Ungarn schottet sich noch stärker gegen Flüchtlinge ab

Willkommen hinter Stacheldraht

Das ungarische Parlament hat die Asylgesetze verschärft, um zukünftig Geflüchtete während ihres Asylverfahrens in »Transitzonen« internieren zu können. Ohnehin gibt es kaum positive Asylbescheide in Ungarn.

Obwohl die ungarische Regierung im Jahr 2015 angefangen hat, einen Zaun entlang der Grenze zu Serbien und Kroatien zu bauen, passieren weiterhin Geflüchtete auf dem Weg nach Westeuropa das Land. Über Ungarn lässt sich der Schengen-Raum am schnellsten betreten. Über Kroatien und Slowenien birgt die Route topographische Herausforderungen. So bildet die Donau einen großen Teil der serbisch-kroatischen Grenze, Teile des kroatischen Ostslawonien gelten auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kroatien-Kriegs noch als vermint und an der slowenisch-kroatischen Grenze gibt es kaum flaches Gebiet. 
Wer illegal nach Ungarn einreist, den erwarten jedoch drei Jahre Gefängnis. Die Beschädigung des Zauns wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Die Strafen für Schlepper wurden in der Vergangenheit auf bis zu zehn Jahre Haft erhöht, was gerade für freiwillige Fluchthelfer eine Gefahr darstellt.
Am 7. März hat das ungarische Parlament nun einen von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Verschärfung der Asylgesetze angenommen, mit den Stimmen der Regierungsparteien, also der rechtskonservativen Partei Fidesz und der christdemokratischen KDNP, sowie der oppositionellen rechtsextremen Partei Jobbik. Dadurch wird es möglich, Geflüchtete in den »Transitzonen« an der serbischen Grenze für unbestimmte Zeit zu internieren. Für den Ausbau der Transitzonen bei Tompa und Röszke will die Regierung über 32 Millionen Euro bereitstellen. Sie sollen für 200 bis 400 Personen Platz bieten. In den mit Stacheldrahtzaun umgebenen Freiluftlagern sollen bewohnbare Schiffscontainer aufgestellt werden, in denen alle Asylsuchenden ab dem Alter von 14 Jahren untergebracht werden, auch Schwangere und Kranke. Die Gesetzesverschärfung trifft besonders jene Asylsuchenden, die sich bereits im Land befinden. Begründet wird die Maßnahme mit der hohen Zahl an Asylwerbern, die Ungarn noch vor Abschluss des Asylverfahrens verlassen hätten.
Offizielle Asylgesuche können ohnehin nur noch an der Grenze eingereicht werden. Doch wurde die Zahl der zugelassenen Asylanträge sukzessive von 100 auf heute zehn pro Tag gesenkt. Die Internierten dürfen die Transitzone bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens nicht verlassen, außer direkt zurück nach Serbien. Die ungarischen Behörden können das Verfahren aber auch einstellen, wenn Asylsuchende ihren Antrag schriftlich zurückziehen, Aussagen verweigern, die Registrierung von Fingerabdrücken und Gesichtsscans verhindern oder die Transitzone verlassen. Damit erlischt für sie die Möglichkeit, im Falle einer Ablehnung Beschwerde bei den ungarischen Behörden einzureichen. Die Einspruchsfrist gegen einen abgelehnten Asylantrag wird zudem auf drei Tage verkürzt. Aber die Chancen auf Asyl sind ohnehin gering: Laut Amnesty International wurden vor allem zur Hochzeit der Flüchtlingsbewegungen Asylanträge in Ungarn mit Hilfe von Ad-hoc-Gerichten in Schnellverfahren abgelehnt, die nicht internationalen Standards entsprächen. Chancen auf Anerkennung des Asylgesuchs hat kaum jemand.
