Der Streit zwischen Ultragruppen und den Fußballverbänden wird heftiger

Immer wieder Dynamo

Eine Aktion von Dresdner Fans bringt den bereits länger bestehenden Konflikt zwischen Ultragruppen und Verbänden wieder in den Fokus der sportinteressierten Öffentlichkeit. Der Streit scheint kein Ende zu finden.

Neben der Rückkehr von VfB Stuttgart und Hannover 96 in die Bundesliga, der Rettung des VfL Wolfsburg, dem Drama um 1860 München mit Abstieg aus der 2. Liga und anschließender Lizenzverweigerung für die 3. Liga und dem guten Abschneiden von RB Leipzig bleibt am Ende der Bundesligasaison 2016/17 vor allem eines hängen: Fanproteste allerorten. Aufsehenerregend, teilweise gewalttätig, meist effektvoll – auf jeden Fall unmöglich zu ignorieren. In Dutzenden Stadien bundesweit gab es Unmutsbekundungen gegenüber den Fußballverbänden Deutscher Fußball-Bund (DFB) und Deutsche Fußball-Liga (DFL). Die Fronten scheinen so verhärtet zu sein wie lange nicht.

Beim DFB-Pokalfinale in Berlin zwischen Eintracht Frankfurt und ­Borussia Dortmund, das als gigantisches Event samt Schlagerpopdröhnung in der Halbzeitpause angelegt war, zündeten Fans enorme Mengen an Pyrotechnik, so dass große Teile des Stadions lange von Rauch ver­nebelt waren. Bei der Fernsehübertragung war durch den Dunstschleier zeitweise kaum etwas zu erkennen. Das ohrenbetäubende Pfeifkonzert für Schlagersängerin Helene Fischer in der Halbzeitpause regelte die ARD in der Übertragung zwar herunter. Doch die Proteste der Fans waren kaum zu überhören.

Bereits vor dem Spiel hatten die nicht unbedingt für ihre gegenseitigen Sympathien bekannten Frankfurter und Dortmunder Anhänger gemeinsam »Scheiß DFB«-Wechsel­gesänge intoniert. Auf einem Plakat der Dortmunder prangte der Spruch »Krieg dem DFB«. Es war jene Parole, die an den letzten Spieltagen in allen oberen Ligen vor den Ultra-Kurven der unterschiedlichsten Vereine zu lesen war. Die Fangruppen zeigten damit auch ihre Solidarität mit den »Ultras Dynamo« aus Dresden, die bei einem Fanmarsch in Karlsruhe für großes Aufsehen gesorgt hatten.

Kaum ein anderer Verein dürfte in seiner jüngeren Geschichte so viele Strafen seitens des DFB erhalten haben wie Dynamo Dresden. Die Palette reicht von Geldstrafen über alle möglichen Zuschauerausschlüsse. Es gab Sperren sowohl für den Uefa- als auch den DFB-Pokal. Zuletzt musste der »K-Block« – jener Bereich, in dem die Ultras bei Heimspielen stehen – beim Spiel gegen den 1. FC Heidenheim leer bleiben, weil beim Pokalspiel Dresdens gegen RB Leipzig ein abgetrennter Bullenkopf in den Innenraum des Stadions geworfen worden war.

Dabei geht es Dynamo sportlich und wirtschaftlich so gut wie lange nicht. Zum ersten Mal seit den chao­tischen Nachwendejahren ist der Verein schuldenfrei. Die Mannschaft brachte es in der abgelaufenen Saison als Aufsteiger zu einem beachtlichen fünften Platz in der 2. Bundesliga. Auch die Fans sorgen regelmäßig für Rekorde und Schlagzeilen nicht nur negativer Art – etwa mit der größten Blockfahne Europas. Sie beschwören die erfolgreichen Jahrzehnte des achtfachen DDR-Meisters und träumen wieder von Bundesliga und internationalem Fußball.

Stattdessen hieß es nun einmal mehr: »Entsetzen über martialische Dynamofans«; von »Chaoten«, »Randale« und »Gewaltexzessen« war die Rede. Die Bild-Zeitung titelte: »Randale im Armee-Kostüm: Innenminister droht Dynamo-Chaoten mit Knast«. »Wer Ordner und Polizisten attackiert, ist in Wahrheit kein Fußballfan und gehört nicht ins Stadion, sondern hinter Schloss und Riegel«, hatte Thomas de Maiziere (CDU) der Heilbronner Stimme gesagt. Was war passiert? Bei besagtem ­Fanmarsch Mitte Mai in Karlsruhe waren etwa 2 000 Dynamo-Anhänger, größtenteils mit T-Shirts und ­Fischerhüten in Tarnfarben mit der Aufschrift »Football Army Dynamo Dresden« bekleidet zum Stadion marschiert und hatten dabei alles in dunklen Rauch gehüllt. Einige von ihnen bewarfen zudem die Polizei mit Knallkörpern und überrannten schließlich den Einlass zum Stadion. Auf Transparenten drückten die Ultras ihre Gegnerschaft zum DFB aus.

