Jessa Crispin, Autorin, im Gespräch über die Frauendemonstrationen in den USA

»Es gibt Erfolge des Feminismus«

In ihrem Buch »Why I Am Not a Feminist. A Feminist Manifesto« kritisiert Jessa Crispin die Harmlosigkeit der Frauenbewegung in den USA. Sie fordert eine Repolitisierung und erneute Radikalisierung des Feminismus. Mit der »Jungle World« sprach sie über den Women´s March und die Notwendigkeit einer sozialistischen Bewegung mit feministischen Inhalten.
Interview Von

»Feminismus« wurde vom US-­amerikanischen Wörterbuch-Verlag ­Merriam-Webster zum Wort des ­Jahres 2017 gekürt. Die Zahl der Menschen, die wissen wollten, was das ist, lag 70 Prozent höher als 2016. Das sind doch gute Nachrichten.
Es gab sicherlich viele sichtbare Veränderungen für Frauen im vergangenen Jahr. Langjährige Täter haben beispielsweise ihre Arbeit verloren. Aber eine strukturelle Veränderung, die künftig Missbrauch verhindern könnte, hat ­dadurch noch nicht stattgefunden. Dieses Problem ist nicht mal Teil der ­momentanen Debatte. Wir befinden uns ganz am Anfang eines Veränderungsprozesses. Aber es gibt es in diesem Jahr einige Erfolge, auf die wir ­verweisen können, denn unser Anliegen ist in der Mainstream-Kultur an­gekommen.

Ist das ein Resultat der Proteste gegen Donald Trump?
Dass das Video von Trump veröffentlicht wurde, in dem er Frauen beleidigte, hatte recht geringe Auswirkungen auf die Wahlen. Dennoch war es irgendwie ein Startschuss. Die Leute haben fest­gestellt, wie fest verwurzelt Sexismus in der Gesellschaft ist. Es war einfach ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es vielen Leuten egal ist, ob Frauen ­beleidigt und herabgesetzt werden. Selbst Frauen stört dieses Verhalten nicht zwangsläufig, denn 53 Prozent der weißen Frauen haben schließlich für Trump gestimmt.

»Wenn jemand in eine Macht­position kommt, ohne dafür seinen Schwanz zu benutzen, ist das noch kein gesellschaftlicher Fortschritt. Ohne Abschluss an einer Eliteuniversität macht sowieso niemand Karriere.«

Vor einem Jahr gab es dennoch viel Protest und besonders groß waren dabei die Frauendemonstrationen. Wie hat sich diese Bewegung seitdem entwickelt?
Der Protest auf der Straße ist in der letzten Zeit leiser geworden. Trump hat im vergangenen Jahr nicht viel zustande gebracht. Er hat in der Gesetzgebung wenig bewirkt und auch sonst ist seine praktische Arbeit eher ein Albtraum. Es erscheint nutzlos, gegen seine Politik zu demonstrieren, wenn man weiß, dass sich die Rechtssprechung darum kümmern wird. Viel Energie der Be­wegung ist auch in die langsam wachsende sozialistische Bewegung in den USA geflossen. Die letzte Runde von Regionalwahlen hatten einige sehr über­raschende Ergebnisse für linke Kandidaten gebracht.

Am 20. Januar wird es wieder »Women’s Marches« geben. Wen ­repräsentiert diese Bewegung?
Viele Kontroversen innerhalb der Bewegung sind weiterhin nicht gelöst. Besonders Fragen der Klasse und Hautfarbe werden noch immer nicht ernst genug genommen. Da gibt es noch viel zu tun, bevor diese Bewegung ihre ­eigenen Widersprüche erkennt. Denn natürlich war der Großteil der Sprecherinnen weiß und gebildet.

