abstimmung der konservativen Basis im November hatte sich François Fillon und damit der zunächst auf dem dritten Platz hinter Alain Juppé und Nicolas Sarkozy eingestufte Bewerber durchsetzen können. In beiden Fällen verhalfen gutes Auftreten und sachliches Argumentieren in den jeweils drei Fernsehdebatten den »dritten Männern« dazu, an den eher wie Blender wirkenden Favoriten vorbeizuziehen. Neben Valls konnte Hamon auch den vormaligen Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg schlagen, der sich als relativ links zu profilieren versuchte (Jungle World 1/2017), dessen gar zu glattes Image ihm jedoch letztlich nur 17,7 Prozent eintrug.
Hatten die meisten Beobachter eine gähnend langweilige Vorwahl bei der Sozialdemokratie – der eine sichere Niederlage bei der Präsidentschaftswahl in nunmehr drei Monaten vorausgesagt wird – erwartet, findet nun doch noch eine inhaltliche Richtungsentscheidung statt – Sofern man bei Manuel Valls von Inhalten sprechen kann, dominiert bei ihm doch vor allem der Wille zur politischen Macht. Diese nutzte er bislang vor allem, um als Innenminister Roma zu schikanieren und als Regierungschef wirtschafts- und sozialpolitische Kapitalimperative ohne Abstriche durchzusetzen.

Benoît Hamon steht in gewissen Grenzen für Überzeugungen, die noch die Bezeichnung sozialdemokratisch verdienen.

Längst hat sich die Aura des Machers abgenutzt. Zudem sind einige der Legenden, die seine Person umgaben, geplatzt. In der Vergangenheit machte Valls glauben, er sei das Kind von spanischen Bürgerkriegsflüchtlingen, also Antifaschisten. Doch mittlerweile ist bekannt, dass seine Familie nicht vor den Franco-Truppen floh, sondern vor antiklerikalen Maßnahmen spanischer Trotzkisten und Anarchosyndikalisten in Barcelona 1937. 25 Jahre später kam er in ebendieser Stadt auf die Welt: Damit er dort geboren wird, waren seine Eltern ungehindert in Francos Spanien ein- und wieder nach Frankreich ausgereist.
Hamon dagegen steht in gewissen Grenzen für Überzeugungen, die noch die Bezeichnung sozialdemokratisch verdienen. Als einziger der chancenreichen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der PS griff Hamon auch ökologische Zukunftsfragen auf, indem er sich für einen Ausstieg aus der Atomkraft bis 2035 – auch die französischen Grünen bieten nichts Besseres – und aus dem besonders schadstofflastigen Dieselverbrauch ab 2025 aussprach. Hamon will zudem das von Valls verantwortete Arbeitsgesetz abschaffen und auch den seit 14 Monaten geltenden Ausnahmezustand beenden.
Unklar bleibt allerdings, wie Hamon seine Wahlversprechen gegen jene durchsetzen will, in deren privaten Händen bislang die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel konzentriert ist. Nach fünf Jahren der Präsidentschaft François Hollandes, die auch nach dem Dafürhalten sozialdemokratischer Parteimitglieder – die sich etwa am Samstag in Le Monde äußerten – »genauso gut fünf Jahre rechter Präsidentschaft hätten sein können«, reicht es nicht aus, eine Rückkehr zu einer sozialdemokratischeren Politik in Aussicht zu stellen, ohne Machtfragen zu berücksichtigen. 
Hamon wirft auch eine neue Frage auf, die in Frankreich erstmals in die etablierte Politik vordringt. Er spricht sich für ein allgemeines Grundeinkommen aus, das allen Gesellschaftsmitgliedern ausbezahlt werden soll – Bezieher mittlerer und vor allem höherer Einkommen sollen es jedoch faktisch über ihre Besteuerung wieder zurückzahlen. Geringverdienende sollen es mit dem Lohn oder anderen Einkommensquellen kombinieren können. Dafür wurde Hamon heftig angegriffen. Valls ist der Auffassung, man würde damit Faulenzern das Geld in den Hintern schieben; und Montebourg kritisierte, es werde dadurch »das Ziel der Vollbeschäftigung de facto aufgegeben«. Beide prangerten auch die »mangelnde Finanzierbarkeit« an.
In Frage steht allerdings die Höhe des Grundeinkommens, mal ist von 750 Euro, mal von nur 600 Euro »in einer ersten Stufe« die Rede – und offen ist, ob es an Bedingungen geknüpft sein wird oder nicht.