Das Bakterium, das Plastik frisst
Die Heldin oder der oder das Held dieses Textes heißt mit vollem Namen »Ideonella sakaiensis 201-F6« und ist ein Bakterium, das Plastik nicht nur frisst, sondern auch verdauen beziehungsweise auflösen kann. Vor der Entdeckung von Ideonella sakaiensis hatte man nur bei ein paar wenigen Pilzen beobachtet, dass sie in der Lage waren, Plastik aufzuschließen. Die Pilze konnten den Stoff aber nie vollständig in ihrem Kreislauf auflösen, es blieben immer Plastikreste.
Ideonella sakaiensis schafft es hingegen mit Hilfe zweier Enzyme, den Kunststoff Polyethylenterephtalat, allgemein bekannt als PET, so aufzuspalten und zur Energiegewinnung zu nutzen, dass als Stoffwechselendprodukte nur Wasser und Kohlenstoff übrigbleiben. Das war, als im vergangenen Jahr ein Team um Shosuke Yoshida von der Technischen Universität Kyoto die Ergebnisse im Fachblatt Science veröffentlichte, so neu, dass der Artikel ein weltweites Medienecho hervorrief.
Problematisch waren und sind allerdings die ökologischen oder weltenergetischen Imaginationen, die sich nicht nur in den Medien sofort an die Entdeckung der japanischen Forscher hefteten. Die Hoffnung, dass durch die Arbeit des Bakteriums die Welt wieder sauber werde, wie sie etwa die britische Daily Mail formulierte, wird sich nicht erfüllen. Denn »auch wenn Mikroplastikpartikel von sedimentfressenden oder filtrierenden, grabenden oder festsitzenden Organismen aufgenommen und gegebenenfalls sogar ›verdaut‹ werden können, werden die meisten dieser Partikel letztendlich als menschengemachte Sedimentkörner beziehungsweise ›Technofossilien‹ in marine Sedimente integriert werden«, wie der Geologe Reinhold Leinfelder und der Medienwissenschaftler Rüdiger Haum in dem ebenfalls 2016 erschienenen Sammelband »Inwastement. Abfall in Umwelt und Gesellschaft« schreiben.
Das heißt nichts anderes, als dass die Menschheit Plastik nicht mehr los wird und nicht nur mit ihm leben, sondern es auch als Bestandteil dessen betrachten muss, was bisher unter dem Begriff Natur gefasst wurde. Plastik wird sich aus den Sedimenten, den festen Teilen der Erde, auf denen nicht nur das Meer aufliegt, nicht mehr entfernen lassen. Auch deshalb zählt das Auftreten sedimentärer Plastikpartikel den definitorischen Merkmalen des Anthropozäns als neuer erdgeschichtlicher Epoche.
Das stellt die Entdeckung der plastikfressenden Bakterien in einen größeren Rahmen, in den sie allerdings auch gehört. Die japanischen Forscher hatten schließlich nicht anlasslos nach einem solchen Bakterium gesucht. Die Anhäufung von Plastik in allen Lebensräumen der Erde ist gerade im pazifischen Raum um Japan zu einem akuten Umweltproblem geworden, das direkte negative Auswirkungen beispielsweise auf die Nahrungsproduktion nicht nur im Meer hat. Die Verfechter des Konzepts des Anthropozäns gehen insofern nicht weit genug. Die Anhänger dieses Begriffs, den im wesentlichen der Erdsystemwissenschaftler Paul Crutzen entwickelt hat, sehen es als erwiesen an, dass man die Produkte und Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten nicht mehr aus der Erdoberschicht und anderen bisher als natürlich qualifizierten Gegenständen und Prozessen wie dem Klimawandel heraushalten kann. Darüber hinaus sind menschengemachte Stoffe wie Plastik jedoch auch schon zu einem nicht mehr zu beseitigenden Bestandteil der lebenden Organismen geworden. Und die plastikfressenden Bakterien sind da nur ein Beispiel.
Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Kunststoffproduktion seit den fünfziger Jahren von etwa zwei Millionen Tonnen jährlich auf 299 Millionen Tonnen im Jahr 2013 mehr als verhundertfacht hat. Plastikmüll zirkuliert auf den Weltmeeren so unkontrolliert, dass er auch Strände an unbewohnten Pazifikinseln wie Müllkippen aussehen lassen kann. Aber auch im Meer selbst sieht es nicht besser aus. Nach Schätzungen der EU schwimmen mehr als 100 000 Tonnen Plastik in den Weltmeeren. Andere Schätzungen gehen sogar von mehr als 250 000 Tonnen aus. Etwa 80 Prozent dieser Plastikabfälle stammen vom Land, das übrige Fünftel gelangt von Schiffen, Bohrinseln, Aquakulturen oder aus der Fischerei ins Meer. Die dort treibenden Kunststoffnetze der industriellen Hochseefischerei sind Todesfallen für Vögel, Delphine und Schildkröten. Selbst einfache Plastiktüten können für die verschiedensten Tierarten tödlich sein.