Lajos Kósa, der Fraktionsführer von Fidesz, hält die Änderungen für mit dem EU-Recht und dem Dublin-Abkommen vereinbar. Politiker anderer EU-Staaten, Amnesty International, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und weitere Organisationen sehen dagegen einen Verstoß gegen EU-Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention. Dabei hatte Ministerpräsident Viktor Orbán erst 2013 auf Druck der EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Inhaftierung von Asylsuchenden unterlassen. Außer von Menschenrechtsorganisationen wie dem Helsinki-Komitee gab es in der ungarischen Öffentlichkeit kaum Kritik an der Gesetzesverschärfung. Dabei wird es vorläufig wohl bleiben, im Hinblick auf die kommende Wahl 2018 können die Regierungsparteien auf die mit Abstand größte Wählerschaft rechnen.
Derweil wird der Zaun an der Südgrenze zu Serbien und Kroatien weiter ausgebaut mit Stacheldraht, Bewegungsmeldern, Wärme- und Nachtsichtkameras. Bis zum 1. Mai hat sich die Regierung dafür Zeit gegeben. Für den Ausbau wurden über 90 Millionen Euro bereitgestellt, während Krankenhäuser und Schulen völlig unterfinanziert sind. Auch die Armee wird verstärkt zum Grenzschutz eingesetzt.
Die Abschottung wird auch mit brutalen Methoden durchgesetzt. Vorige Woche veröffentlichte etwa die schwedische Tageszeitung Aftonbladet einen Artikel, der die Polizeigewalt gegen Geflüchtete beklagte. Serbische Krankenhäuser müssten immer häufiger verletzte Geflüchtete behandeln, die mit Schlagstöcken und von Wachhunden traktiert wurden. Ein junger Geflüchteter soll in der Theiß, einem Nebenfluss der Donau, der auch durch Serbien fließt, ertrunken sein, nachdem mit Pfefferspray ausgerüstete Ordnungskräfte ihn mit Steinwürfen dazu gebracht hatten, zurückzuschwimmen. Das ungarische Innenministerium wies die Vorwürfe zurück und raunte etwas von verdeckten Verbindungen der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen zum Milliardär und Philanthropen George Soros. Der gebürtige Ungar unterstützte mit seiner Open Society Foundation Menschen und NGOs, die den von den Transitstaaten oft alleingelassenen Flüchtlingen halfen. Damit wurde er zur Zielscheibe der ungarischen Regierung. Orbán sprach bereits 2015 von den Flüchtlingsbewegungen als »Invasion«, die »einerseits vom Schlepper-Business gelenkt« werde, andererseits von Menschenrechtlern und Personen, »die alles unterstützen, was die Nationalstaaten schwächt«. Ähnliches verbreitet in Deutschland beispielweise der rechte, verschwörungsaffine Kopp-Verlag mit Büchern wie »Massenmigration als Waffe«.
Die ungarische Regierung will trotz der Auswanderung zahlreicher qualifizierter Arbeitskräfte so wenig Geflüchtete wie möglich ins Land lassen. Dies wird am häufigsten mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus begründet. In der laut der neuen Verfassung »christlichen Nation« wird zudem die Angst geschürt, dass »Muslime in absehbarer Zukunft in Europa in der Mehrheit sein werden« (Orbán) und so den kulturellen und ethnischen Zusammenhalt Ungarns bedrohen.
Bei der Vereidigung 462 neuer Grenzjäger, kurz vor der Abstimmung im Parlament vorige Woche, bekräftigte Orbán, dass das Land unter Belagerung stehe: Eine halbe Million Geflüchteter sei unterwegs nach Europa. Man habe den Ansturm bisher nur verlangsamen können, vor der nächsten Welle müssten die Verteidigungslinien verstärkt und mehr Grenzschützer ausgebildet werden. Die Migration sei das trojanische Pferd des Terrorismus und die EU behindere die Arbeit der ungarischen Behörden.
Die Maßnahmen in Ungarn beflügeln auch Politiker anderer EU-Staaten. Mitglieder von AfD und CDU/CSU forderten bereits in der Vergangenheit die Einführung solcher Transitzonen in Deutschland.