Elektroautos sollen PKW mit Verbrennungsmotoren ersetzen, doch die neue Technik ist fast ebenso umweltschädlich

Gut für das Gewissen

Autos mit Verbrennungsmotor sollen in Zukunft von den Straßen verschwinden. Doch Studien zeigen: Die Elektromobilität wird die CO2-Bilanz des Individualverkehrs kaum verbessern.

Die Förderung der Autoindustrie ist in Deutschland stets Chefsache. So schloss Bundeskanzlerin Angela Merkel kategorisch Strafzahlungen für die am Dieselskandal beteiligten Hersteller aus, als selbstverständlich gelten seit langem die diversen direkten und indirekten Subventionen, mit denen insbesondere der Absatz von Luxuskarossen gefördert wird. Gelegentlich erfordert die Sorge um die global players in München, Sindelfingen, Ingolstadt und Wolfsburg auch eine Mahnung. Angesichts deren Tiefschlafs in Sachen Elektromobilität musste Merkel, die »Schutzpatronin der deutschen Autobauer« (Süddeutsche Zeitung), deutlicher werden. »Die Frage, ob die deutsche Automobilindustrie die Zeichen der Zeit erkannt hat, wird über ihre Zukunft entscheiden«, prophezeite sie auf einer Veranstaltung des CDU-Arbeitnehmerflügels (CDA) Mitte August in Dortmund.

Damit reagierte sie auf die Forderung der SPD, in der EU Quoten für Elektroautos auszuhandeln. Das hat die Bundesregierung bislang abgelehnt, sie kann die globale Entwicklung jedoch nicht ignorieren. Dass der Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell ist, steht nicht mehr in Frage, es geht nur noch um das Timing. Die deutschen Hersteller werden es wohl verschmerzen können, dass Norwegen ab 2025 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen will. Brisant sind hingegen die Pläne in China. Zwar konnte die Bundesregierung erreichen, dass eine Quote für Elektroautos dort erst ab 2019 und nicht schon ab dem kommenden Jahr gelten soll, aber aufhalten kann sie die chinesische Regierung nicht. Auf ihrem mittlerweile größten Markt könnten für BMW, Daimler und VW saftige Strafen drohen, wenn nicht bald mindestens zehn Prozent der verkauften Autos abgasfreie Antriebe besitzen. Und der Anteil soll sich jährlich um zwei Prozentpunkte erhöhen. Ein Beispiel, das angesichts der immer bedrohlicheren Abgasbelastung der Metropolen Schule machen könnte.

In der künftigen Bundesregierung werden, sofern die »Jamaika-Koalition« zustande kommt, die eifrigsten Modernisierer mitmischen. Die Umstellung auf Elektromobilität ist längst ein Kernpunkt im Programm der Grünen. Die Kritik am Individualverkehr, die für die Partei in den achtziger Jahren noch charakteristisch war, ist hingegen längst aus allen Verlautbarungen getilgt worden. Im Wahlprogramm heißt es: »Ab 2030 sollen alle Neuwagen abgasfrei sein. Das ist gut für unser Klima und rettet die deutsche Autoindustrie.« Mit 6 000 Euro soll der Kauf eines Elektroautos zukünftig subventioniert und den Herstellern bei Forschung und »Marktdurchdringung« unter die Arme gegriffen werden.
Trotz der traditionellen Distanz der Branche zu den Grünen wird der zuständige Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) dies gern gehört haben.

Vor allem dessen Abteilung Elektromobilität, die den Kontakt zu den politischen Stellen und die Koordination der Anbieter übernimmt, habe sich »einem systemischen, marktorientierten und technologieoffenen Ansatz« verschrieben, um die deutsche Industrie »bis 2020 zum Leitanbieter und Leitmarkt für Elektromobilität zu entwickeln«, wie es in den Leitsätzen heißt. Eine gute Zusammenarbeit, wie sie bereits Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann seit Jahren betreibt, dürfte also garantiert sein.
Was deutsche Städte bald leiser und sauberer machen könnte, ist allerdings klimapolitisch kein so großer Fortschritt wie oft behauptet. In der im Mai vom schwedischen Umweltministerium herausgegebenen Studie »The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions from Lithium-Ion Batteries« melden die Autorinnen Mia Romare und Lisbeth Dahllöf erhebliche Zweifel an einer im Verhältnis zu Verbrennungsmotoren besseren CO2-Bilanz an. Grund ist der extrem hohe Energieaufwand bei der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien.

