Evgeny Shtorn, Soziologe, über Anwerbeversuche des russischen Inlandsgeheimdiensts und seine Lage als Staatenloser

»Besser in einem irischen Gefängnis landen als in einem russischen«

Seite 2 – "Freundschaftliches Verhältnis"
Interview Von

 

Wie hat der FSB-Mitarbeiter auf Ihre wenig informativen Antworten reagiert?
Von ihm ging keinerlei Aggressivität aus. Seine Strategie war eine völlig andere, nämlich mich davon zu überzeugen, dass wir in einem freundschaftlichen Verhältnis stehen. Ich weiß nicht, ob das Kalkül war, aber ich fand den Mann äußerst attraktiv und er war etwa in meinem Alter. Vielleicht haben sie gedacht, mit einem Schwulen sollte besser ein gutaussehender Mitarbeiter sprechen. Das mag aber Zufall sein. Er verhielt sich äußerst höflich, bot mir Tee an, den ich abgelehnt habe. Er übte nicht direkt Druck auf mich aus, aber genau deshalb war es schwer, dem freundlichen Gehabe nicht auf den Leim zu gehen. Hätte ich das Gespräch strikt abgelehnt, wäre der Verlauf wohl ein anderer gewesen.

Drohgebärden legte er erst an den Tag, als er wissen wollte, ob ausländische Geheimdienste auf mich zugekommen seien. Ich habe ihm gesagt, dass nie jemand bei mir in solcher Eigenschaft vorstellig geworden sei. Selbst wenn sie mit mir kommuniziert hätten, wisse ich nichts davon. Das hätte ich besser nicht gesagt, denn in seinem Bericht wird der FSB-Mitarbeiter das so formuliert haben, dass sich eine Zusammen­arbeit mit ausländischen Geheimdiensten nicht ausschließen lasse. In dem Zusammenhang wies er mehrmals darauf hin, dass das russische Strafrecht Paragraphen zu Spionage und Landesverrat enthalte. Damit machte er deutlich, dass anstelle netten Plauderns theoretisch andere Mittel zur Verfügung stehen. Aber ich hatte den Eindruck, er war sich sicher, dass ich ohnehin keinen Ausweg habe. Diese feste Über­zeugung hat mich gerettet, denn nur deshalb konnte ich die Grenzkontrolle passieren. Die Grenzbeamten sind Angehörige des FSB. Wäre ich dort vermerkt als Person, die nicht ausreisen darf, wäre ich nicht über die Grenze gekommen. Daran hatte der FSB offenbar nicht gedacht.

Wie ging es dann weiter?
Da es keine Direktverbindung gibt, hätte ich über Frankfurt nach Dublin ­fliegen sollen. Doch die Lufthansa hat mich nach einer Meldung der Bundespolizei wieder ausgecheckt, weil ich mich mit meinem Reiseausweis für Staatenlose trotz irischen Visums nicht in der Transitzone am Flughafen aufhalten dürfe. Schließlich bin ich über Moldawien geflogen. In Irland bin ich Gast der Organisation Front Line Defenders, allerdings habe ich nur ein Dreimonatsvisum, das nicht verlängert werden kann. Hier angekommen, habe ich gesagt, es ist besser, in einem irischen Gefängnis zu landen als in einem russischen. Alle haben gelacht, aber das war kein Witz. Man hätte mir in Russland wohl kaum Spionage an­gehängt, aber meinen Aufenthaltstitel hätten sie mir ohne weiteres entziehen können. Und dann wäre ich entweder an die kasachischen Sicherheitsbehörden überstellt worden, oder aber Kasachstan hätte sich geweigert, mich aufzunehmen. Das hätte eine jahrelange Abschiebehaft bedeutet, da kein Land für mich zuständig ist. Wenn sich jetzt kein Drittland findet, das bereit ist, mich dauerhaft aufzunehmen, werde ich in Irland Asyl beantragen müssen.

Der FSB bereits versucht, mindestens vier andere Mitarbeitende des CISR vor Ihnen anzuwerben. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?
Ich wollte deutlich machen, wie der FSB einzelnen Menschen zusetzt. Sie ­suchen sich die Schwächsten aus und machen sie sich gefügig. Dagegen ­regte sich in mir Protest. Es mag einfältig klingen, aber für mich war das in vielerlei Hinsicht eine Offenbarung. Als meine Geschichte öffentlich wurde, waren die einen schockiert, andere haben gesagt: »Wie könnt ihr nur so naiv sein? Habt ihr keine Ahnung, mit welcher Art von Staatsgewalt ihr es zu tun habt?« Mir haben zwar viele Bekannte erzählt, was in dieser Beziehung vor sich geht, dennoch war ich genauso naiv.

Hilft Ihnen der Schritt an die Öffentlichkeit weiter?
Ich weiß es nicht. Hätte ich geschwiegen, hätte ich mich als Verräter gefühlt. Mir schien, es sei meine Pflicht, den Anwerbungsversuch öffentlich zu ­machen. Dabei hatte ich Angst, und die Angst ist immer noch da. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist mir unklar. Denn auch wenn mein Chef im CISR davon überzeugt ist, dass die Behörden nichts weiter unter­nehmen, denke ich, dass sie rachsüchtig und nachtragend sind.