Wem nützt das geltende Urheberrecht für Musik?

Cui Bono

Wem das geltende Urheberrecht nützt, wen es benachteiligt und was das mit den Paradise Papers zu tun hat.

Alle tun es: die Queen, Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton, US-Handelsminister Wilbur Ross, der Finanzminister Argentiniens, die Präsidentin Liberias ebenso wie die Allianz, Apple, Ebay, Facebook, McDonald’s, Microsoft, Nike und die Deutsche Bank. Aber auch Musikerinnen und Musiker wie Madonna, Shakira und der unvermeidliche Paul David Hewson, der sich »Bono« nennt. Sie alle und noch viele mehr tauchen in den Paradise Papers als Klienten der Anwaltskanzlei Appleby auf.

Sie haben demnach mit Briefkastengesellschaften in sogenannten Steueroasen wie den Bermudas, den Cookinseln oder auf Malta Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung mittels Verschleierung, Splitting und Geldwäsche betrieben. So jedenfalls lautet der Vorwurf, den die im International Consortium of Investigative Journalists zusammengeschlossenen Medien erheben.

Die öffentliche Diskussion konzentriert sich vornehmlich darauf, ob und wie »die Politik« die Steuertricksereien der Superreichen unterbinden kann. Doch solange Staaten wie Irland, die Schweiz oder auch die ­britischen Kanalinseln legale Steuerschlupflöcher bieten und von den meist legalen Steuertricks der Multimillionäre und Konzerne profitieren, dürfte das schwierig sein. Solange nicht Reichtum und Besitzverhältnisse grundsätzlich in Frage gestellt werden, muss man wohl Abbas »It’s a rich man’s world« vor sich hinsummen – so sehr man auch Jeb Loy Nichols wunderbarem Song »To be rich should be a crime« zuneigt.

 

Die Briefkastenfirmen der Popstars

Was aber hat all dies mit Musik zu tun? Mehr, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Zunächst einmal fällt auf, dass auch etliche Popstars in Briefkastenfirmen der Steueroasen investieren: Bono beispielsweise, dessen öffentliche Lippenbekenntnisse schon immer im Wiederspruch zu seinem realen Geschäftsgebaren standen. Wer die ­Regierungen der Industriestaaten auffordert, mehr Geld für Entwicklungspolitik auszugeben, zugleich aber einen Teil seiner Einnahmen nicht in seinem Herkunftsland Irland, sondern in den Niederlanden versteuert, wo er nur etwa ein Prozent an den Fiskus abführen muss, ist wenig glaubwürdig.

Bono, der auch Mitglied der fünfköpfigen Führung des Private-Equity-Fonds Elevation Partners ist, wird in den »Paradise Papers« vorgeworfen, 2007 in ein Unternehmen auf Malta investiert zu haben, das Knotenpunkt eines weitverzweigten Firmengeflechts ist und seinerseits unter anderem in eine litauische Gesellschaft investiert hatte, die in Litauen ein Einkaufszentrum finanzierte; die dortige Steuerbehörde ermittelt wegen Steuerhinterziehung.

Geht es bei Bono ganz banal um einen Superreichen, der Steuerschlupflöcher sucht und findet, verhält sich der Fall bei Shakira anders: Die kolumbianische Sängerin ist alleinige Anteilseignerin einer Briefkasten­firma in Malta und hat dieser Firma der Süddeutschen Zeitung zufolge von 2009 bis 2014 die Rechte an ihrer Musik sowie die Markenrechte übertragen. Denn Besitzrechte gibt es auch im Musikgeschäft, und die heißen Urheberrecht oder Copyright. Vorgeblich soll das Urheberrecht die Leistungen von Kreativschaffenden schützen. Die Musiker, Komponisten und Autoren sollen entscheiden, ob und wie ihre Werke genutzt werden. Sie sollen außerdem  an jeder wirtschaftlich relevanten Nutzung ihrer Werke finanziell beteiligt werden. So weit die Märchenstunde der Kulturindustrie.

In der Praxis ist das Urheberrecht längst ein Verwerterrecht: Verwerter wie Plattenfirmen oder Verlage lassen sich meist sehr weitgehende oder ausschließliche Nutzungsrechte übertragen. Die Verwerter sind an die Stelle der Urheber getreten und genießen praktisch den gleichen Schutz für die erworbenen Nutzungsrechte wie die Schöpfer der Werke, für die das Urheberrecht eigentlich eingerichtet wurde. Das Urheberrecht ist ein Besitzrecht, es dient weitestgehend nicht mehr den Kreativen, sondern fungiert als Schutzrecht der Entertainment- und Verlagswirtschaft, und nur die wenigsten Urheberrechte gehören heutzutage tatsächlich noch den Kunstschaffenden. ­Dabei berücksichtigen sogar Hedgefonds, dass das sogenannte »geistige Eigentum« das »Öl des 21. Jahrhunderts« ist (so Mark Getty, der Vor­sitzende von Getty Images, einer der weltgrößten Firmen im Copyright-Geschäft), und investieren in Urheberrechte. Wie das alles genau funktioniert, konnte man seinerzeit anhand eines Musikkatalogs sehen, zu dem viele wichtige Stücke der Beatles gehörten, unter anderem »Hey Jude« oder »Let It Be«. Diesen Musikkatalog erwarb 1985 ein gewisser Michael Jackson in einer spektakulären Auktion, bei der er unter anderem Paul McCartney (den im Wortsinn Miturheber der genannten Songs) ausbootete. Kostenpunkt seinerzeit: 47,5 Millionen Dollar. Im vergangenen Jahr verkauften Jacksons Erben einen Teil dieses Katalogs für 750 Millionen Dollar an Sony. Den Verlagskatalog von EMI Music Publishing hat 2012 für etwa 2,2 Milliarden Dollar ein Konsortium unter Leitung des Sony-Konzerns und unter Beteiligung des Mubadala-Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate übernommen. Derzeit gibt es Gerüchte, dass dieser Rechtekatalog wieder auf den Markt kommen und den derzeitigen Eignern bis zu drei Milliarden Dollar einbringen soll. Kein schlechter Schnitt: mehr als ein Drittel Gewinn in fünf Jahren.

