Viele Krankenkassen bezahlen homöopathische Mittel, medizinisch Notwendiges dagegen nicht immer

Shitstorm wegen Zuckerkugeln

Die Techniker Krankenkasse hat mit einem Tweet eine Diskussion über die Bezahlung von Kosten homöopathischer Behandlungen ausgelöst. Nicht alle Versicherten sind begeistert von Zuckerkügelchen als Medizin.

Wolfgang Wendland, der Sänger der Bochumer Punkband »Die Kassierer«, hat es böse erwischt. Wie das Blog »Ruhrbarone« berichtete, brach er sich nach einem Auftritt sowohl das linke Bein als auch die linke Schulter. An die Benutzung von Krücken ist nicht zu denken, er braucht derzeit einen Rollstuhl. Das wiederum erfordert ein geeignetes Fahrzeug für den Transport zu Arztterminen. Ein Fall für die Krankenkasse, sollte man meinen. Doch die Techniker Krankenkasse (TK), bei der Wendland versichert ist, will die Kosten nicht übernehmen. Weil der Sänger gehört hatte, dass die Kasse homöopathische Globuli bezahlt, fragte er nach, ob er nicht die medizinisch notwendigen Transporte statt der Zuckerkügelchen bezahlt bekommen könne. Das sei nicht möglich, beschied man ihm bei der TK – das für homöopathische Mittelchen vorgesehene monatliche Budget in Höhe von 100 Euro dürfe nicht für anderes verwendet werden.
Diese absurd klingende Geschichte illustriert, worum es bei dem kleinen Shitstorm geht, den die TK sich kürzlich einhandelte. Es hatte alles ganz harmlos begonnen. Der HNO-Arzt Christian Lübbers aus Weilheim wies die TK auf Twitter auf eine Studie hin, die zu dem Ergebnis kommt, dass eine homöopathische Behandlung deutlich teurer ist als eine richtige Therapie. Und er fragte die Kasse: »Ist die Homöopathie-Erstattung für die Krankenkasse also doch nur Werbung, um gesunde, junge, reiche Mitglieder zu binden?!?« Die TK antwortete lediglich allgemein, dass Interesse und Bedarf bei allen Altersgruppen vorhanden seien. Daraufhin forderten viele Twitterer die Krankenkasse auf, lieber Zahnersatz und Brillen zu bezahlen als Behandlungen auf Basis wissenschaftlich nicht haltbarer Ansätze. Als schließlich der Social-Media-Mitarbeiter der TK auf Twitter die Kritiker fragte, ob man ihm denn überhaupt »saubere, wissenschaftliche Studien nennen« könne, »die die Nicht-Wirksamkeit von Homö­opathie belegen« würden, hob die Empörung erst so richtig an. »In aller Regel werden Studien zur Wirksamkeit präsentiert«, merkte ein Nutzer an. In der Tat gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Krankenkassen die Übernahme von Behandlungskosten verweigern – unter Verweis auf angeblich nicht ausreichend belegte Wirksamkeit.
Bei der Bezahlung von Homöopathie scheinen es die Kassen in dieser Hinsicht nicht so genau zu nehmen. Die TK steht da nicht allein – nach Informationen der Berliner Zeitung bezahlen 80 der 120 in Deutschland tätigen Kassen die kleinen Zuckerkügelchen, Globuli genannt. Sie erwecken aufgrund ihrer akademisch klingenden Namen und ihrer Verpackung den Eindruck von Wirksamkeit. Und sie haben angeblich nichts zu tun mit der als böse gebrandmarkten Pharmaindustrie, so dass sie als mild, verträglich und nebenwirkungsfrei dargestellt werden können. Mit den kleinen Kügelchen lässt sich eine Menge Geld verdienen. Im Jahr 2014 verzeichneten die Apotheken einen Gesamtumsatz von homöopathischen Arzneimitteln in Höhe von 528 Millionen Euro. Das entspricht einem Zuwachs von über neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Umfragen zufolge haben etwa 60 Prozent der Deutschen schon einmal Globuli geschluckt.
Die Homöopathie begründet hat der Arzt, Chemiker und Schriftsteller Samuel Hahnemann, der 1755 in Meißen geboren wurde. Beinahe jährlich zog er um, arbeitete als Arzt und Dozent und experimentierte immer mit irgendwelchen Mittelchen herum. Um 1796 formulierte er erstmals seinen Ansatz, »Ähnliches mit Ähnlichem« zu heilen. 1810 erschien die erste Auflage seines »Organon der rationellen Heilkunde«, das bis heute als Bibel der Homöopathie gilt. Hahnemann experimentierte mit verdünnten Wirkstoffen. Auch den Gedanken, dass eine Potenzierung durch Schütteln während der Verdünnungsschritte geschehen soll, entwickelte er in dieser Zeit. Während Potenzierung herkömmlich auf ein Mehr an Wirkstoff schließen lässt, spricht die Homöopathie von Potenzierung, wenn immer weniger des ursprünglichen Wirkstoffs enthalten ist. Die Buchstaben D und C kennt jeder, der schon einmal ein Gläschen mit Globuli in der Hand gehalten hat. Das Netzwerk Homöopathie erklärt die Potenzierung für Laien anschaulich. »Die Abkürzung D (lateinisch decem = zehn) bei homöopathischen Mitteln verweist dabei auf die zehnfache Verdünnung bei jedem Schritt, die Abkürzung C (lateinisch centum = hundert) auf die hundertfache. Die Zahl hinter D oder C gibt die Anzahl der Verdünnungsschritte an. D6 – eine häufig verwendete ›Potenz‹ – bedeutet also ein Teil Ursubstanz auf eine Million Teile Lösungsmittel.« Das entspricht etwa einem Tropfen Wirkstoff auf sieben randvolle Badewannen mit Wasser. Will man D12 erreichen, nimmt man aus den sieben Wannen wieder einen Tropfen und verteilt ihn auf weitere sieben Wannen. Während des Vorgangs wird alles geschüttelt und schließlich nimmt man etwas von der Flüssigkeit und versprüht es auf Zuckerkügelchen. Fertig ist ein Globuli.
Klingt verrückt? Ist es auch. Doch es verkauft sich gut, allen Studien zum Trotz, die keine Wirksamkeit nachweisen konnten. Erst jüngst hat der National Health and Medical Research Council (NHMRC) Australiens auf Basis einer umfangreichen Untersuchung davor gewarnt, Homöopathie bei »chronischen oder schweren Krankheiten« anzuwenden, da es keinerlei Nachweis für die Wirksamkeit gebe. In den USA sollen homöopathische Arzneien mit einem entsprechenden Warnaufdruck versehen werden.
Die TK hingegen entschuldigte sich zwar für den Tweet, scheint aber an ihrer Praxis nichts ändern zu wollen: »Kundenbefragungen haben uns gezeigt, dass manche Versicherte sich sogenannte komplementärmedizinische Angebote – in Ergänzung zur Schulmedizin – wünschen.« Diese Wünsche wolle man ernstnehmen. Wenn sich einer wie Wolfgang Wendland die Übernahme notwendiger Behandlungs- oder Transportkosten wünscht, gilt das offenbar nicht.