Mit dem Platzen der US-Immobilien­blase begann vor zehn Jahren die Weltfinanzkrise

Am Ende gewinnt immer die Bank

Vor zehn Jahren begann die Finanzkrise, die eine stärkere Regulierung dieses Sektors notwendig erscheinen ließ. Doch geschehen ist seitdem wenig.

Für die große Mehrheit der vermeintlichen Experten war die Finanzwelt vor zehn Jahren noch in bester Ordnung. Einige aber wussten es besser. »Dies ist kein Markt für alte Männer«, fasste Jeffrey Gundlach, chief investment officer der TCW Group, im Juni 2007 das »Desaster« des Hypothekenmarkts zusammen. Im August hielt Larry Elliott, Wirtschaftsredakteur des Guardian, das Ende der Epoche der Prosperität und die Zeit »der gescheiterten Banken, der panischen Märkte« für gekommen.
Der Beginn der Finanzkrise wird meist auf den 15. September 2008 datiert, den Tag, an dem die US-Bank Lehman Brothers Insolvenz beantragte. Tatsächlich hatte die Krise bereits im Jahr zuvor begonnen, als die US-Immobilienpreise nach Jahren des Anstiegs wieder zu fallen begannen, weil mehr und mehr Schuldner ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten. Dies setzte eine zunächst langsam ablaufende Kettenreaktion in Gang, die mit dem Bankrott von Lehman Brothers ihren spektakulären Höhepunkt erreichte. Viele Banken und Versicherungen in den USA und Europa mussten mit staatlichen Geldern gerettet werden. Dies und die folgende Rezession führten in vielen Ländern zu einer starken Erhöhung der Staatsschulden. So betrug nach Angaben des Internationalen Währungsfonds 2007 die Staatsverschuldung in den G7-Ländern durchschnittlich noch 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2010 stand sie bei fast 113 Prozent, ihren Höchststand erreichte sie im Jahre 2012 mit 122 Prozent. In der EU verlief die Entwicklung ähnlich.

Die Notwendigkeit, etwas zu unternehmen und den Finanzsektor zu regulieren, war offensichtlich. Die G20-Staaten beschlossen auf ihrem Gipfel im April 2009 die Einleitung umfassender Reformen, die das Risiko einer weiteren Krise mindern und die Gefahr abwenden sollten, erneut Banken mit Staatsgeldern retten zu müssen. Die bisherigen Ergebnisse sind jedoch dürftig. Der politische Druck war schwach, die Lobbyarbeit der Finanzbranche hingegen effektiv. So blieben die Reformen weit hinter dem zurück, was nötig wäre, um das Risiko finanzieller Krisen mit Auswirkungen auf Wirtschaft und Staatsfinanzen – und damit auf die ganze Gesellschaft – deutlich zu reduzieren. Von den tieferen strukturellen Ursachen solcher Krisen ganz zu schweigen.

Zu den dringlichsten Problemen gehört, dass viele Finanzinstitute too big to fail sind, ihr Bankrott also wegen ihrer Größe und ihrer zahlreichen Verbindungen zu anderen Finanzinstituten das gesamte System gefährden würde. Für solche Institute – vor allem Großbanken, aber auch große Versicherungen – gibt es somit eine Art implizite staatliche Bestandsgarantie, die es ihnen erlaubt, größere finanzielle Risiken einzugehen. Dass hier ein Problem vorliegt, ist weithin anerkannt. Linke finden die staatliche Bankenrettung schlicht ungerecht. Aber auch Wirtschaftsliberale können es nicht gutheißen, dass der Wettbewerb verzerrt wird, denn nicht »systemrelevante« Finanzinstitute sind im Nachteil und eine marktwirtschaftliche Auslese durch Bankrott findet nicht statt.

Das Financial Stability Board, eine 2009 von den G20 ins Leben gerufene internationale Organisation, der Zentralbanken, Finanzaufsichtsbehörden und eine Reihe internationaler Organisationen angehören, hat Reformvorschläge erarbeitet. So sollen zum Beispiel »systemrelevante Banken« einen um bis zu 3,5 Prozent höheren Eigenkapitalpuffer vorhalten als gewöhnliche Banken, damit sie Verluste leichter absorbieren können. Dies ist ein wenig ambitionierter Ansatz. In der Debatte über die Finanzkrise wurde etwa eine Verkleinerung der Banken durch ihre erzwungene Aufspaltung in unabhängige Institute gefordert. Ob eine moderate Erhöhung des Eigenkapitalanteils ausreicht, solche Banken krisensicher zu machen, ist fraglich. Überdies soll sie erst zum 1. Januar 2019 vollständig implementiert sein.

In Europa hat sich bereits gezeigt, dass letztlich doch der Staat einspringen muss. In der EU gilt die 2014 beschlossene Abwicklungsrichtlinie. Sie soll dafür sorgen, dass in finanzielle Schwierigkeiten geratene Banken ohne öffentliche Gelder ordentlich abgewickelt werden können. Trotzdem wurde Ende 2016 die auf einem Berg fauler Kredite sitzende italienische Bank Monte dei Paschi di Siena mit 20 Milliarden Euro vom italienischen Staat gerettet, anstatt, wie eigentlich vorgesehen, die Halter von Unternehmensanleihen der Bank zur Kasse zu bitten. Zwar wurde die Lage in diesem Fall dadurch verkompliziert, dass viele Klein­sparer Anleihen der Bank hielten, weswegen sozialpolitische Erwägungen gegen eine strikte Anwendung der Abwicklungsrichtlinie sprachen. Dennoch deutet diese Entscheidung darauf hin, dass die Richtlinie nicht zur Anwendung kommt, wenn bedeutende politische Gründe dagegen sprechen. Das jedoch ist bei großen Finanzinstituten fast immer der Fall.

