Indigene Gruppen im Amazonas-Gebiet haben einen ambitionierten Plan zum Schutz des Regenwaldes vorgelegt

Heilige Quellen, verseuchte Flüsse

Das Amazonasgebiet ist von Ölbohrungen, Bergbau, Wasserkraft­werken, Flussbegradigungen und Soja-Monokulturen bedroht. Indigene Gruppen haben nun einen ambitionierten Plan vorgelegt, der die weitere Zerstörung des wichtigen Regenwaldgebiets abwenden soll.

Das Dörfchen Mamayake liegt abgelegen in einem der artenreichsten Areale des peruanischen Amazonasgebiets. Auch wenn an schlechten Tagen nur Maniok oder Reis auf dem Speiseplan stehen und der ökologisch angebaute Kakao nicht immer so rege sprießt wie gewünscht, ist die Gemeinde der indigenen Gruppe der Awajun am Cenepa-Fluss auf den ersten Blick ein idyllischer Rückzugsort. Hier gibt es keine Kettensägen, Sojawüsten, Ölbohrtürme und andere Vorboten der Zerstörung des Regenwalds. »Doch dann schlugen flussabwärts illegale Goldschürfer ihr Lager auf und mit ihnen kam das Quecksilber«, erzählt Zebelio Kayap, ein Gemeindevertreter, bei einer Erkundungsfahrt im Kanu mit Zweitaktmotor. Wasserproben ergaben erwartungsgemäß eine erhöhte Umweltbelastung. »Doch noch viel beunruhigender für uns war, dass auch flussaufwärts Cyanid und andere Stoffe im Wasser gefunden wurden«, fährt Kayap fort. »In dem Wasser, das wir trinken, in dem wir baden, in dem wir fischen.«

Die Erfahrungen am Cenepa zeigen, wie weit die Folgen des Rohstoffabbaus im Amazonas-Gebiet mittlerweile zu spüren sind. Bergbauunternehmen wie Anaconda Peru forcieren den Ausbau des Straßennetzes, um erworbene Schürfrechte in der Cordillera del Cóndor intensiver nutzen zu können. Es ist eine fatale Entwicklung, denn dem Gebirgszug, um den zwischen Ecuador und Peru in den neunziger Jahren ein kriegerischer Konflikt entbrannte, entspringen einige der wichtigsten Quellflüsse des Amazonas. Hier mit Chemikalien und schwerem Gerät zu arbeiten, sei nachhaltige Selbstzerstörung, findet Domingo Peas von Confeniae, dem Dachverband der Indigenen des ecuadorianischen Amazonas-Gebiets. »Diese Kontamination trifft uns alle: Arme, Reiche, Indigene, Gringos. Deshalb müssen wir jetzt gemeinsam handeln«, so Peas.

Das sind keine leeren Worte. Gemeinsam mit seiner Kollegin Elvia Dahua war Peas zuletzt im Mai in Peru, um für einen ehrgeizigen Plan zu werben. Die Quellgebiete zweier der wichtigsten Zuflüsse des Amazonas, der Flüsse Napo und Marañon, sollen zum Schutzgebiet erklärt werden. Dieses umfasst sowohl die Cordillera del Cóndor als auch das Amazonas-Tiefland. Das entstehende Schutzgebiet hätte gigantische Ausmaße von mehr als 20 Millionen Hektar auf den Staatsgebieten von Ecuador und Peru, eine Fläche fast so groß wie die alte Bundesrepublik. »Unser Plan ist der letzte, der uns noch bleibt«, betont Dahua auf Treffen mit indigenen Organisationen und Umweltorganisationen immer wieder. »Wir müssen dafür sorgen, dass die Rohstoffe und fossilen Brennstoffe unter der Erde bleiben.« Das hört sich zunächst ganz nach einem alten Hut namens Yasuní-Initiative an.

Tadzio Müller, Referent für Klimagerechtigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erinnert sich: »Yasuní hatte den Anspruch zu sagen, die ecuadorianische Regierung und die indigenen Gemeinschaften, die auf den Ressourcen wohnten, entscheiden, diese nicht zu fördern; und dafür zahlt der Rest der Welt.« Vorgesehen war etwa die Hälfte des damals marktüblichen Preises der vermuteten Ressourcen. »Die Marktlogik sollte genutzt werden, um einen Gerechtigkeitseffekt herzustellen«, resümiert er. Doch die Yasuní-Initiative ist 2013 gescheitert, nicht zuletzt an der damaligen Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP und ihrem Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP). Müller regt es immer noch auf, dass ein FDP-Minister das Projekt »quasi im Alleingang« habe scheitern lassen.

Wozu braucht es also ein neues Yasuní-Projekt, das auch noch den befremdlichen Namen »Heilige Quellen des Río Napo und Marañon« trägt? »Es ist kein neues Yasuní-Projekt, sondern eine Erweiterung«, verteidigt Benito Bonilla das zwanzigfach größere Vorhaben, an dem er selbst mitgearbeitet hat. Für den Mitarbeiter der ecuadorianischen NGO Terra Mater steht außer Frage, dass der immense Raubbau an der Natur nur mit einem ebenso weitreichenden Gegenvorschlag zu stoppen ist. »Wir reden hier von ungefähr zehn Prozent des Amazonas-Gebiets. Hier liegen die Quellflüsse, die zu den Ozeanen führen. Es ist der Teil des Amazonas, der während der Eiszeit nicht zugefroren ist. Deshalb ist hier die Biodiversität noch höher als anderswo«, schwärmt Bonilla.

