Der Rekonstruktionismus in Dresden und Potsdam ist populistisch

Ästhetischer Populismus

Seite 5 – Entfesselte Harmoniesucht

Ein handfester Kunstskandal in Dresden zog zu Beginn des Jahres 2017 ­erstaunlich wenig bundesweite Aufmerksamkeit auf sich, obwohl er die konservative Grundstimmung der Stadt wesentlich besser verdeutlicht als die notorisch fremdenfeindlichen Proteste gegen die Busmonumente des syrisch-deutschen Künstlers Manaf Halbouni wenige Wochen zuvor. Seit April wird auf dem Neumarkt unweit der Frauenkirche das »Denkmal für den permanenten Neuanfang« einer Hamburger Künstlergruppe gezeigt, das die Komplexität der historischen Bezüge der Stadt aufgreift. Das Denkmal besteht aus mehreren auf einem Edelstahl­gerüst montierten Elementen, die als symbolische Zitate Epochen der Dresdner Stadtgeschichte darstellen und den lokalen Fassadenfetisch kri­tisieren. »Der Fixateur ist ein Heilgerät für vergangene Beschädigungen. Am Neumarkt findet etwas Ähnliches statt: die architektonische Therapie von Zerstörungen, optisch möglichst bruchlos«, heißt es in der Ankündigung der Stadt. Bei der Eröffnung wurden Künstler und Kuratoren von ­einem wütenden Mob niedergebrüllt, später flogen Töpfe und Pfannen auf das Kunstwerk. Von Seiten der Protestierenden hieß es, das Denkmal sei Schrott, gewollte Provokation und Verschandlung eines historischen Ortes. Ein AfD-Landtagsabgeordneter twitterte »Mülldeponie Dresden«. Weniger Enthemmte kritisierten den optischen Bruch von barocker Kulisse und moderner Kunst und forderten eine Verlegung in andere Stadtteile. Für die Bewerbung Dresdens als europäische Kulturhauptstadt 2025 war das sicher ein gelungener Auftakt.

Das populistische Ressentiment gegen die moderne Kunst spiegelt den Rekonstruktionismus, der in diesem Milieu auf breite Begeisterung stößt und nicht ohne Grund hochgradig suggestiv und mit populistischen Argumenten begründet wird. Ihm ­eignet das Urteilen nach rein subjektiven Lust- und Unlustempfindungen, das Einsicht in Zusammenhänge, Formen und Gestaltungskonzepte suspendiert. Das Rekonstruierte ist bestenfalls ästhetische Dekoration, die gefallen und möglichst keine Reibungspunkte bieten soll. Städtebauliche Erfahrungen sind in den »historisierten Innenstädten« nur negativ möglich, nämlich als Blick in die hinter den Fassaden versteckten Konsumtempel und teilnehmende Beobachtung der ehrfürchtigen Touristenmassen, deren Interesse an den ästhetisierten Orten auf kurzweilige Anekdoten über Könige und Mäzene beschränkt bleibt.

Was der Populismus hingegen am meisten fürchtet, sind gesellschaft­liche Aufklärung und individuelle Erfahrungsfähigkeit, wozu eine Architektur anregen kann, die gewohnte Sichtmuster irritiert. Das schließt die Forderung ein, gesellschaftliche Debatten nicht unter der suggestiven Fragestellung eines ästhetischen Empfindens – im Grunde nur eine codierte Form des »gesunden Menschenverstandes« – zu führen, sondern Gebäude und Raumgestaltung als materialisierte Aussagegefüge einer Gesellschaft wahrzunehmen, in denen sich abstrakte Funktionsmechanismen offenbaren können. Der baugeschichtliche Wert eines Gebäudes ist somit nicht losgelöst von seinem historischen Kontext zu bestimmen und weniger eine Frage norma­tiver Einschätzung als der Bereitschaft, sich auf die Wahrnehmung gestalterischer Details einzulassen. Die Abwehr von sichtbaren stilis­tischen Brüchen und städtebaulichen Kontrasten neigt nicht nur zum ­Geschichtsrevisionismus, sondern macht interessante Details in einem Harmoniebrei unsichtbar.

 

Vom »Schandfleck« zum Denkmal

In diesem Sinne ist der zögerliche Neubewertungsprozess des Denkmalwerts von DDR-Relikten, der mittlerweile auch außerhalb von Fachkreisen offener diskutiert wird, zu begrüßen. Städtisch kuratierte Ausstellungen in Leipzig und Dresden, wie »Plan! Leipzig, Architektur und Städtebau 1945–1976« und »Der Kulturpalast Dresden – Architektur als Auftrag«, wären vor wenigen Jahren wohl noch unter den Verdacht realsozialistischer Propaganda gestellt worden. Noch 2003 wurde in Dresden ernsthaft über einen Abriss des zentralen Kulturpalastes diskutiert. Als Argument diente schon damals, was in aktuellen Diskussionen in identischer Wortwahl wiederkehrt: Der Kulturpalast sei einfallslos, ähnliche Gebäude gäbe es in jeder Stadt, ein Abriss des »Schandflecks« sei zur Rückgewinnung der historischen Altstadt unvermeidlich und diese einmalige Chance dürfe nicht vertan werden. Wenige Jahre später wurde das Gebäude zunächst unter Denkmalschutz gestellt und anschließend für über 100 Millionen Euro saniert. Seit der pompösen Wiedereröffnung feiert die Stadt das einmalige Bauwerk und wagt gar Vergleiche mit der Hamburger Elbphilharmonie.

Auch die Plattenbauviertel werden in den wachsenden ostdeutschen Großstädten nicht mehr länger nur als Hypothek betrachtet, sondern auch als gestaltungsfähiger Sozialraum, der mit überschaubaren Kosten an wandelnde Nutzungsformen ­angepasst werden kann. Sogar über den Denkmalwert einiger Ensembles wird bereits nachgedacht. Diese ­Beispiele zeigen, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung der zeit­genössischen Architektur immer wieder verändert und die Suggestivkraft ästhetischer Argumente schwindet. Entgegen anderslautenden Einschätzungen funktioniert die äußerst funktionale DDR-Architektur auch heute noch ausgesprochen gut, wenn sie gepflegt und in neue Stadtbaukonzepte integriert wird. In Potsdam will man davon freilich noch nichts wissen und betreibt mit der Umgestaltung des Zentrums eine systematische Verdrängung ungewollter Bevölkerungsgruppen. Dass die Straße der Jugend dort längst wieder Kurfürstenstraße heißt, ist in diesem Sinne konsequent.