Der politische Druck war schwach, die Lobbyarbeit der Finanzbranche hingegen effektiv.

Ähnlich zaghaft sind die Bemühungen, um die Risikoneigung der Finanz­institute und die Störanfälligkeit des Finanzsystems zu mindern. Ein Beispiel hierfür sind jüngere regulatorische Initiativen zu Kreditverbriefungen, komplexe Finanzinstrumente, die beim Ausbruch der Finanzkrise eine wichtige Rolle spielten. Vereinfacht gesagt geht es um den Weiterverkauf von Krediten, die gebündelt und dann in Tranchen mit höherem und niedrigerem Kreditausfallrisiko aufgeteilt werden. Dieser Vorgang kann mehrfach stattfinden. Man muss kein Finanzexperte sein, um zu erkennen, dass bald kaum noch nachvollziehbar ist, wie hoch das Ausfallrisiko tatsächlich ist; überdies sind die Kriterien der Bewertung oft fragwürdig. Eines der Probleme in der Finanzkrise war, dass Hypothekenkredite, die an Personen mit geringen Sicherheiten vergeben wurden, subprime mortgages, auf diese Weise »verbrieft« wurden. Die Ratingagenturen hatten solchen Papieren die Bestnote gegeben und sie somit als unbedenkliche Finanzanlagen eingestuft.

An der problematischen Rolle der Rating-Agenturen, deren oft alles andere als treffsichere Urteile eine immense Steuerungswirkung im weltweiten Finanzsystem haben, hat sich nichts geändert. Auch das Geschäft mit Kreditverbriefungen wurde seitens der Finanzaufsicht nicht eingeschränkt. Zwar ist die EU seit einigen Jahren dabei, Kriterien für »einfache, sichere und transparente« Kreditverbriefungen zu entwickeln. Damit trägt sie rhetorisch der Rolle Rechnung, die intransparente und komplexe Kreditverbriefungen beim Ausbruch der Finanzkrise spielten. Praktisch jedoch unterscheidet sich das, was nun als »einfach, sicher und transparent« etikettiert wird, nur wenig vom Altbekannten. So sollen etwa auch tranchierte Verbriefungen dieses Etikett erhalten, wodurch die angestrebte Transparenz wieder zunichte gemacht wird.
Ähnliches gilt für die allgemeinen Eigenkapitalregeln für Banken. Diese wurden im Rahmen der international maßgeblichen Basel-III-Regeln für die Bankenaufsicht von acht auf 10,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva angehoben. Zu den Aktiva gehört im Prinzip alles, womit die Bank Geld verdient, vor allem Kredite und Finanz­inves­ti­tio­nen in Aktien oder Anleihen. »Risikogewichtet« bedeutet, dass diese Aktiva nicht zu ihrem Nennwert in die Berechnung des notwendigen Eigenkapitals eingehen. Bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 50 Prozent schlägt ein Kredit in Höhe von 100 Euro mit nur 50 Euro zu Buche. Außerdem werden nun strengere Maßstäbe daran angelegt, was als Eigenkapital gelten kann. Diese Reformen machen den Bankensektor robuster, aber reichen nicht aus, um katastrophale Zusammenbrüche auszuschließen. So wurden nach der Krise aus guten Gründen sehr viel weiter gehende Forderungen erhoben, bis hin zu einer Mindesteigenkapitalquote von 30 Prozent. Ein Risikofaktor bleibt überdies die Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeit, die nicht immer seriös erfolgt.

Derzeit ist zudem ungewiss, wie lange das bedeutendste US-amerikanische Gesetz zur Regulierung der Finanzbranche Bestand haben wird. Präsident Donald Trump hat vor der Wahl versprochen, den Dodd-Frank-Act, ein nach der Krise erlassenes, sehr komplexes Gesetz zur strikteren Regulierung der Geschäfte von Finanzinstituten, zu großen Teilen wieder aufzuheben. Der im Repräsentantenhaus im Juni beschlossene Financial-Choice-Act würde große Teile des Dodd-Frank-Act außer Kraft setzen, die Debatte im Senat steht noch aus.

Das Finanzsystem ist in den zehn Jahren seit Ausbruch der Krise nur unzureichend reformiert worden, so dass weitere schwere Krisen, in denen Staatsgelder zur Rettung des Finanzsystems wieder nötig wären, nach wie vor wahrscheinlich sind. Und auch eine strengere Regulierung würde die Folgen finanzieller Einbrüche nur mildern, aber nichts an den strukturellen Voraussetzungen für Finanzkrisen sowie Kredit- und andere Vermögensblasen ändern: den extrem großen Mengen anlagesuchenden und hochmobilen Geldkapitals bei gleichzeitiger Knappheit der Anlagemöglichkeiten.