Das japanisch-europäische Freihandelsabkommen »Jefta«

Diskret, ohne die USA

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan steht kurz vor der Ratifikation.

Besser hätte es für die EU-Kommission gar nicht laufen können: Die Öffentlichkeit bekam Bilder von brennenden Autos und geplünderten Läden – prügelnde Polizisten wurden aus Gründen der Staatsraison selten gezeigt. Missliebige Journalisten wurden auf den Straßen bedrängt, 32 von ihnen die bereits ausgestellte Akkreditierung abgenommen. Währenddessen konnte sich die EU-Kommission am Rande des G20-Gipfels mit der japanischen Regierung weitgehend unbeobachtet auf die Formulierung des nunmehr seit vier Jahren verhandelten Freihandelsabkommens einigen. Im Herbst soll das als Japan-EU Free Trade Agreement (Jefta) bezeichnete Abkommen ratifiziert werden.

Wenngleich die Einigung ohne Pomp präsentiert wurde, zeigten sich doch beide Seiten auffällig optimistisch. »Im Lichte des G20-Gipfels wird bewiesen, dass wir keine Angst vor der Globalisierung haben, sondern sie gestalten wollen. Das versuchen wir hier mit Japan«, verkündete die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström auf einer bescheiden gehaltenen Pressekonferenz. Nicht weniger euphorisch äußerte sich Japans Außenminister Fumio Kishida, der das Abkommen als »Meilenstein« der japanisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen bezeichnete.

Die Öffnung des japanischen Marktes für Agrarprodukte ist sicherlich eines der Motive für den beschleunigten Abschluss seitens der Europäer.

Die Verlautbarung, die offenbar ­wegen der breiten öffentlichen Ablehnung der Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA, Ceta und TTIP, so zurückhaltend präsentiert wurde, passt zu dem Prozess des Zustandekommens von Jefta. Die stets geheim geführten Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und der japanischen Regierung waren von einer Abschottung gegenüber der Öffentlichkeit geprägt, die man sonst lediglich aus dem Konklave der Papstwahl kennt. Nicht nur, dass die Inhalte hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurden, es gab auch keinerlei Informationen über die Mandate, den Fortgang der Verhandlungen oder die erzielten Ergebnisse. Und so wäre die Öffentlichkeit vielleicht nicht einmal über ­deren Abschluss in Kenntnis gesetzt worden, hätten findige Hacker nicht der nieder­ländischen Niederlassung von Greenpeace kurz vor Abschluss mehr als 200 Dokumente und die 250 Seiten des Abkommens zugespielt.

Die Dokumente lassen die Gründe für die Verschwiegenheit der Verhandlungsparteien erkennen. Denn die ­bekannt gewordenen Grundzüge sind in weiten Teilen so unappetitlich, wie es sich für die kleinen Verschwörungen der Bourgeoisie und ihrer geschäftsführenden staatlichen Ausschüsse gehört. Wie auch schon bei TTIP und ähnlichen Abkommen glänzen bindende Umweltstandards durch Abwesenheit. Vereinbarungen zur Unterhöhlung des Arbeitsrechts und vor allem des Verbraucherschutzes dürfen hin­gegen nicht fehlen. So wird etwa der illegale Holzhandel – Japan stellt hier international einen der führenden Märkte dar – kaum thematisiert; er könnte sogar durch den Wegfall der Zölle weiter wachsen, was insbesondere Hölzer mit gefälschten Zertifikaten aus den rumänischen Urwäldern, den letzten Europas, betrifft. Entsprechendes gilt auch für den Walfang, für dessen bisher geächtete Produkte sich nun in Europa Absatz finden lassen könnte. Beim Verbraucherschutz wird das Vorsorgeprinzip, durch das bei Verdacht der Gesundheitsgefährdung vor allem Lebensmittel sofort vom Markt genommen werden können, für japanische Produkte durch ein Beweislastverfahren ersetzt, gemäß dem die Schädlichkeit erst erwiesen sein muss, bevor etwas unternommen werden darf. In der Diktion des Abkommens wird das als Abbau der »negativen Auswirkungen gesundheitspolizeilicher Maßnahmen« bezeichnet. Vor allem aber sieht der Vertrag wieder die bei vorangegangenen Handelsabkommen besonders heftig kritisierten internationalen Schiedsgerichte vor. Sie ­ermöglichen es Unternehmen, neue Gesetze zur Verbesserung von Umwelt- oder Arbeitsschutzstandards als »nicht­tarifäre Handelshemmnisse« werten zu lassen und eine Entschädigung in Milliardenhöhe einzuklagen. Höhere Standards können extrem teuer werden, und wirtschaftliberale Ideologen verbergen nicht die Absicht, mit der Einrichtung von Schiedsgerichten eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Hier scheint sich die japanische Position durchgesetzt zu haben, denn die EU-Kommission wollte solche Streitfälle nach eigenem Bekunden dem aus Anlass des Ceta-Abkommens gegründeten, mit seriöseren Juristen besetzten und eher kontrollierbaren Investitionsgerichtshof übergeben.