So fielen etwa bei der Produktion des Tesla Model S etwa 17 Tonnen CO2 an. Erst nach acht Jahren Betriebsdauer zieht die Ökobilanz eines solchen Modells der Studie zufolge mit der konventioneller Autos mit Verbrennungsmotor gleich – und dabei ist der Stromverbrauch während der Laufzeit noch gar nicht berücksichtigt. Solange die Batterien nicht wesentlich effizienter werden, verbessere die Elek­tromobilität die CO2-Bilanz nicht signifikant, so das Fazit der Studie.

Erst nach acht Jahren Betriebsdauer zieht die Ökobilanz eines Tesla Model S mit der konventioneller Autos gleich – und dabei ist der Strom­verbrauch während der Laufzeit noch nicht berücksichtigt.

Was die beiden schwedischen Wissenschaftlerinnen präsentieren, kommt alles andere als überraschend. Bereits vor zwei Jahren war eine Studie des Heidelberger Umwelt- und Prognoseinstituts (UPI) über »Ökologische Folgen von Elektroautos« zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Zwar lägen die Emissionen pro gefahrenem Kilometer um etwa zehn Prozent unter denen von Benzin- oder Dieselmotoren, doch vor allem die hohen Infrastrukturkosten und eine eventuelle Erhöhung der Autodichte durch die Anschaffung von E-Autos als Zweit- oder Drittwagen würden diese kleinen Einsparungen mindestens ausgleichen, heißt es dort.

Noch ungünstiger könnte die Bilanz ausfallen, wenn man die Rohstoffgewinnung berücksichtigt. Vor allem das Kobalt, das hilft, Energie auf engstem Raum zu speichern, ist ausgesprochen selten. Derzeit wird jährlich etwa die Menge abgebaut, die benötigt wird, um Smartphones, Laptops und Elektromotoren auszurüsten. Der Abbau in Minen im Kongo, in Russland, China und Kanada kann nicht in dem Maß gesteigert werden, wie es für eine globale Elektromobilität nötig wäre. Die chinesische Regierung hat jüngst angekündigt, das seltene Metall in der Tiefsee abzubauen. Im vorigen Jahr haben sich die Preise an den Rohstoffbörsen verdoppelt. Bei einer weiteren Preissteigerung dürfte sich ein solch aufwendiger Abbau im Ozean sogar lohnen – und die ökologischen Folgekosten dramatisch in die Höhe treiben.
Ähnlich sieht es bei der immer schwierigeren Gewinnung seltener Erden und von Lithium selbst aus. In einer Studie mit dem Titel »Strombegleitung« hatten bereits 2015 das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie auf die kaum schließbare Lücke zwischen Lithium-Bedarf und -Förderung hingewiesen und gefolgert: »Um beim Ausbau der Elektromobilität Versorgungsengpässe zu verhindern, müssen wir über alternative Maschinentypen nachdenken, Recyclingverfahren für besonders knappe Rohstoffe entwickeln und nach alternativen Materialien suchen.«

Das aber ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die kapitalistische Industriepolitik konkurrierender Staaten. Vorerst werden E-Autos das Wohlbefinden des grünen Bürgertums fördern. In den Städten könnten E-Autos sogar immer größere Marktanteile erobern. Zurzeit stellen die katastrophalen Umstände in den Kobaltminen – Kinderarbeit, Löhne unter zwei Dollar am Tag und gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen etwa im Kongo – und beim Abbau von Lithium nur Randnotizen in der Berichterstattung dar. Vermutlich werden auch die zukünftigen ökologischen Probleme in auf den Individualverkehr fixierten Gesellschaften kaum thematisiert werden. Immerhin: Das gute Gefühl, etwas getan zu haben, würde bei einem von den Grünen geführten Umweltministerium dank schöner bunter Broschüren hierzulande nicht zu kurz kommen.