Die US-Linke befindet sich im Aufwind

Früchte des Zorns

Sie nennen sich »der Widerstand« und stehen an zu ernten, was die Trump-Regierung gesät hat.

Die Sonne war am Tag nach der Wahl Donald Trumps noch nicht untergegangen, als die Proteste begannen. In New York City und Chicago drängten Demonstranten vor die Eingänge der Trump-Towers, in Los Angeles schlugen sie orangefarbene piñatas in Fetzen und verzierten ein weiteres Trump-­Gebäude mit unflätigen Beschimpfungen. In Oakland und Portland, Hochburgen der radikalen Linken, brannten Feuer auf den Straßen, es gab in mindestens 50 US-amerikanischen Städten Straßenblockaden, bei denen es teilweise zu Handgreiflichkeiten zwischen Anhängern und Gegnern Trumps kam. Eine soziale Bewegung war über Nacht entstanden.

Als sich am 9. November 2016 bei den ersten die Schockstarre über den un­erwarteten Wahlsieg Trumps der Wut wich, erschienen gleichzeitig mit den ersten Straßenprotesten trotzige Bekenntnisse in den sozialen Netzwerken. Schon eine Stunde nach der Verkündung des Wahlergebnisses kam auf Facebook der Begriff resistance auf; wer ihn zuerst gebraucht hat, dürfte kaum rekonstruierbar sein. Die Anti-Trump-Bewegung verstand sich selbst von Anfang an als »Widerstand«. Inzwischen ist das mehr oder weniger eine offizielle Bezeichnung geworden. Zuletzt bekannte sich am Sonntag die am 17. Mai 2017 aus der Haft im Militärgefängnis Fort Leavenworth entlassene Whistleblowerin Chelsea Manning zur resistance und kündigte ihre Kandidatur für einen Senatssitz des Bundesstaates Maryland in diesem Jahr an. In einer Video­botschaft sagt sie: »Wir brauchen nicht mehr oder bessere Anführer, wir brauchen jemanden mit dem Willen zu kämpfen.«

Die überwiegende Mehrheit der ­Gegnerinnen und Gegner Trumps, die sich seitdem in Graswurzelbewegungen wie »Indivisible«, der größten Organisation der resistance, organisiert ­haben, sind politisch weit entfernt von der nach wie vor winzigen linksradikalen Szene der Vereinigten Staaten

Wörtlich nimmt den militanten Gestus nur ein verschwindend geringer Teil der Bewegung. Dazu gehört eine anarchistische Gegenkultur, die in den USA schon länger existiert. Bei den Anti-WTO-Protesten in Seattle im Jahr 1999 war es ihren Anhängern gelungen, die Proteste so aussehen zu lassen, als handle es sich bei ihnen und damit der ganzen Bewegung der Gipfelgegner um einen riesigen Aufstand – die nachfolgenden Proteste in Prag, Göteborg und Genua wurden diesem Image dann immer gerechter. Beteiligt am black bloc von Seattle, dem damals ein paar Schaufensterscheiben und Polizei­autos zum Opfer fielen, sollen lediglich etwa 200 Personen gewesen sein. Nüchtern betrachtet war es die Aktion einer kleinen Gruppe von Militanten, die eine günstige Gelegenheit nutzte, um weltweit Aufsehen zu erregen.

Ein ähnlicher Stunt gelang am Tag der Vereidigung Trumps ein black bloc von ähnlicher Größe in Washington, D.C. Bilder von zerschlagenen Fensterscheiben, umgeworfenen Mülltonnen sowie einer mit dem Graffito »Bernie hätte gewonnen« verzierten brennenden Limousine gingen um die Welt. Kommentatorinnen der Abendnachrichten im entfernten Südafrika ließen sich zum Vergleich mit der Geschichte des eigenen Landes hinreißen. So wenig repräsentativ diese Handlungen für die Bewegung als ganze waren, so sehr fingen die Bilder eine verbreitete Stimmung ein – eine Wut, die sich so sehr gegen die neue Regierung wie ­gegen die Führung der Demokraten richtete, die – so die Botschaft des ­Graffito – Trump den Sieg geschenkt hatte, indem sie statt Bernie Sanders die mit dem Establishment identifizierte Hillary Clinton als Präsdidentschaftskandidatin aufstellte.

Die überwiegende Mehrheit der ­Gegnerinnen und Gegner Trumps, die sich seitdem in Graswurzelbewegungen wie »Indivisible«, der größten Organisation der resistance, organisiert ­haben, sind politisch weit entfernt von der nach wie vor winzigen linksradikalen Szene der Vereinigten Staaten. Die mehr als 6 000 offenbar überwiegend weiblich geprägten Indivsible-Ortsgruppen sind die eigentlichen Trägerinnen der Bewegung. Initiiert von enttäuschten Kadern der Demokraten, umfasst diese auch viele Mitglieder der aus dem Women’s March hervorgegangen so­genannten huddle-Gruppen. »To huddle« bedeutet unter anderem »sich zusammenschmiegen«, was diesen lokalen Kleingruppen einen irgendwie niedlichen Klang gibt. Huddle ist aber auch ein Begriff aus dem American Football, der durchaus bevorstehede Blessuren und Bereitschaft zum ­Rempeln impliziert.

Auch die zuvor weitgehend unbekannte US-amerikanischen Antifa-Bewegung ist 2017 zu einer festen Größe geworden. Zudem ist es ihr gelungen, der aufkeimenden Anti-Trump-Be­wegung den authentischen Ruch von Rebellion zu verpassen. Dazu trug entscheidend das virale Video des maskierten Antifaschisten bei, der am Tag von Trumps Inauguration dem Alt-Right-Ideologen Richard Spencer in Washington, D.C., einen sucker punch ins Gesicht verpasste. Der Faustschlag gegen Spencer wirkte wie ein Fanal – er erinnerte an Harrison Fords Rolle als Nazis auf die Nase boxender Universitätsprofessor in »Indiana Jones«, der authentic American anti-fascist schlechthin. Die Aussage hätte nicht eindeutiger sein können, wenn der gealterte Ford selbst Spencer den sucker punch verpasst hätte.

