Die ungarische Regierung ist von den heftigen Protesten gegen ihr neues Hochschulgesetz überrascht

Die unerwünschte Universität

Das neue ungarische Hochschulgesetz bedroht die Existenz der Central European University. Die heftigen Proteste gegen das Gesetz sind für die Regierung von Viktor Orbán eine Überraschung.

»Wir bleiben nicht still« war am Osterwochenende das Motto, als Zehntausende demonstrierten. Fast jeden Tag wird derzeit gegen das neue Hochschulgesetz protestiert. Am 4. April hat das ungarische Parlament im Eilverfahren dieses Gesetz beschlossen, das das Fortbestehen der Central European University (CEU) in Budapest in Frage stellt. Auch wenn im Gesetzestext die CEU nicht explizit genannt wird, gab der zuständige Minister für Humanressourcen, Zoltàn Balog, in einem Radiointerview unumwunden zu: »Wir möchten nicht, dass die CEU in ihrer jetzigen Form weiterbesteht.« Das Gesetz schreibt vor, dass Hochschulen, die einen Sitz außerhalb Europas haben und hauptsächlich Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, einen eigenen Campus in ihrem Herkunftsland errichten müssen. Zudem bedarf es zur Fortsetzung der Lehr- und Forschungstätigkeit der Hochschule eines bilateralen Vertrags zwischen Ungarn und dem Herkunftsstaat der Hochschule.

Die CEU wurde 1991 mit finanziellen Mitteln des Investors George Soros gegründet, der schon lange von Mitgliedern der regierenden Partei Fidesz als »Vaterlandsverräter« und in rechtsextremen Kreisen wegen seiner jüdischen Herkunft antisemitisch angegriffen wird. Soros gründete die Hochschule, um eine offene Gesellschaft in Osteuropa zu fördern. An der CEU sind heute über 1 000 Studierende aus mehr als 100 Ländern eingeschrieben. Um die Bedingungen des neuen Gesetzes zu erfüllen, müsste die CEU bis 2018 einen Campus in New York errichten, wo sich der formale Sitz der Hochschule befindet, und ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen Ungarn und den USA müsste ausgehandelt werden.

Als das neue Gesetz am 28. März publik wurde, fand einen Tag später eine spontane Versammlung an der CEU statt. Vor einem vollen Vorlesungssaal rief Michael Ignatieff, der Rektor der Hochschule, sichtlich empört, die CEU werde nicht für eine Sekunde ihren Lehrbetrieb einstellen werde. Die Proteste gegen das mittlerweile unter dem Namen Lex CEU bekannte Gesetz dürfte die Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán überrascht haben. Am 2. April demonstrierten über 10 000 Menschen in Budapest gegen das Gesetz, Hunderte Solidaritätserklärungen von namhaften Institutionen wurden verfasst und auf Twitter formiert sich unter dem Hashtag #istandwithceu internationaler Protest gegen die drohende Schließung der Universität.

Bereits im vorigen Jahr verkündete Orbán, man wolle George Soros und »seine Organisationen« aus dem Land vertreiben.

Trotz der Proteste verabschiedete das Parlament das Gesetz nach nicht einmal einer Woche im Schnellverfahren, das nach ungarischem Recht nur viermal pro Legislaturperiode angewendet werden darf. Die Regierung wählte diesen Weg vermutlich auch, um eine öffentlichkeitswirksame Debatte im Parlament zu verhindern. Die Verfassungsrechtlerin Renàta Uitz bewertete das Gesetz und das Verfahren auf dem »Verfassungsblog« als einen »Stich in das Herz des Rechtsstaatsprinzips«.
Obwohl das Gesetz einen Bruch mit der Wissenschaftsfreiheit darstellt und die ungarische Regierung auch in der Asyl- und Medienpolitik für repressive Gesetze verantwortlich ist, hat die EU bislang kein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Am Mittwoch vergangener Woche kündigte die EU-Kommission immerhin eine Untersuchung des Hochschulgesetzes an, die bis Ende April abgeschlossen sein soll. Es gebe Gesprächsbedarf, doch »im formalen Sinne«, so Frans Timmermans, der Vizepräsident der EU-Kommission, »gibt es keine grundlegende Bedrohung des Rechtsstaats in Ungarn«.