Die großen, sichtbaren Abfälle sind aber nicht der bedrohlichste Teil der Plastikverbreitung. Die Forschung unterscheidet zur Beurteilung der vielfältigen und teils gravierenden schädlichen Wirkungen von Plastik zwischen Makro- und Mikroplastik. Mikroplastik, also Partikel, die kleiner als fünf Millimeter sind, gelangt über das Abwasser ins Meer. Winzige Plastikteilchen aus kosmetischen Peelings, Zahncremes, Scheuermitteln und Kunstharzgranulat bauen sich nicht selbst ab und werden in Kläranlagen nicht herausgefiltert. Ähnliches gilt für Mikroplastikfasern, die sich beim Waschen synthetischer Stoffe lösen. Dagegen ist zurzeit noch kein Kraut gewachsen. Die Gefährdungspotentiale der Mikrostoffe lassen sich nicht genau benennen.
Bei etwa 330 Meerestierarten ist die Aufnahme von Plastik bereits dokumentiert. Das kann natürlich auch bei Makroplastik zu einem Problem werden, etwa wenn Meeresschildkröten oder Vögel Plastiktüten fressen. Dadurch kann sich ihr Verdauungstrakt verstopfen und die Tiere können im schlimmsten Fall langsam verhungern.
Komplizierter verhält es sich mit Mikroplastik. Im besten Fall wird es von den Tieren, die es aufnehmen, einfach wieder ausgeschieden. Es durchläuft den Körper dann nur. Die Regel ist das aber nicht. Wie andere Nahrung auch wird Mikroplastik vom Verdauungsapparat nicht nur den verschiedensten Umwandlungsprozessen unterzogen, die kleinen Partikel können auch den Verdauungstrakt verlassen, ins Gewebe der Tiere eindringen und sich dort ansammeln. Auf diesem Weg sind sie schon länger zu einem Teil der Nahrungskette geworden, ohne dass man bisher sagen kann, welche Folgen das nach sich zieht.
Die riesigen Mengen Plastiknanoteilchen in den Meeren wie in den zahllosen Organismen sind kaum erforscht. Man weiß nur, dass Tiere sehr unterschiedlich auf sie reagieren. Während Miesmuscheln, die man regelmäßig mit Plastikpartikeln fütterte, buchstäblich übel wurde, indem sie sich heftig entzündeten, zeigten Meerasseln, die man derselben Prozedur unterzog, überhaupt keine kurzfristigen Veränderungen.
Die Geologen nehmen für sedimentierte Mikroplastik eine »geologisch signifikante Persistenz« an. Man kann davon ausgehen, dass die Plastikpartikel in Körpergewebe eine ähnliche, biologisch signifikante Persistenz entwickeln. Das bedeutet, dass man das Plastik nicht nur nicht mehr aus dem Boden wird entfernen können, es ist auch bereits Teil der Organismen selbst geworden. Eine Rückkehr zu einer sauberen beziehungsweise plastikfreien Welt wird es also sehr wahrscheinlich nicht geben. Oder in den Worten des australischen Kulturwissenschaftlers McKenzie Wark: »Der Mensch ist nicht mehr länger die Figur im Vordergrund, die ihr Eigeninteresse vor dem Hintergrund eines ganzheitlichen, organizistischen Kreislaufs verfolgt, eines Kreislaufs, den er zwar stören, mit dem er aber letztlich in Gleichgewicht und Harmonie leben könnte, indem er sich einfach aus bestimmten Exzessen zurückzöge.«
Selbst wenn man den Exzess der stetig steigenden Plastikproduktion, der seit den fünfziger Jahren sehr genau mit Phasen des Wirtschaftswachstums korreliert, beenden würde, würde das wenig an der bereits erfolgten Kontamination von Boden und Organismen mit Plastikpartikeln ändern. Aus sich selbst heraus, das heißt auch mit Hilfe von Bakterien, wird die Ökologie diesen Fehler nicht mehr korrigieren und sich ins Gleichgewicht bringen und heilen können.