Rot-Rot-Grün will das Berliner Neutralitätsgesetz ändern und so Kopftücher bei Lehrerinnen zulassen

Klassenziel Kopftuch

Seite 2 – Widersprüchliches Neben- und Gegeneinander im Senat

 

Damit bezog sich das LAG auf ein Urteil des BVerfG von 2015. Dessen Erster Senat hatte die Entscheidung einer Klage zweier muslimischer Lehrerinnen gegen das Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen damit begründet, dass ein generelles Verbot religiös konnotierter Bekleidung und Symbole sich diskriminierend auswirken könne und nur im konkreten Fall der Gefährdung des Schulfriedens zulässig sei.

Seither gibt es Streit um die Verfassungsmäßigkeit des Berliner Neutra­litätsgesetzes. Das Land Berlin legte gegen die Entscheidung des LAG keine Rechtsmittel ein, sondern zahlte die Entschädigung. Im Senat herrscht ein widersprüchliches Neben- und Gegeneinander. So beauftragte die von der SPD geführte Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Mitte 2017 die Rechtsanwältin Seyran Ateş, das Land Berlin gegen drei weitere Entschädigungsklagen kopftuchtragender ­Lehrerinnen zu verteidigen. Ateş, die als muslimische Reformerin das Kopftuch an Schulen ablehnt, kündigte an, nötigenfalls bis vor das Bundes­verfassungsgericht zu ziehen.

 

Schon vor dem Beschluss der Grünen waren Unmutsäußerungen wegen der möglichen Abschaffung des Gesetzes zu vernehmen – gerade angesichts islamistischer Einflüsse im Schulalltag.

 

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hingegen begrüßte das Urteil des LAG »als Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes«, Kultursenator Klaus Lederer (»Die Linke«) unterstützt seinen Kollegen. Seinen Aussagen zufolge ist dem Neutralitätsgesetz seit 2015 »die Basis entzogen«, es wirke gar »integrationshemmend«.

In der Mehrzahl haben bislang muslimische Lehrerinnen wegen des Neu­tralitätsgesetzes geklagt. Walter Otte, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft »Säkulare Grüne« und Mitgründer der »Initiative Pro Berliner Neutralitätsgesetz« widerspricht jedoch dem Vorwurf, muslimische Lehrerinnen würden durch das Gesetz mit einem Berufsverbot belegt. »Wenn das Neutralitätsgesetz ­verfassungskonform ist, und davon gehen wir nach unserem Gutachten aus, gilt es weiterhin und stellt keine Diskriminierung und Ungleichbehandlung dar, weil es gerade keinerlei religiöse Gruppe, ­Symbolik und Kleidung ausnimmt, sondern alle gleich behandelt«, sagt der Rechtsanwalt im ­Gespräch mit der Jungle World. »Lediglich eine sehr kleine, spezielle Gruppe, die schließt, Frauen müssten Kopftuch tragen, zeigt sich betroffen und versucht ihre Deutung für den Schuldienst durchzusetzen«. Von einer ­Diskriminierung »der Musliminnen« zu sprechen, hält Otte für einen ­»Propagandatrick sehr konservativ-­orthodoxer Einflüsse« und weltweit ­tätiger Strömungen wie der Muslimbruderschaft.

Gerhard Czermak hat das Rechtsgutachten für die »Initiative Pro Berliner Neutralitätsgesetz« verfasst und behandelt darin die zentralen Urteile des BVerfG, insbesondere das von 2015, auf das sich der Leitantrag der Berliner Grünen bezieht. Der Jurist mit Schwerpunkt Staatskirchenrecht kommt zu dem Schluss, dass das Berliner Neutralitätsgesetz nicht verfassungswidrig sei, da eine – im Fall sich widersprechender Senatsurteile des BVerfG erforderliche – Plenarentscheidung bislang aussteht. Das Urteil von 2015 sei ­daher für die Berliner Senatsverwaltung nicht bindend, das Neutralitätsgesetz weiterhin geltendes Recht.

Schon vor dem Beschluss der Grünen waren Unmutsäußerungen wegen der möglichen Abschaffung des Gesetzes zu vernehmen – gerade angesichts islamistischer Einflüsse im Schulalltag. Im ­April hatte der Berliner Grundschulverband in einem Appell den Berliner Senat davor gewarnt, das Neutralitätsgesetz zu ändern oder abzuschaffen und so das Ziel einer »weltoffenen, weltanschaulich und religiös neutralen, integrativen Schule« zu gefährden. Der Verband zeigte sich alarmiert von Problemberichten über religiös motivierte Konflikte an Schulen und vom Druck konservativer Moscheegemeinden auf Eltern und Mädchen, das Kopftuch zu tragen, sowie auf Schüler, religiöse Gebote einzuhalten. Er forderte deshalb, insbesondere integrierte und emanzipierte Lehrerinnen mit Migrationshintergrund zu fördern, da sie in ihrer Vorbildfunktion vor allem Schülerinnen dabei helfen könnten, sich von der »reaktionären Einflussnahme« durch »fundamentalistische Kräfte« zu emanzipieren.

Der Kampf um das Neutralitätsgesetz beschäftigt nicht nur die Grundschulen. Mitte Januar forderte die Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen mit Verweis auf die negative Religionsfreiheit und die jugendliche Beeinflussbarkeit, die Gültigkeit des Neutralitätsgesetzes auf die Berufsschulen auszuweiten. Diese sind bislang davon ausgenommen.