 

Viel Willkür bei »Me Too«

 

Dennoch wurde, neben den pinkfarbenen Pussyhats, gerade der ­Hijab als Symbol der Proteste betrachtet.
Das ist ein sehr umstrittenes Symbol, es gibt in diesen Kreisen eine Art Orientalismus und Exotismus. Dennoch wäre es ein Fehler, das Kopftuch ganz zu ­verbieten. Als Symbol halte ich es aber für verfehlt. Denn was sagt es aus? ­Entweder es soll dem ganzen exotischen Charme geben oder andere Herrschaftsverhältnisse verschleiern. Der Hijab hat eine spezifische Tradition, das ist nicht universal.

In ihrem Buch kritisieren sie die Empörungskultur. Was ist so falsch daran, wütend zu sein?
Ich habe keine Problem mit Wut. Ich habe ein Problem, wenn sich die Wut von der Realität entfent. Dann geht es nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um Rache und um symbolische Siege.
Wut braucht einen geeigneten Kanal. Im Falle der »Me Too«-Kampagne ­sehen wir viel Willkür. Das ist keine systematische Aufarbeitung von Einzelfällen, sondern alles wird in die Arena des öffentlichen Meinungstreits geworfen. Männer, deren Karriere bereits zu Ende ging, wurden sanktioniert. Männer in ihren 70ern, die vielleicht vor zehn oder 20 Jahren mal sehr viel Macht besaßen. Männer, die noch immer in Machtpositionen sind, werden seltener zur Verantwortung gezogen. Solange wir aber keine systemische Antwort finden – das könnte vielleicht eine Art Wahrheits- und Wiedergut­machungskommission sein –, wird es in dieser Form weitergehen. Wir werden Leute nach emotionalen Kriterien verurteilen und bestrafen und nicht nach objektiven. Wir werden bestrafen anstatt zu rehabilitieren und weiterhin nicht verstehen, was Missbrauch ist.

Hat #metoo die politischen Debatten in der Bewegung verändert?
Es gibt keine homogene Bewegung. #metoo war etwas sehr Vereinendes. Allerdings gibt es keine langfristigen oder strukturellen Überlegungen. Es gibt aber auch eine Strömung, der es in ­erster Linie um Karriereoptionen geht. Frauen versuchen, in die freiwerdenden Machtposition zu dringen, ohne Herrschaft dabei zu hinterfragen. Doch wenn jemand in eine Machtposition kommt, ohne dafür seinen Schwanz zu benutzen, ist das noch kein gesellschaftlicher Fortschritt. Ohne den Abschluss an einer Eliteuniversität macht in den USA sowieso niemand Karriere. Über den Aufstieg entscheidet der Nepotismus einer exklusiven ­Oberschicht.

In ihrem Buch kritisieren sie einen »Lifestyle-Feminismus«. Aber kann dieser nicht gerade in Zeiten des Rechtspopulismus und eines anti­feministischen Backlashs subversiv sein?
Viele Leute halten Feminismus heute für trendy. Taylor Swift verkauft damit ihre Platten. Das ist Marketing. Als die Harry-Potter-Romane herauskamen, ­sagten auch alle: Hey, das ist Blödsinn, aber wenigstens lesen junge Leute jetzt Bücher. Die Hoffnung, damit die Kids für Literatur zu begeistern, hat sich nicht erfüllt. Alle haben einfach immer weiter »Harry Potter« gelesen. Es hat sie nicht zu Tolstoi geführt. Ich glaube, dass es auch mit Taylor Swift nicht anders sein wird.

Werden Frauen in den Protesten ­gegen Trump künftig eine bedeutendere Rolle spielen?
Bei den großen Protesten ganz sicher. Es wäre aber wichtiger, an der Basis ­aktiv zu werden. Die sozialistische Graswurzelbewegung ist sehr vielversprechend. Allerdings ist auch sie sehr männlich geprägt. Sie wird überwiegend von misogynen Männern gestaltet. Gerade diese Bewegung muss feministisch infiltriert werden. Das ist aussichtsreicher als ein großer, verwässerter Protest.