Der Rekonstruktionismus in Dresden und Potsdam ist populistisch

Ästhetischer Populismus

Seite 2 – »Vernichtung« und »Wiedergewinnung« städtischer Identität
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Dieser kurze Abriss der Architekturgeschichte der DDR ist notwendig, um die Argumente zu widerlegen, die heute in Dresden und Potsdam gegen zentrumsnahe Relikte der DDR-Architektur vorgebracht werden. In beiden Städten wurden nach der politischen Wende rasch Beschlüsse zur weiteren städtebaulichen Entwicklung gefasst, die den postmodernen Historismus aus der Spätphase der DDR mit kompromissloser Borniertheit radikalisierten und apodiktisch die Wiederannäherung an ein »historisches Stadtbild« verlangten. Während dafür im Dresdner Zentrum noch große Freiflächen bereitstanden, sollten in Potsdam die vorhandenen, modernen Gebäudekomplexe weichen. Bagger rückten dort bereits 1991 an, um den Rohbau eines zwei Jahre zuvor begonnenen Theaters wieder abzureißen. An gleicher Stelle steht heute der Nachbau des einstigen Stadtschlosses, das den Brandenburger Landtag beherbergt – mit der ironischen Inschrift »Ceci n’est pas un château«.

Vergleicht man die Debatten anhand der Verlautbarungen ihrer lautesten Interessenverbände wie die Bürgerinitiativen »Mitteschön!« in Potsdam und »StadtbilDD« in Dresden, fällt zunächst eine stereotype und ideologisch überfrachtete Metaphorik auf, wie man sie aus den konservativen Verdikten gegen Planung, Konstruktion und Offenheit kennt. Stets ist vom »Maßstabs­losen«, »Struktursprengenden« und »Überdimensionierten« der DDR-Moderne die Rede. »Eingriffe an der gewachsenen Bausubstanz« und »Vernichtung« hätten »klaffende Wunden«, »offene Flächen« und einen »verwundeten Stadtraum« erzeugt, weshalb es nun gelte, mit »Stadtreparaturen« »Lücken zu schließen«, zu »heilen« und eine »städtische Identität wiederzugewinnen«. Als probate Form dieser »Rückkehr zu den Wurzeln« wird notorisch eine reichlich dekorierte, kleinteilige, »menschliche« Blockrandbebauung in Parzellen vorgeschlagen und gegen »gesichtslose Stahl- und Glasfassaden« und freistehende »Funktionsbauten« mobilisiert, durch deren Umsetzung die »historischen Zentren« zum »Spielball moderner Architekten« würden. In Dresden fürchtet man sich besonders vor »austauschbarer globalisierter Investoren­architektur«, die auf »traditionsfremde Großblöcke« und »regionalun­typische Materialien, Farben, Dächer und Stilmittel« zurückgreift, wozu bereits Sichtbeton und Flachdächer gezählt werden: »Vor allem ortsfremde Investoren überziehen (…) die Innenstadt so stringent mit Globa­lisierungs-Architektur, dass mittlerweile von einer 3. Zerstörung gesprochen werden kann«, schreibt »StadtbilDD« in einem aktuellen Flyer. Die Tatsache, dass gerade die DDR-­Moderne einen wesentlichen Bestandteil der regionalen Bauformen ausmacht und zur historischen Tradition gehört, weshalb Neubauten eine auch dazu passende Formensprache finden müssen, will man nicht wahrhaben.

So ist es sicher kein Zufall, dass die organische Semantik bis in die Wahl ihrer Beispiele hinein einer antisemitischen Codierung folgt, die städtebauliche Moderne abgelehnt und regelmäßig von Vernichtung fabuliert wird, wo Zerstörung und Wiederaufbau beschrieben werden. Ersichtlich ist dieser psychologische Mechanismus der Projektion unterdrückter Begierden auch in den Verdikten gegen die vermeintliche »Sprengwut« der DDR, die ausgerechnet von den Befürwortern der städtebaulichen Revisionen am lautesten kritisiert wird. Statt eine notwendige und nüchterne Sachdebatte über zeitgemäße Stadtgestaltung zu führen, ­regieren Hegemonie- und Distinktionskämpfe eines dezidiert bürger­lichen Milieus, in denen Klassengeschmack und unbewältigter Antikommunismus zu einer Fassaden­ästhetik verschmelzen. Die Flanke zum Geschichtsrevisionismus ist dabei weit geöffnet, weshalb es kaum überrascht, dass die »Wiederaufbauwut« in der Neuen Rechten prominente Fürsprecher hat. Im neuen Magazin Cato ist die Forderung nach traditionellen Formen ein thematischer Anker. Björn Höcke lobte in seiner Dresdner Rede explizit die ­Rekonstruktionen in Dresden und Potsdam als »deutschen Selbst­behauptungswillen«, bevor er im unmittelbaren Anschluss das Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« bezeichnete.

