Die italienische Regierung macht in der Migrationspolitik den Rechten Konkurrenz

Wellen nach rechts

In Italien nähert sich die vom Partito Democratico geführte Regierung in der Migrations- und Flüchtlingspolitik der rechten Konkurrenz an. Andere EU-Länder am Mittelmeer weigern sich weiterhin, ihre Häfen für Rettungsschiffe zu öffnen.

Unter Berufung auf den »gesunden Menschenverstand« postete Matteo Renzi am Freitag vergangener Woche in den sozialen Medien des Partito ­Democratico (PD) die neue Parteilinie in der Migrationspolitik: »Ich möchte, dass wir uns von einer Art Schuldgefühl befreien. Wir haben keine moralische Pflicht, in Italien alle Personen aufzunehmen, denen es schlechter geht. Würden wir es tun, wäre das eine ethische, politische, soziale und schließlich auch ökonomische Katas­trophe.« Im Nachsatz fügte der Par­teivorsitzende die traditionell von den Rechtsextremen propagierte Forderung hinzu, dass Hilfe nur in den Herkunftsländern der Flüchtenden gewährt werden soll. Die politische Konkurrenz reagierte prompt: Forza Italia twitterte eine Warnung vor unlauteren Imitationsversuchen. Matteo Salvini von der Lega Nord übernahm den Wortlaut des Posts und versandte ihn mit dem Logo seiner Partei. Die Aus­einandersetzung markiert den vorläufigen Höhepunkt eines seit Wochen ­andauernden Wettstreits um die politische Vorherrschaft im rechten Mainstream.

Die größer werdende rechts­populistische Einheitsfront brachte sogar die Neofaschisten der Casa Pound in Verlegenheit.

Ende Juni erklärte Ministerpräsident Paolo Gentiloni (PD), es sei eine »unhaltbare Situation«, dass alle im Mittelmeer aus Seenot Geretteten nach Italien gebracht würden. Nach Angaben des Innenministeriums sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres etwa 85 000 Personen in den Häfen von Sizilien und Kalabrien angekommen, über zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Da bis zum Jahresende mit insgesamt 200 000 Geflüchteten gerechnet wird, forderte Innenminister Marco Minniti (PD) europäische Mittelmeeranrainerstaaten auf, ihre Häfen für Rettungsschiffe zu öffnen. Doch auf einem Treffen mit seinen französischen und deutschen Ressortkollegen, Gérard Collomb und Thomas de Maizière, sowie dem EU-Kommissar für ­Migration, Dimitris Avramopoulos, wurde seine Forderung Anfang Juli abgelehnt. Darüber hinaus wurde auf dem EU-Innenministertreffen in Tallinn vergangene Woche auch die schleppende Umsetzung der längst beschlossenen Umverteilung von Geflüchteten aus Italien in andere europäische Länder nicht weiter thematisiert. Vereinbart wurde dagegen ein »Verhaltenskodex« für alle Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die allein in diesem Jahr 35 Prozent der Schiffbrüchigen gerettet haben, mehr als die italienische Küstenwache und dreimal so viele wie die Schiffe der EU-Grenzkontrollmission »Triton«. Minniti versuchte den Beschluss als Erfolg seiner Regierung zu verbuchen, tatsächlich handelt es sich um ein Zugeständnis an die rechte Opposition. Der Movimento 5 Stelle (M5S) lancierte bereits im Frühjahr den Vorwurf, ausländische NGOs arbeiteten mit libyschen Schleppern zusammen und agierten im Mittelmeer als deren »­Taxis«. Doch bisher konnte weder die italienische Staatsanwaltschaft noch der zu einer Anhörung des Senats geladene Direktor der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, prozessrelevante Beweise ­vorlegen.

Ungeachtet dessen sieht der neue »Verhaltenskodex« unter anderem vor, dass Hilfsorganisationen nur noch in Ausnahmesituationen in libysches Gewässer einfahren dürfen und ihre Po­sitionen nicht durch Telefon- und Lichtsignale anzeigen sollen. Die Rettung all jener, die auf den überfüllten, seeuntauglichen Schlauchbooten noch ­innerhalb des libyschen Hoheitsgebiets in Seenot geraten, wird dadurch erschwert beziehungsweise unmöglich gemacht. Bereits jetzt droht 2017 mit schätzungsweise 2 000 bei der Überfahrt im Mittelmeer Ertrunkenen in den ersten sechs Monaten ein trauriges Rekordjahr zu werden. Ferner sollen trotz der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen die EU-Zahlungen an die libysche Marine aufgestockt und trotz der unübersichtlichen politischen Lage im Land »Rückführungen« beschleunigt werden. Für Außenminister Angelino Alfano, den Vorsitzenden der rechten Koalitionspartei Alternativa Popolare, muss sich das Augenmerk der italienischen Grenzpolitik außerdem weiter nach Süden richten: Auf einer parallel zum EU-Innenmi­nistertreffen in Tallinn einberufenen Konferenz in Rom beriet er sich mit Vertretungen der afrikanischen Transitländer über Kooperationsmöglich­keiten zur »Sicherung« von Libyens Südgrenze (siehe Artikel oben).

Im Dauerwahlkampf mit der rechten Konkurrenz will sich die PD-geführte Regierung allerdings nicht auf etwaige langfristige Erfolge der Abschottungspolitik verlassen. Minniti will die ­Vereinbarungen der Operation »Triton« neu verhandeln, wonach alle im Rahmen der von Frontex geleiteten Grenzkontrollmission Geretteten in Italien regis­triert werden müssen. ­Angestrebt wird eine »Regionalisierung«, gemeint ist damit eine Verteilung der Geflüchteten auf weitere Staaten der Mittelmeerregionen. Dass die Regierung ihre Drohung, ausländischen Rettungsschiffen die Einfahrt in italienische Häfen zu verweigern, um somit die Hilfe von Anrainerstaaten zu erzwingen, wirklich wahrmachen wird, gilt bisher als unwahrscheinlich. Giancarlo Perego, der Direktor von »Migrantes«, der Hilfsorganisation der italienischen Bischofskonferenz, hält die Ankündigung des Innenministers für pure Provokation.

Doch in der italienischen Debatte werden die Töne schriller. Während im M5S die Forderungen nach einem Austritt aus der EU wieder lauter werden, schlug Renzi vor, Italiens Beitrag zum nächsten EU-Haushalt zu blockieren, sollten sich die europäischen Länder weiterhin der Umverteilung der Geflüchteten verweigern. Die Auffassung, Italien werde mit der »Flüchtlingskrise« alleine gelassen und habe die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit erreicht, ist gesellschaftlicher Konsens. Die stärker werdenden Rechts­populisten brachten zuletzt sogar die römischen Neofaschisten der Casa Pound in Verlegenheit. Als Roms Oberbürgermeisterin, Virginia Raggi (M5S), im Juni vom Innenministerium einen Aufnahmestopp für Geflüchtete in der Hauptstadt forderte, musste der Vizepräsident der neofaschistischen ­Bewegung, Simone di Stefano, zugeben, man freue sich, dass die Stadtverwaltung nun die gleichen Positionen vertrete wie die Casa Pound.