Bei der Oscar-Verleihung Ende Januar 2017 posierte das siegreiche Cast der Netflix-Serie Stranger Things mit theatralisch geballten Fäusten. »Wir werden die Lügen hinter uns lassen und wir werden Monster jagen«, sagte der Schauspieler David Harbour. »Und wenn wir verloren sind inmitten von Scheinheiligkeit und beiläufiger Gewalt, werden wir einigen Leuten ins Gesicht schlagen, wenn sie versuchen, die Schwachen zu zerstören.«

Dies entsprach der Stimmung zahlreicher Trump-Gegner, die nur etwas mehr als eine Woche zuvor während der im ­ganzen Land stattfindenden Women’s Marches zu Millionen auf die Straße ­gegangen waren.

 

Wieder im Aufschwung

Kritik begleitet die Bewegung bereits so lange wie ihre melodramatische Selbstbezeichnung als »Widerstand«. Der Name erinnere, so eine verbreiteter Einwand, an die Résistance gegen die Nazis. Das sei eine Trivialisierung des Andenkens an den unter ungleich schlimmeren Bedingungen stattfindenden Partisanenkampf in den besetzten Ländern Europas gegen ein ungleich schlimmeres Regime und letztlich beleidigend. Das ist zweifellos richtig. Geäußert vom Breitbart-Autor Joel Pollak erschien diese Kritik allerdings bestenfalls scheinheilig, war diese maßlose Überstilisierung doch auch eine naheliegende Reaktion auf das schrille ­Getöse, das man von Donald Trump und seiner Anhängerschaft ­inzwischen gewöhnt war.

Der Vorwurf an die Anti-Trump-Bewegung, den Jeet Heer bereits im Mai 2017 in der New Republic formulierte, die Bewegung laufe ­Gefahr, genauso flach und phrasenhaft zu werden wie die Person, gegen die sie sich wendet, trifft hingegen häufig zu. Es sei gefährlich, so Heer, Maßnahmen, die im Einklang mit der Verfassung stehen und in demokratischen Prozessen beschlossen werden, mit Aktivitäten gleichzusetzen, die eben nicht mehr im Rahmen der Legalität stattfinden. Andere sympathisierende Kritiker bemängeln, die Bewegung lasse sich durch Aufregung über Trump-Tweets blenden, während seine Regierung diese als Ablenkung nutze, um unpopuläre Gesetzesvorhaben voranzubringen.

Die Bewegung kann eine ganze Reihe von Erfolgen verbuchen. Zentrale Bestandteile des politischen Programms der Regierung konnten verhindert oder zumindest erheblich verzögert werden.

Ein Jahr nach dem Women’s March hat die Bewegung entgegen aller Unken­rufe wenig von ihrem Schwung verloren. In ihr sind inzwischen eine Vielzahl der verschiedenen neuen politischen Impulse der Jahre 2015 und 2016 auf­gegangen, Black Lives Matter ebenso wie ein erstarkter Feminismus – und dies eben nicht nur in Form jener zweifelhaften Ideologie der safe space-Identitätspolitik. Dank Bernie Sanders kann man sogar als »Sozialist« erfolgreich sein – vor drei Jahren wäre das noch so undenkbar gewesen wie 2006 ein schwarzer Präsident im Weißen Haus. Die US-Linke befindet sich trotz der Schlappe der Wahl wieder im Aufschwung.

Allein Indivsible, eine bewusste linke Kopie der Tea-Party-Bewegung, hat deren Organisationserfolg längst um ein Vielfaches übertroffen. Die Tea-Party-Bewegung verfügte zu ihren besten Zeiten über etwa 800 bis 1 000 Ortsgruppen, also gerade einmal etwa 15 Prozent der derzeit bestehenden Indivisble-Gruppen, wie der britische ­Guardian am 9. November 2017 berichtete. Dass die Tea-Party-Bewegung das Fundament von Trumps Wahlerfolg darstellte, sollte aufhorchen lassen.

Die Anti-Trump-Bewegung konnte das umstrittene Steuerreformgesetz nicht verhindern, die republikanische Kongressmehrheit beschloss es im ­Dezember. Doch die Bewegung kann eine ganze Reihe von Erfolgen verbuchen. Zentrale Bestandteile des politischen Programms der Regierung konnten verhindert oder zumindest erheblich verzögert werden: An den Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze glaubt kaum noch jemand, mehrere Versuche, die als muslim ban ­bekannt gewordenen Einreiseverbote durchzusetzen, scheiterten vorläufig an heftigen Protesten und vor Gerichten, und die unter Präsident Barack Obama eingeführte Gesundheitsreform wurde bislang erfolgreich verteidigt. Auf kommunaler und einzelstaatlicher Ebene konnten Kandidatinnen und Kandidaten der Demokraten eine ­Reihe von Wahlsiegen erringen, während im Weißen Haus Chaos herrscht und republikanische Kongressabgeordnete um ihre Sitze bangen. Dieser Trend wird sich bis zu den midterm elections im November 2018 wohl noch verstärken und könnte die Republikaner ihre Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses kosten.

Das sind die Früchte der Zorns, die die Politik der derzeitigen Regierung bei vielen tagtäglich trägt. Dieser Zorn drückt sich inzwischen weit weniger ungezügelt aus als in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nach Trumps Wahlsieg. Vielmehr gewinnt er langsam die Konturen eines formidablen linken Backlashs.