Die Partei des Präsidenten ist die Gewinnerin der Parlamentswahlen in Frankreich. Die meisten gingen aber gar nicht zur Wahl

Emmanuel vom Jupiter

In der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen war die Partei des Präsidenten Emmanuel Macron sehr erfolgreich. Die Wahlbeteiligung fiel allerdings gering aus.

Das Präsidialsystem der 1958 begründeten Fünften Französischen Republik galt noch bis vor kurzem als reichlich abgewirtschaftet. Der linkspopulistische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon versuchte etwa, mit dem Versprechen einer Abschaffung dieser »Wahlmonarchie« zu punkten. Er hat bei der Präsidentschaftswahl mit 19,6 Prozent der Stimmen nur knapp den Einzug in die Stichwahl verpasst, am kommenden Sonntag wird er nun in der zweiten Runde der Parlamentswahlen höchstwahrscheinlich in einem Wahlkreis in Marseille zum Abgeordneten gewählt werden.

Staatsoberhaupt wurde hingegen ein Kandidat, der keineswegs den Bruch mit der Fünften Republik und ihren Institutionen versprochen hatte. Emmanuel Macron spricht vielmehr offen aus: »Ich stehe zu dieser Vertikalität der ­Politik.« Das Präsidentenamt, wie er es gerne sähe, verglich er mit der »Statur des Jupiter«, ein Ausspruch, der es Ende vergangener Woche auf die Titelseite des Wochenmagazins Le Point schaffte: »Jupiter im Elysée«. »Mehr Demo­kratie wagen«, wie 1969 ein politischer Slogan in Westdeutschland lautete, ist nicht Macrons Programm. Er stellte im Wahlkampf in Aussicht, das Parlament um ein Drittel zu verkleinern und seine Sitzungsperiode von derzeit neun ­Monaten im Jahr auf drei zu verkürzen. Zudem sollen Änderungsanträge zu Gesetzen, die in den zuständigen Ausschüssen keine Mehrheit finden – also nicht von den stärksten Parteien mitgetragen werden –, nicht mehr zur Aussprache im Plenarsaal zugelassen werden.

Die Wählerschaft hat es, wenn nicht goutiert, dann doch akzeptiert. Mit seinem jung-dynamischen Auftreten ist Macron erfolgreich. Einige Ankündigungen zur künftigen Politik, die nicht unumstritten bleiben dürfte, erfolgten bereits vor dem ersten Durchgang der Parlamentswahlen vom Sonntag. Zum Thema innere Sicherheit kündigte die Regierung unter Macrons konservativem Premierminister Édouard Philippe am Mittwoch voriger Woche an, fast alle Bestimmungen des seit anderthalb Jahren geltenden Ausnahmezustands in das gewöhnliche Straf- und Strafprozessrecht zu überführen und diesen damit zu perpetuieren.

Die Pläne zum Arbeitsrecht bergen ebenfalls Konfliktpotential. Am Pfingstmontag veröffentlichte zunächst die Boulevardzeitung Le Parisien einige dieser Reformpläne. Die Regierung ­dementierte: Es handele sich nur um Planspiele eines externen Juristen, hinter denen man nicht notwendiger­weise stehe. Am übernächsten Tag folgten weitere Enthüllungen in der Tageszeitung Libération, doch dieses Mal trugen die Dokumente den Stempel des Arbeitsministeriums. Dessen Leiterin ­Muriel Pénicaud hat inzwischen Strafanzeige wegen des Abdrucks gestellt, was bei Verteidigern der Pressefreiheit für Empörung sorgt. Geplant ist demnach etwa, zu Ungunsten der Lohnabhängigen in Abkommen einzelner Unternehmen noch größere Abweichungen vom Branchentarifvertrag und vom Gesetz zu ermöglichen als im Arbeitsgesetz vom August 2016 ohnehin schon vor­gesehen. Bei Betriebsvereinbarungen sollen zudem gesetzliche Vorschriften zum Kündigungsschutz oder zu Befristungsgründen für Arbeitsverträge zur Disposition stehen. Bislang war es ­lediglich bei der Arbeitszeitpolitik möglich, Vereinbarungen zu treffen, die für die Lohnabhängigen ungünstiger ausfallen als das bestehende Regelwerk.