Die defensive Haltung der EU-Institutionen gegenüber der ungarischen Regierung ergibt sich laut der Politikwissenschaftlerin Theresa Gessler, die am European University Institute in Florenz über die Auseinandersetzungen über Demokratie in Süd- und Osteuropa forscht, aus parteipolitischen Gründen: Da Fidesz im Europaparlament der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, in der auch CDU und CSU Mitglied sind, seien Gesetze der Regierung Orbán in der Vergangenheit oft in Schutz genommen worden. Obwohl die Lex CEU auch von Politikern der EVP kritisiert wurde, zweifelt Gessler, dass angesichts der vielen Sitze, die Fidesz in die Fraktion einbringt, hart durchgegriffen wird. Anders als im Fall Ungarns hat die EU gegen Polen ein Rechtsstaatsverfahren eingeleitet – die dort regierende Partei PiS gehört im EU-Parlament nicht zur EVP, sondern zu einer explizit EU-kritischen Fraktion.

Der Angriff auf die CEU ist Teil einer größeren Kampagne der Regierung gegen unabhängige Institutionen. Bereits im vorigen Jahr verkündete Orbán, man wolle George Soros und »seine Organisationen« aus dem Land vertreiben. Nun sagte Lajos Kósa, der Fraktionsvorsitzende von Fidesz, der Streit über die CEU sei nur ein Nebenkriegsschauplatz, denn die Auseinandersetzung mit Soros entscheide sich an der Migrationsfrage. Kurz nach der Verabschiedung des Hochschulgesetzes wurde ein weiterer Gesetzentwurf bekannt, der sich gegen NGOs richtet, die Gelder aus dem Ausland erhalten. Davon könnte zum Beispiel das Hungarian Helsinki Committee betroffen sein, das zuletzt erfolgreich die ungarische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen ihrer Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge verklagte. Auch die CEU gehöre zur liberal orientierten Zivilgesellschaft, wie Theresa Gessler im Gespräch mit der Jungle World betont. Wenngleich die Rolle der CEU von der Regierung oft überschätzt werde, sei die Universität dennoch ein Freiraum für jene, die sich in dem immer stärker nationalistisch ausgerichteten Land nicht mehr wohlfühlten.
Indes wachsen die Proteste gegen die ungarische Regierung. Am 9. April gingen 60 000 Menschen in Budapest auf die Straße, eine der größten Demonstrationen, die das Land je erlebt hat. Raia Apostolova ist Doktorandin an der CEU und beteiligt sich an den Protesten. Sie erzählt, dass es schon länger Gerüchte über eine mögliche Schließung der CEU gegeben habe, es sei aber hinter verschlossenen Türen verhandelt worden. Ein taktischer Fehler, wie Apostolova glaubt. Von den Protesten zeigte sich der ungarische Staatspräsident János Áder unbeeindruckt. Er unterzeichnete am 10. April das Gesetz, das damit in Kraft trat. Der Protest müsse sich deswegen ausweiten, sagt Apostolova. Sie hofft auf eine internationale Studierendenbewegung zur Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit.

Im kommenden Jahr sollen in Ungarn Parlamentswahlen stattfinden. Die Proteste gegen die Lex CEU könnten die liberale Zivilgesellschaft dazu bringen, gegen die völkische Transformation unter der Fidesz-Regierung aufzubegehren. Viktor Orbán könnte das allerdings zum Anlass nehmen, noch repressiver vorzugehen. Denn der Kampf um die CEU ist nur ein Beispiel dafür, wie der ungarische Ministerpräsident versucht, seine Macht dauerhaft zu sichern.