Antisemitismus im Fußball: eine Übersicht über die Vorkommnisse im Jahr 2017

Antisemitischer Furor in den Stadien

Mancherorts gehört Hass auf Juden für Fans zum Fußball – eine Übersicht über die Vorkommnisse im Jahr 2017.

In der jährlich vom Simon Wiesenthal Center (SWC) veröffentlichten »Top Ten List of Worst Global Anti-Semitic/Anti-Israel Incidents« finden sich für 2017 wie gewohnt Fußballfans unterschiedlichster Vereine wieder. Die US-amerikanische NGO benennt sechs international bekannt gewordene Fälle und stuft sie auf Platz sieben ihrer Liste ein – noch vor dem Antisemitismus in der britischen Labour Party und dem Aufmarsch ­polnischer Nationalisten zum Unabhängigkeitstag am 11. November.

Unter dem Titel »Der Hass infiziert die weltweit beliebteste Sportart« berichtete das SWC an erster Stelle über die rechtsextreme italienische Ultra-Gruppe »Irriducibili« (Unbeugsame). Mitglieder dieser streng hierarchisch organisierten Fangruppe von Lazio Rom verklebten im Oktober auf Sitzen und Plexiglasabsperrungen Sticker mit dem Porträt des Holocaust-Opfers Anne Frank im gelb-roten Trikot des Lokalrivalen AS Rom. Auf weiteren Aufklebermotiven war zu lesen: »Romanista Ebreo« (»Rom-Anhänger sind Juden«) sowie »Romanista Frocio« (»AS-Rom-Schwuchtel«). Kurz nachdem diese Aufkleber für ein großes internationales Medienecho gesorgt hatten, tauchten in Nordrhein-Westfalen beinahe identische Auf­kleber auf. Dort wurde Anne Frank im Trikot von Schalke 04 gezeigt, Fans von Borussia Dortmund wollten so ihren Lokalrivalen verunglimpfen. Nach Recherchen des Blogs »Ruhrbarone« stammen die Drahtzieher der Aktion aus der Neonaziszene.

In den unteren Ligen kann sich der antisemitische Mob weitaus ungestörter austoben als in den Profiligen. In den Niederungen des Amateursports drücken nicht nur die Vereinsverantwortlichen gern einmal ein Auge zu.

Auch in Leipzig wurden Ende ­Oktober, vor dem brisanten Stadtderby zwischen den beiden Regionalligisten BSG Chemie und 1. FC Lokomotive, Sticker gefunden, auf denen Anne Frank in einem Fußballtrikot mit dem Logo der BSG Chemie und der Aufschrift »JDN CHM« (Juden Chemie) abgebildet war. Einen Monat zuvor waren in einigen Leipziger Stadtteilen bereits Motive mit der Aufschrift »ACAJ – All Chemiker Are Jews« gefunden worden.

In den unteren Ligen kann sich der antisemitische Mob weitaus ungestörter austoben als in den Profiligen. In den Niederungen des Amateursports drücken nicht nur die Vereinsverantwortlichen gern einmal ein Auge zu. Das Resultat ist eine über Jahre gewachsene rechtsextreme Fanszene, die in der Kurve den Ton angibt – wie bei Energie Cottbus. Das Auswärtsspiel im April 2017 beim SV Babelsberg 03 in Potsdam nutzten die rechtsextremen Energie-Fans ­gemeinsam mit ihren Freunden von der »New Society« aus Chemnitz als Bühne für ihre antisemitische Agitation. Aus ihrem Block schallte es mehrfach »Arbeit macht frei – Babelsberg 03« und »Zecken, Zigeuner und Juden – Babelsberg 03«. Die Nazi-Hooligans versuchten sich an einem Platzsturm; immer wieder wurde im Block der Hitlergruß gezeigt.

Doch obwohl die Auswärtsfans für die Ausschreitungen verantwortlich waren, zog der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) beide Vereine zur Rechenschaft. Das NOFV-Sportgericht verurteilte den FC Energie zu einer Geldstrafe von 13 000 Euro und einem Geisterspiel, reduzierte nach der Berufung des Vereins allerdings die Geldstrafe beziehungs­weise setzte sie zum Teil zur Bewährung aus. Der SV Babelsberg musste 7 000 Euro Strafe zahlen. In der Urteilsbegründung fanden die anti­semitischen Sprechchöre keinerlei Erwähnung. Stattdessen verwies das Sportgericht auf Babelsberger »Nazischweine raus!«-Rufe. Eine ­Berufung des SVB gegen das Urteil lehnte das Gericht wegen angeblicher formaler Fehler ab.

Der linksalternative Sportverein Roter Stern Leipzig gerät ebenfalls oft ins Visier rechtsextremer Fußballfans. Die Auswärtsfahrt ins benachbarte Schildau im Oktober galt von vornherein  als Risikospiel. »Dann hat man auf Schildauer Seite natürlich die einschlägigen Nazikameradschaften gesehen und auch einen Fan, der genau dieses T-Shirt trug mit der Aufschrift ›Juden Chemie‹«, berich­tete Christoph Ruf auf Spiegel Online. Mannschaft und Fans des Roten Sterns wurden während des Spiels als »Judensterne« bezeichnet. Nach Abpfiff musste die Polizei eine Gruppe Vermummter aufhalten, die in Richtung RSL-Fanblock stürmte.