Superschulz erobert das Internet: Die Imagekampagne um Martin Schulz

Ein MEGA-Typ

Er ist nicht Angela Merkel. Er ist nicht Sigmar Gabriel. Das reicht offenbar schon, um Menschen zu begeistern. Die Imagekampagne um Martin Schulz soll den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten cool wirken lassen und suggeriert: Endlich ein Mann, der anpackt!

Der Mann sieht aus wie ein Finanzbeamter im Mittleren Dienst, der seinen Musikgeschmack mit »was so im Radio läuft« angibt, jeden Samstag seinen ­Rasen auf drei Zentimeter Länge stutzt und an der Nordsee Urlaub macht. Aber man soll sich bekanntlich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen: Clark Kent wirkt im Alltagsleben ja auch total unscheinbar.
Und eine geheime Superkraft muss wohl auch dieser Martin Schulz haben: Er erweckt Tote zum Leben. Also, die SPD jedenfalls, deren Umfragewerte seit der Verkündung – oder sollte man ­sagen: Verkündigung? – von Schulz’ Kanzlerkandidatur Ende Januar um mehr als zehn Prozentpunkte gestiegen sind. Vergangene Woche überholte die SPD laut ARD-Deutschlandtrend mit 32 Prozent zum ersten Mal seit über zehn Jahren CDU und CSU, die auf 31 Prozent kommen.
Politologen rätseln über den »Schulz-Effekt«, der der Partei überdies eine Welle von Neueintritten beschert und schon einsetzte, ehe der Kandidat auch nur eine konkrete Ansage zu seinen politischen Zielen gemacht hatte. Zwei Gründe dafür lassen sich aber finden. Erstens: Martin Schulz ist nicht Sigmar Gabriel. Zweitens: Er ist nicht Angela Merkel. Denn einerseits haben die Leute zwar die Nase voll vom Status quo, Veränderungen wollen sie aber eigentlich auch nicht. Gerade zeigt die US-Politik, was zu erwarten ist, wenn diejenigen an die Macht kommen, die Veränderung versprechen und tatsächlich auch anstreben – was, nebenbei betrachtet, auch ein Grund dafür sein könnte, dass die Umfragewerte der AfD seit einigen Monaten sinken. Schulz ist quasi der Anti-Trump.
Tatsächlich präsentiert sich der Schulz-Fanclub der ersten Stunde – das bereits im November 2016 gegründete Reddit-Forum »the_schulz« –  als Parodie auf den US-Wahlkampf, bei dem sich Trump-Unterstützer zu Zehntausenden im Forum »the_donald« zusammen­gefunden hatten. Ob die von den anonymen »the_schulz«-Machern nur halb ironisch verbreiteten Parolen wie »MEGA – Make Europe Great Again« die Kandidatenentscheidung der SPD beeinflusst haben, sei dahingestellt. Fest steht jedenfalls, das Forum wurde, kaum war Schulz nominiert, zur Hauptquelle von Internet-Memes. So wurden dem Kandidaten unter dem Hashtag #SchulzFacts Fähigkeiten angedichtet wie sonst nur Chuck Norris, etwa: »Martin Schulz hat alle Pokemons gefangen. Mit einem Festnetz-Telefon.« Oder: »Alle Kinder tragen einen Batman-Schlafanzug, außer Batman, der trägt einen Martin-Schulz-Pyjama.«
Der sozialmediale #Schulzzug, auf den sämtliche Satirebetreibenden Deutschlands von Jan Böhmermann bis »Extra 3« begeistert aufsprangen (oder stecken sie gar selbst dahinter?), ist sicher nicht der entscheidende Grund für die überraschende Beliebtheit des Kandidaten, sondern eher ein Spiegel des Phänomens. 
Für die politisch mittelmäßig interessierte Ottilie Normalwählerin dürfte neben dem erwähnten »Frisches Gesicht«-Faktor eher das Halbwissen eine Rolle spielen, dass Schulz bislang »irgendwas Hohes« in Brüssel war, also die stets so geschätzten Führungs­qualitäten bewiesen hat; hinzu kommt, dass sein bisheriger Tätigkeitsbereich, das Europaparlament, eine politisch wirkungslose Institution ist: Wer nichts macht, kann auch nichts verkehrt ­machen – das zeichnet den Kandidaten gegenüber allen anderen aus, die ebenfalls für den Job im Gespräch ­waren und sich schon mal in der Bundes- oder Landespolitik die Hände schmutzig gemacht haben.
A propos Schmutz: Wie von einem unsichtbaren Energieschild prallen von Schulzman bisher auch alle Versuche seiner politischen Gegner ab, ihm am Image zu flicken. Gabor Steingart, ­Herausgeber des Handelsblatt, porträtierte Schulz gleich nach dessen an­gekündigtem Wechsel in die Bundespolitik im Newsletter »Morning Briefing« als trockenen Alkoholiker ohne Abitur; dass der Mann sich im von ­Akademikern dominierten und nicht gerade alkoholfreien Politikbetrieb durchgesetzt hat, nötigt den meisten Leuten jedoch offenbar eher Respekt ab. Wolfgang Schäubles schräger Trump-Vergleich ist schon fast wieder ver­gessen, und auch die von der beunruhigten CDU in einem an die Medien verbreiteten »Schulz-Dossier« verbreiteten Vorwürfe einer Brüsseler Vetternwirtschaft treffen bisher auf eher mäßiges Interesse.
Nun wird die Bundestagswahl bekanntlich nicht in Umfragen entschieden; ein Trend kann sich schnell umkehren, gerade in unübersichtlichen Zeiten, in denen eigentlich nur noch eine Invasion von Außerirdischen überraschen könnte. Aber vermutlich ­würde The Schulz auch mit denen fertig werden.