Vielleicht zeigt sich hier, dass die EU und vor allem ihre führenden Wirtschaftsnationen, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, ganz offensichtlich ein hohes Interesse an einem möglichst schnellen Abschluss der Verhandlungen hatten. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte im vergangenen März auf dessen Bedeutung hingewiesen: »Wir glauben, dass das Abkommen nötig ist. Weil wir an freien, fairen und regelbasierten Handel glauben. Europa will Geschäfte machen – faire Geschäfte.« Derzeit stellt Japan als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nur den sechstwichtigsten Außenhandelspartner der EU dar – und einen der wenigen, dessen Handelsbilanz mit der EU insgesamt positiv ist. Selbst in Deutschland machen japanische Konzerne höhere Exportge­winne als umgekehrt. Eine Ausdehnung der Handelsvolumina – der EU-Außenhandelsanteil mit Japan liegt nur bei etwa dreieinhalb Prozent – steht auch deshalb zu erwarten, weil die Zollbe­lastungen im Gegensatz etwa zu denen im Handel mit den USA noch verhältnismäßig hoch sind. So werden bisher vor allem Agrarexporte in Japan mit 21 Prozent besteuert und Textilien mit bis zu 30 Prozent. Umgekehrt sind die Agrarzölle der EU mit 12,9 Prozent ­geringer als die japanischen. Ein Problem waren die Importzölle auf japa­nische Autos von zehn Prozent, weil umgekehrt die japanischen Importzölle für Industrieprodukte nur bei 2,5 Prozent liegen.

Die Öffnung des japanischen Marktes für Agrarprodukte ist sicherlich eines der Motive der EU-Kommission für den beschleunigten Abschluss. Japan muss Agrarprodukte aufgrund der relativ geringen landwirtschaftlich nutzbaren Fläche traditionell zu einem großen Teil importieren. Der beschleunigte Vertragsabschluss dürfte vor allem auch ein Ergebnis der Aufkündigung der TTIP-Verhandlungen und der Kehrtwende der neuen US-Regierung beim transpazifischen Freihandelsabkommen TPP sein. »Kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg gilt die Einigung als Signal gegen protektionistische Tendenzen wie die des US-Präsidenten Donald Trump«, kommentierte etwa Zeit Online. Es geht aber auch um das Verhältnis zur Volksrepublik China, mit der die EU derzeit die Freihandelsorientierung teilt. Die Verbindung der Wirtschaftsräume EU und Japan, die etwa ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung umfassen, deutet an, dass man der chinesischen Regierung und ihrer Seidenstraßeninitiative das asiatische Feld nicht kampflos über­lassen will. Martin Schulz, Volkswirt am Fujitsu Research Institute in Tokio, brachte dies im Gespräch mit dem Handelsblatt auf den Punkt: Jefta signalisiere den USA, »dass Geschäfte zur Not auch ohne sie abgeschlossen werden können, in Richtung China zeigt es, wer in Asien die besten Investitionsbeziehungen besitzt, und für Europa öffnet es einen Weg in den asiatischen Markt, der nicht direkt durch China führt«. In aller Stille und fernab der Öffentlichkeit dürften da in Brüssel die Champagnerkorken ordentlich geknallt haben.