Der Süddeutschen Zeitung zufolge findet sich auch einer der größten Musikkataloge überhaupt in den »Paradise Papers«. Dieser Katalog mit Rechten an Songs von John Denver, Bob Marley, Sheryl Crow oder Avril Lavigne gehört demnach einem englischen Fonds namens First State Media Works Fund 1. Zu dessen Investoren zählen Pensionsfonds aus ­Europa, Australien und den USA. Verwaltet wurden die Werke zunächst »von einer Firma mit Sitz in Irland«, dann von einem englischen Verlag. »Von 2011 an betreute die Bertelsmann-Tochter BMG Rights Management drei Jahre lang die Musikrechte« des Fonds, der offshore deponiert worden sei, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Wann immer ein Werk dieses Songkatalogs bis 2014 im Radio oder Fernsehen lief, auf einem Streamingdienst abgerufen oder auf Konzerten gespielt wurde, verdiente der First State Media Works Fund 1. Gema und Urheberrecht sei Dank. Und wer diese Songs hörte, half mit, Millionen Dollar am Fiskus vorbei in eine Steueroase zu verschieben. Wir hören Bob Marley, und den Profit streicht ein Steuerumgehungsfonds ein. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG schrieb der Süddeutschen Zeitung zufolge 2013 in einer Vermögensanalyse zu diesem Fonds: »Wir gehen davon aus, dass die Steuerstruktur der Firma eine Offshore-Struktur ist, bei der keine Steuern auf die Einnahmen des Katalogs anfallen.«

 

Die Lobby der Kulturindustrie schützt den Status quo

Dass der Handel mit Musikrechten floriert, liegt vor allem an den aus­gedehnten Fristen im Urheberrecht. Zurzeit ist jeder Song, ist jede Songzeile noch 70 Jahre nach dem Tod des Autors urheberrechtlich geschützt und somit nicht frei verfügbar. 70 Jahre! Zum Vergleich: Das Patentrecht sieht nur einen Schutz von 20 Jahren vor – und zwar von 20 Jahren nach Veröffentlichung, nicht etwa nach dem Tod des Patenteigners. Nebenbei bemerkt sind die absurd langen Urheberrechtsfristen auch ein Grund für die von vielen Musikerinnen und Musikern beklagten niedrigen Einnahmen durch die Musikstreamingdienste. Spotify, Apple Music und andere verteilen bekanntlich knapp 70 Prozent ihrer monat­lichen Einnahmen an die Rechteinhaber der im jeweiligen Streamingdienst abgerufenen Stücke – wohlgemerkt an die Rechteinhaber, also zum Beispiel an die Plattenfirmen, Verlage und die oben genannten Fonds, nicht etwa an die Urheber und Urheberinnen.

Hätte das Urheberrecht wie das ­Patentrecht nur eine Schutzfrist von 20 Jahren, könnte ein Großteil der Streaming-Einnahmen auf die Künstler und Künstlerinnen verteilt werden, die gegenwärtig beziehungsweise in den letzten 20 Jahren Werke veröffentlicht haben, und nicht an die verschiedenen Fonds und Großkonzerne der Verwertungsindustrie oder an die Vereinigten Arabischen Emirate. Und die Pro-Track-Bezahlung würde natürlich deutlich steigen, so dass die Musikschaffenden nicht mehr über angeblich dürftige Streaming-Einnahmen klagen müssten. Aber es versteht sich: Die Lobby der Kulturindustrie wacht sorgfältig darüber, dass sich am Status quo nichts zum Positiven ver­ändert. Denn es handelt sich um ein Riesengeschäft.

Gerade hat die CISAC, die Dachorganisation aller Verwertungsgesellschaften weltweit, ihren »Global Collections Report« vorgelegt. Danach wuchsen 2016 die internationalen Einnahmen aus der kollektiven Rechteverwertung allein im Musikgeschäft um 6,8 Prozent auf ungefähr acht Milliarden Euro. Und wenn Harald Heker, der Vorstandsvorsitzende der Gema, trotz dieser Zahlen jammert, dass »eine angemessene Beteiligung der Urheber an der Wertschöpfung im Internet« sicherzu­stellen sei, dann meint er nichts anderes, als dass die Verwertungsindustrie noch mehr Profit mit ihren Besitzrechten an Musikstücken zu machen wünscht. Profite, die zum großen Teil in Briefkasten­firmen und Offshore-Strukturen in den Steueroasen angelegt werden.

Die Musikerinnen und Musiker hierzulande verdienen übrigens nach Angabe der Künstlersozialkasse durchschnittlich 13 675 Euro. Im Jahr. Da lohnen sich Steuersparmodelle auf Malta oder den Bahamas eher nicht.