Ähnliche, kalkulierte rhetorische Entgleisungen mit Rückgriff auf die nationalsozialistische Sprache prägen auch in Potsdam die Debatte. Als »Schandfleck« gilt Politikern von SPD, Grünen und CDU das ehemalige ­Institut für Lehrerbildung, das einem von Mies van der Rohe entworfenen Versicherungsgebäude in Des Moines nachempfunden wurde und bis vor kurzem die Fachhochschule beherbergte. Wer die vielfältigen gestalte­rischen Details des Gebäudes beachtet, erkennt in den vertikalen Stahl­betonlamellen Referenzen an Potsdamer Bauformen. Das markante Gelb zitiert das Schloss Sanssouci. In unmittelbarer Nähe stehen das Wohnensemble Staudenhof und die Höhendominante des einstigen Inter­hotels, die einigen ebenfalls ein Dorn im Auge ist. Um die Sichtachse zwischen einem dahinterliegenden Park und dem Landtagsneubau herzustellen, plante der Potsdamer Stadtrat lange Zeit den millionenschweren Kauf und anschließenden Abriss des sanierten und gut ausgelasteten Hotels. »Nur mit einem Um- oder Abbau des Gebäudes könnten Sicht­beziehungen und Proportionen der Potsdamer Mitte und der Stadt­silhouette wiederhergestellt werden«, hieß es aus dem Baudezernat. Da sich eine Mehrheit der Potsdamer eine sinnvollere Verwendung ihrer Steuergelder wünschte, sind die Pläne vorerst wieder in der Schublade verschwunden. Der Staudenhof genießt Bestandsschhutz bis 2022, danach sollen die günstigen Wohnungen und seine Bewohner – größtenteils Rentner, Studierende und sozial Abgehängte – aus dem Zentrum verschwinden. Eine Vertreterin von »Mitteschön!« entfaltete kürzlich in einer Dokumentation des RBB ihre Vision einer »vielfältigen Einwohnerstruktur« im Zentrum, bestehend aus »jungen Menschen, Studenten und Gutsituierten.« Man müsse sich nichts vormachen, ein bisschen teurer werde es schon werden.

Paradoxerweise hat die systematische Vernachlässigung der Altbausubstanz in der DDR dazu geführt, dass viele Mittelstädte und das von großen Kriegsschäden verschonte Erfurt und Halle heute noch intakte Altstadtkerne aufweisen.

Die Abrissarbeiten für die Fachhochschule sind bereits angelaufen und sollen im Herbst 2018 abgeschlossen sein, ungeachtet des zuletzt wachsenden Protestes zumeist jüngerer Einwohner, der von namhaften Architekten und Stadtplanern unterstützt wurde und sogar in der FAZ auf Sympathie stieß. Dort schreiben Niklas Maak und Claudius Seidl von der bürgerlichen Kultur, die zu Zeiten ihrer Selbstgewissheit noch Respekt vor denen bedeutet hatte, die vor ­einem da gewesen sind: »Was man am Alten Markt versucht, ist die komplette Auslöschung all dessen, was zu Zeiten der DDR gebaut wurde, und das ist nicht nur ein Akt der Herzlosigkeit gegenüber denen, die hier in den siebziger und achtziger Jahren ihre Zeit verbracht und vielleicht ein paar schöne Erinnerungen an den Ort haben; es nimmt auch denen, die nach Potsdam kommen, die Chance, seine Geschichte zu ­verstehen.« Ein Bürgerbegehren ­gegen die Abrisspläne wurde von den Stadtverordneten abgelehnt. Mit dem Rechenzentrum soll zudem bald ein weiterer Bau der DDR-Moderne verschwinden, um Platz für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche zu schaffen – jener ­Pilgerstätte der Weimarer Antidemokraten, an der Hitler und Hindenburg 1933 per Handschlag die Herrschaft der Nationalsozialisten be­siegelten.

Respekt für die sonst großmundig gelobten Lebensleistungen der Altvorderen sucht man auch im konservativen Dresden vergeblich. Einer ähnlichen Argumentation wie in Potsdam folgend, wünschen sich  städtebauliche Interessenverbände dort Schutzvorkehrungen für die ­barocke Stadtsilhouette und fordern den Abriss eines abgewohnten Hochhauses aus den sechziger Jahren am zentralen Pirnaischen Platz, das das Schicksal vieler Relikte der Ostmoderne teilt. Notwendige Bestandsreparaturen wurden nach dem Zusammenbruch der DDR lange Zeit aufgeschoben, bis der Putz bröckelte und die öffentliche Wertschätzung verschwand. Dabei ist das ikonische Gebäude mit seiner Loggienfassade, der optischen Auslagerung auf ­Betonstützen und einem Flügeldach beispielhaft für die Rezeption des ­internationalen Stils in der DDR und markiert einen optischen Schlusspunkt des innerstädtischen Aufbaus. Bis 1987 wurde das exponierte Hochhaus mit dem weithin lesbaren Schriftzug »Der Sozialismus siegt« propagandistisch aufgeladen, bis dieser über Nacht kommentarlos demontiert wurde und einen emblematischen Schattenwurf zurückgelassen hat, der die politische Wende überdauerte. Seitdem verfällt das in der Presse abschätzig als »Assi-Hochhaus« titulierte Gebäude. Künstler klebten vor einigen Jahren in zweideutigem Sächsisch und großen ­Lettern den Slogan »Der Kapitalismus siecht« an die Fassade. Wer heute ­erfahren möchte, wie die öffentlichen Plätze und Paradestraßen der DDR zur Selbstrepräsentation des politischen Systems und propagandistischen Inszenierung der Werktätigen aufeinander abgestimmt wurden, kann das am Pirnaischen Platz noch erahnen. Doch die manifestierte ­Geschichte stört den rein ästhetisch-konsumierenden Blick auf die Sky­line der »historischen Altstadt«. Geflissentlich ignoriert wird ebenfalls, dass bereits in den zwanziger Jahren ambitionierte Pläne für ein Hochhaus an gleicher Stelle bestanden, an die die DDR-Planer anknüpften.