In einer Stellungnahme erklärten die »Ultras Dynamo«, was sie zu der Aktion veranlasst hatte: »Als fünf Tage vor unserem Gastspiel in Karlsruhe der KSC zu einem ›Geisterspiel‹ verurteilt wurde, war für uns sofort klar, dass wir uns solidarisch zeigen müssen«, schrieben sie, distanzierten sich aber von Gewalt und Instrumentalisierung: »Unsere Mottofahrt hatte niemals das Ziel, Menschen zu verletzen. Wir legen Wert auf eine Trennung zwischen dem Auftritt im Camouflage-Muster und unserer Provokation gegenüber dem DFB einerseits und den Vorfällen am Eingang des Stadions. Genauso deutlich möchten wir all denen eine Absage erteilen, die in unserem Marsch irgendwelche rechtsextremen Tendenzen sehen. Und allen Trittbrettfahrern möchten wir sagen: Fickt euch!« Damit dürfte in erster Linie Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann gemeint gewesen sein, der die Aktion in ­einem Tweet gelobt hatte. Des Weiteren würde die Kommerzialisierung des Fußballs, die Korruption in den Verbänden und die Wirkungslosigkeit von Protest kritisiert. Da der DFB seit Jahren jeden Dialog mit den Fans verweigere, müsse die »größtmögliche Provokation« für das ­nötige Aufsehen sorgen. Das ist so oder so gelungen.

Dabei hätte der Auftritt auch anders gedeutet werden können. Der Fanmarsch wurde von einem ebenfalls tarnfarbenen Trabant-Cabrio angeführt, aus dem heraus der sogenannte Capo seine Anweisungen gab – das alles erinnerte eigentlich eher an eine Parodie. Spätestens als die Dresdner mit ihren Fischerhüten in Camouflagemuster im Block hin und her marschierten und dabei »Ost! Ost! Ostdeutschland!« skandierten, hatte das Ganze fast schon karnevalesken Charakter. Die Verkäufer der geplünderten Imbissstände und die verletzten Ordner am Einlass dürften das freilich anders gesehen ­haben.

Die Gewalt, die bei manchen Fans von Dynamo Dresden offenbar zur Folklore gehört, stellt den Verein immer wieder vor die Frage nach der richtigen Reaktion. Nicht selten trifft die Antwort dann alle Fans. So ­werden in der kommenden Saison Sicherheitszuschläge auf die Eintrittskarten verlangt. Bei bestimmten Spielen sollen die Tickets persona­lisiert werden, Dauerkarten für Auswärtsspiele wurden abgeschafft.

Welche Strafe der DFB verhängt, ist noch nicht bekannt. Der militärische Anstrich solle in die Überlegungen einbezogen werden, so ein Sprecher. Was konkret wie hart bestraft wird, vor allem, nachdem ­Dutzende weiterer Ultragruppen dem DFB ebenfalls den »Krieg erklärt« haben, ist nicht klar. Was das Pokalfinale betrifft, hieß es aus den Reihen des Verbandes ­zumindest, wolle man solche Showeinlagen künftig überdenken.

Doch auch für viele Innenpolitiker waren die Vorfälle ein gefundenes Fressen. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) drohte mit schweren Sanktionen. »Ich finde es abstoßend, wie der Fußball für solche Randale missbraucht wird«, sagte er der Neuen Osnabrücker ­Zeitung. Wenn die Gewalt von Teilen der Fanblocks nicht mehr beherrschbar sei, müssten die gewaltbereiten Fans vom Spiel ausgeschlossen ­werden. Man dürfe die Deutungshoheit über die Fankultur in deutschen Stadien nicht dem harten Kern des Fanblocks überlassen. »Wenn ich ins Stadion gehe, frage ich mich: Wem gehört eigentlich der Fußball? Dem Familienvater auf der Sitztribüne, den VIP-Gästen, den Funktionären oder der Kurve?« Bezeichnend, dass es für Pistorius offenbar keinesfalls »die Kurve« sein kann, der der Fußball gehört.

Wie üblich unter Sicherheitspolitikern warf auch der im Schatten­kabinett von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für das Thema »Innere Sicherheit« zuständige Pistorius munter verschiedene Themen in ­einen Topf. »Wenn skandalöse Plakate gezeigt werden, wenn Pyros fliegen, darf die Mannschaft insbeson­dere die Kurve hinterher nicht dafür abfeiern«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Täter müssten mittels Videotechnik noch vor Ort ermittelt und abgeurteilt werden. »Es gibt nur eine Antwort: lebenslange Stadionverbote«, sagte der SPD-­Politiker.

Wenig überraschend lehnte die bundesweite Fanorganisation »ProFans« prompt die Teilnahme an ­einem von Pistorius für Mitte August vorgeschlagenen Fußballgipfel in Hannover ab. Es handele sich ­lediglich um eine Showveranstaltung auf Kosten der Fankultur, so das Bündnis.