Nach dem ersten Durchgang der Parlamentswahlen scheint für Macron bislang alles wie gewünscht zu verlaufen. Prognosen für die Stichwahlen am kommenden Wochenende sehen eine deutliche Mehrheit von über zwei Dritteln der Sitze in der Nationalversammlung für seine Partei La République en Marche (LRM) und die verbündete ­Partei MoDem. 63 Prozent der Befragten erklärten zwar in Umfragen, keine ­absolute Mehrheit für Macron zu wünschen, doch das geltende Mehrheitswahlrecht erlaubt es, mit einer einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen einen Sitz zu erhalten.

Wer nicht mit Macron und seinen Plänen einverstanden ist, zog es bislang vor, der Wahl fernzubleiben, statt sich für parteipolitische Alternativen zu entscheiden. Die Wahlbeteiligung lag bei 48,7 Prozent: Mélenchons Wahlplattform La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) fiel von 19,6 Prozent der Stimmen bei den Präsidentschafts- auf elf Prozent bei den Parlamentswahlen. Sie könnte jedoch mit den Überresten der nur noch 2,7 Prozent auf sich vereinigenden KP eventuell Fraktionsstärke erreichen. Der Front National (FN), dessen Führung bereits seit der Stichwahl um die Präsidentschaft an fehlender Motivation leidet und Richtungskämpfe austrägt, fiel auf 13,2 Prozent der Stimmen zurück. Er dürfte nur eine Handvoll Mandate erlangen und keine Fraktion bilden können. Der sozialdemokratische Parti Socialiste fiel nach fünfjähriger Regierungszeit auf lediglich 9,5 Prozent der Stimmen – mit verbündeten Links­liberalen. Das konservative Parteienbündnis aus Les Républicains und UDI erhielt insgesamt 21,5 Prozent und wird die stärkste Oppositionsfraktion stellen.

Daher wird Macron wohl durchregieren können, auch wenn er seine Popularität vorläufig nicht zuletzt der inhaltsfreien Regenbogenpresse verdankt – keine Ausgabe von Gala kommt ohne seine Gattin Brigitte Macron aus. Den 32 Prozent der Stimmen für LRM und MoDem entsprechen nur 16 Prozent der in die Wählerverzeichnisse eingetragenen Wahlberechtigten und elf Prozent der Gesamtbevölkerung. Dabei dürfte es sich überwiegend um die oberen Einkommenssegmente handeln: Macron unterstützen vor allem jene Wählerinnen und Wähler, die neben einem komfortablen Einkommen auch über eine optimistische Einstellung verfügen, »Europa« im Sinne der real existierenden EU befürworten und kulturell »weltoffen« sind.

Macron kommt auch zugute, dass das Präsidialsystem seit 2000/2001 gestärkt wurde. Bis dahin hatte der ­Präsident eine sieben-, das Parlament jedoch eine fünfjährige Amtszeit. Um ­gegenläufige Mehrheiten unwahrscheinlich zu machen und die Rolle derjenigen Partei, die jeweils das Staatsoberhaupt stellt, zu stärken, wurden beide Amtsperioden durch eine Verfassungsreform 2000 aneinander angeglichen. Überdies finden seit 2002 die Parlamentswahlen nach den Präsidentschaftswahlen statt. Dass der »Monarch« bereits im Amt ist, mindert die Bedeutung der Parlamentswahlen.

Aus Sicht der Befürworter dieses politischen Systems ist es noch einmal gutgegangen. Doch 51,3 Prozent Enthaltung sprechen dagegen, dass die innenpolitische Situation auf die Dauer stabil und ruhig bleiben wird, auch wenn »Jupiter« Macron nun auf einer Wolke schwebt und die Welt von oben betrachtet.