Small Talk mit Mina Ahadi, der Vorsitzenden des »Zentralrats der Ex-Muslime«, über die Porteste im Iran

»Bewegung gegen die Diktatur«

Seit Tagen demonstrieren in der »Islamischen Republik« Iran Tausende Menschen gegen das Regime. Die Jungle World sprach über die Situation in dem Land und die Reaktion der Bundesregierung mit der gebürtigen Iranerin Mina Ahadi.
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STWelche Informationen haben Sie über die Lage im Iran?
Ich bin gerade in Schweden auf einem Treffen mit einem Dutzend Exiliranern. Wir stehen über soziale Medien im direkten Kontakt mit Menschen, die dort auf die Straße gehen. Schon seit vergangener Woche finden Demonstrationen statt. Es gibt dabei verschiedene Tendenzen. Wir bekommen Filmclips, beispielsweise einer Frau, die wegen der wirtschaftliche Lage in die Prostitution gedrängt wurde. Sie sagt: »Wenn die Vertreter des Regimes unsere Lage nicht verbessern können, dann müssen sie gehen.« Ein Mann erzählt, dass er schon seit drei Jahren seinem Sohn ein Fahrrad kaufen will, es sich aber nicht leisten kann. Dann weint er und sagt: »Wir demonstrieren für ein besseres Leben.« Es handelt sich um eine große Bewegung gegen Armut und Arbeitslosigkeit. Das wird auch in Deutschland berichtet. Was weniger berichtet wird, ist, dass es bei den Demonstrationen auch eine starke antireligiöse Tendenz gibt. Es ist auch ein Kampf gegen die brutale Repression und die Einmischung der Geistlichen in das Leben der Menschen. Viele Menschen sind wütend auf die islamisch-religiösen Institutionen.

Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, er sei »sehr besorgt« und es sei wichtig, »allseits von gewaltsamen Handlungen Abstand zu nehmen«. Wie bewerten Sie diese Positionierung der Bundesregierung?
Ich habe immer gesagt, das islamische Regime im Iran ist traditionell frauenfeindlich, ist menschenfeindlich und es muss deswegen abgeschafft werden. Deshalb freue ich mich, dass die Menschen im Iran jetzt dieses Ziel verfolgen. Es gab im Iran immer wieder eine Bewegung, die gesagt hat, man kann das Regime reformieren. Die deutsche Regierung und auch die anderen europäischen Regierungen haben auf diese Bewegung gesetzt und auf Reformen gehofft. Die Bewegung jetzt demonstriert sowohl gegen den Religionsführer Ali Khamenei als auch gegen Präsident Hassan Rohani – also gegen beide Flügel des Regimes. Rohani sagt, die Menschen müssten ihre Meinung sagen dürfen. Doch wie soll das gehen, wenn zum Beispiel der Messengerdienst Telegram nicht mehr genutzt werden kann? Die Bundesregierung stellt sich auf die Seite eines Teils des Regimes, wenn sie wie Rohani den Demonstranten sagt, es dürfe keine Gewalt angewendet werden. Aber die Gewalt geht von der Regierung aus, schon 21 Menschen sind umgebracht, mehr als 450 inhaftiert worden. Am heutigen Dienstag wurde verkündet, wer festgenommen werde, gelte als mohareb, also als Kämpfer gegen Gott. Darauf steht die Todesstrafe. Ich frage also Herrn Gabriel: Wer ist gewalttätig? Das Regime ist gewalttätig.

Welche Form von Solidarität würden Sie sich wünschen?
Die Menschen in Deutschland sollten sehr genau beobachten, was los ist. Wichtig ist zu verstehen, dass es nicht nur eine Bewegung gegen Armut und Arbeitslosigkeit ist, es ist eine Bewegung gegen die Diktatur, gegen die Einmischung der Geistlichen in das Alltagsleben der Menschen, gegen das Sharia-Recht. Frauen haben eine große Rolle in der Bewegung. Die Menschen in Deutschland sollten verstehen, dass es auch eine Bewegung gegen den Kopftuchzwang ist. Es handelt sich um ein Instrument gegen Frauen, es verletzt die Rechte der Frauen. Auch deshalb kämpfen so viele Frauen. Die Bundesregierung sollte erklären, dass es eine Bewegung gegen eine Diktatur ist. Und sie sollte politische Sanktionen verhängen, wenn festgenommene Menschen hingerichtet werden. Sie sollte dann zum Beispiel die iranische Botschaft schließen.