Anders als im Nationalpark Yasuní umfasst dieses Gebiet auch Städte, Straßen und die Gemeinden von 22 indigenen Gruppen. Sie sollen gemeinsam eine wirtschaftliche Alternative zur Ölförderung entwickeln. Zudem kommt der Vorschlag diesmal nicht von der ecuadorianischen Regierung wie im Falle der Yasuní-Initiative, sondern von den Indigenen, die an Ort und Stelle leben, und den mit ihnen verbündeten Organisationen der Zivilgesellschaft. »Dieser Vorschlag würde die Ernährung sicherstellen, die Bildung, das buen vivir (gutes Leben), die wirtschaftliche Entwicklung – dieser Vorschlag wird die Welt retten«, sagt Dahua zuversichtlich.

Gloria Chicaiza von der ebenfalls in Ecuador aktiven Organisation Acción Ecologica hat noch Bedenken. Sie warnt vor Scheinlösungen, »bei denen Natur wieder in Wert gesetzt wird«. Als Beispiel nennt sie den Handel mit CO2-Emissionen. »Von diesem grünen Kapitalismus müssten sich die indigenen Gemeinden emanzipieren«, fordert sie. Aber auch wenn man die Natur nicht verwerten möchte, so lässt sich nicht vermeiden, dass Rohstoffe als wertvoll angesehen werden und einen Preis auf dem Weltmarkt haben. Woher soll also das Geld kommen, um die Rohstoffe im Boden zu lassen, wie das bereits bei der Yasuní-Initiative geplant war?

Domingo Peas von der indigenen Gruppe der Achuar sieht das bisherige Entwicklungsmodell am Ende und fordert eine nachhaltigere Entwicklung mit neuen Technologien. »Was haben wir denn mit der Ausbeutung der Ölvorkommen erreicht?« fragt er. Die Ölförderung habe nichts als Probleme gebracht, viele Millionen an Investitionen gekostet und das Land in Schulden gestürzt. »Wir sind verschuldet, weil wir Öl fördern! Die Großkonzerne haben uns Kredite gegeben und jetzt sind Peru und Ecuador mit Millionen von Dollar verschuldet. Sollen wir etwa so weitermachen oder lassen wir es bleiben?« Es müsse darum gehen, Leben zu retten, und diejenigen, die den Kontinent zerstören, sollten fortan zum Schutz des Waldes beitragen. Durch einen Schuldenschnitt zum Beispiel. Das ist eine Idee, die auch Bonillo gefällt: »Ecuador hat schon positive Erfahrungen mit einem Schuldenerlass für den Erhalt der Natur gemacht. Wir hatten beispielsweise 50 Millionen US-Dollar Schulden bei Italien, die erlassen wurden, während die Yasuní-Initiative noch lief.« Inzwischen sei jedoch China der größte Gläubiger. Ecuador hat ein Bruttoinlandsprodukt von knapp 100 Milliarden US-Dollar, doch davon gehe ein Zehntel für die Tilgung von China aufgenommener Kredite drauf. China sei zwar einer der größten Umweltverschmutzer, suche aber gleichzeitig auch nach einer Alternative zu fossilen Energieträgern, gibt Bonillo zu bedenken – auch wenn davon in der Cordillera del Cóndor nichts zu spüren ist.

Bonilla erinnert zudem an den Paradigmenwechsel bei der UN-Klimakonferenz (Cop 21) im Jahr 2015 in Paris, als auch Ressourcen, die nicht gefördert werden, einen Wert bekamen: »In Frankreich haben 170 Länder das grüne Klimaabkommen unterzeichnet und sich verpflichtet, 100 Millionen Dollar in einen Fonds für Kompensationszahlungen des Klimawandels einzuzahlen. Nun stehen wir vor der Herausforderung, die Form zu finden, wie wir zwei Drittel der fossilen Brennstoffe, die sich noch unter der Erde befinden, auch dort lassen können.« So gesehen sei Yasuní seiner Zeit voraus gewesen.

Darüber hinaus habe eine vernünftige Klimapolitik noch eine zweite Komponente, gibt Tadzio Müller zu bedenken: Gerechtigkeit. »Im globalen Maßstab betrachtet, hat der Norden historisch über seine Verhältnisse gelebt und sollte dafür nun Reparationen an den Süden leisten, also sozusagen seine ökologische Schuld anerkennen. Nur wenn diese zwei Elemente zusammen kommen, hat man eine wirkliche Klimagerechtigkeitspolitik.«

Peas, Dahua und Kayap sind mit ihrem Beitrag dazu noch am Anfang. Der ecuadorianische Indigenen-Dachverband Confeniae und sein peruanischer Partner Aidesep haben der Initiative im März offiziell ihre Unterstützung zugesagt. Mit der internationalen Indigenenvereinigung Coica, zu der auch Confeniae und Aidesep gehören, hat sich inzwischen ein weiterer Dachverband angeschlossen. Auch Initiativen aus Kolumbien und Brasilien haben bereits ihr Interesse bekundet. Nun werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesucht, um eine schlüssige Kosten-Nutzen-Rechnung aufzustellen; die Öffentlichkeit muss von dem Projekt überzeugt und Geldgeber müssen gefunden werden.

Im November wollen Dahua und Peas ihr Konzept auf der Klimakonferenz in Bonn (Cop 23) erstmals vor großem Publikum vorstellen. Doch die Gegenseite schläft nicht. In der Cordillera del Condor haben chinesische Firmen mit dem Abbau von Kupfer begonnen. Ein Projekt zur Begradigung und zum Ausbau des Marañon zu einer Flussautobahn soll ebenfalls von chinesischen Unternehmen weitergeführt werden, nachdem es wegen des Korruptionsskandals um den Baukonzern Odebrecht unterbrochen wurde. Höchste Zeit, den Plan der »Heiligen Quellen« zu verwirklichen, meint Peas, denn »die Bergbaumultis sind wenige, aber sie sind wohl in der Lage, den Planeten Erde zugrunde zu richten«.