In Sachsen gibt es viel Rassismus und wenig Zivilgesellschaft

Heimatschutz zwischen Freital und Wurzen

Der Rassismus ist in Sachsen besonders schlimm, weil dort kaum noch jemand seine Stimme dagegen erhebt.
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Es klingt wie ein schlechter Witz: Ein Politiker der Linkspartei flüchtet in der Hoffnung auf zivilisierte politische Verhältnisse nach Bayern. Tatsächlich aber verließ der Stadtrat Michael Richter Ende 2017 die sächsische Kleinstadt Freital, nachdem eine Gruppe von Neonazis über Monate hinweg ihn und im Ort ansässige Flüchtlinge mit Sprengstoffanschlägen und Überfällen terrorisiert hatte.

Zwar stehen die Freitaler Neonazis nun wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht – allerdings nur, weil die Bundes­anwaltschaft das Verfahren an sich gezogen hat.

Freital ist nur eine der vielen Kleinstädte im braunen Grenzland, wo organisierte Bürger und besorgte Nazis zumeist unbehelligt ­gemeinsam Heimatschutz betreiben. Zuletzt war es Wurzen, 30 Kilometer östlich von Leipzig gelegen – mal wieder. Dort werden seit Monaten Flüchtlinge von Deutschen angepöbelt, bedroht und bisweilen angegriffen. Mitte Januar setzten sich junge Geflüchtete mit Messern zur Wehr, als sie von zwei Deutschen bis in ihre Unterkunft verfolgt wurden. Daraufhin stürmte eine größere Gruppe ­lokaler Rassisten ihre Wohnungen. Tradition wird in Sachsen eben großgeschrieben, so auch in Wurzen. Anfang der Neunziger war die Gegend eine der ersten »national befreiten Zonen«, seitdem hat sich wenig verändert. Das ließ sich Ende Januar bei einer kurzf­ristig wegen der rassistischen Übergriffe anberaumten Demonstration beobachten. Stadtbekannte Nazis, vermummt und bewaffnet mit Messern und Baseballschlägern, drohten an der Route den angereisten Antifaschisten und Journalisten. Bereits im September hatte das Bündnis »Irgendwo in Deutschland« mit einer Demonstration auf die rassistische Kontinuität in der Stadt hingewiesen.

Statt bewaffneter Nazis wartete damals eine SEK-Einheit mit Maschinenpistolen über der Schulter auf sie. Einer der Beamten trug einen Aufnäher mit Nazisymbolik an der Uniform, seine Kollegen setzten später Linke fest, die rechtsextreme Aufkleber von Plakaten der Linkspartei entfernten. Auch die Polizei trägt hier ihren Teil zum Heimatschutz bei.

Die Neonazis in Freital, Wurzen und anderswo sind eine konkrete Gefahr, aber nicht das größte Problem. Was Michael Richter ins bayerische Exil trieb und die Flüchtlinge zum Messer greifen ließ, ist letztlich das Schweigen der Anderen, das Fehlen einer Zivilgesellschaft, die ihrem Namen gerecht wird. Bereits ein paar Tage vor der antifaschistischen Kundgebung gab es eine Versammlung in Wurzen – jedoch nicht gegen Rassismus, sondern für die verletzten Rassisten. Lokale Medien und Politiker verhandeln den Komplex meist bloß als Image- und nicht etwa als Rassismusproblem.

Vom Überfall in Wurzen über die Hundeattacke auf eine Äthiopierin in Dresden bis hin zum Applaus Umstehender beim Brand ­eines von Migranten bewohnten Hauses in Plauen: »Das Problem heißt nicht Sachsen. Das Problem heißt Rassismus«, konnte man am Wochenende auf Spiegel Online dazu lesen. Eine banale Feststellung, die jedoch die Spezifik sächsischer Verhältnisse ignoriert. Noch während in Wurzen die antifaschistische Demonstration lief, warnte Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) in Dresden vor einer weiteren »Zuwanderungswelle«. So werden rassistische Übergriffe als Notwehr legitimiert.