Im syrischen Deir al-Zor kamen bei einem Gegenangriff von US-Truppen russische Söldner ums Leben

Wagner in Deir al-Zor

Verbündete des syrischen Regimes haben die von den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und der US-Armee ­kontrollierte syrische Provinz Deir al-Zor attakiert. Bei einem Gegen­angriff der US-Streitkräfte kamen zahlreiche russische Söldner ums Leben.

So kompliziert das Verhältnis zwischen Russland und den USA derzeit auch sein mag: Schweres Geschütz kommt nicht zum Einsatz. Zumindest war dies bis zu einem Vorfall im syrischen Kriegsgebiet so. In der Nacht vom 7. auf den 8. Februar kamen bei einem Luftangriff des US-Militärs nahe der ostsyrischen Stadt Deir al-Zor in der gleichnamigen Provinz zahlreiche Angehörige der privaten russischen Söldnertruppe »Wagner« ums Leben. Die genaue Anzahl ist unbekannt. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach mit Verweis auf mehrere Quellen von bis zu 100 Toten und 200 Verletzten.

Der ehemalige russische Parlamentsabgeordnete Wiktor Alksnis gab an, Befragungen unter Verwandten ließen vermuten, dass über 300 Söldner umgekommen sein könnten.

Es dauerte Tage, bis sich die russische Führung zu einem öffentlichen Eingeständnis durchringen konnte, dass möglicherweise fünf russische Staatsbürger bei dem Angriff getötet worden seien. Später sprach das Außenminis­terium von mehreren Dutzend Opfern; offen blieb, wie viele getötet und wie viele verletzt wurden.

Was sich in jener Nacht genau abgespielt hat und vor allem warum, lässt sich nur anhand karger Mitteilungen und Indizien rekonstruieren. Im Pentagon hieß es, US-amerikanische Truppen hätten einen Angriff von 300 bis 500 »Pro-Regime-Kräften«, die den als Demarkationslinie dienenden Euphrat überquerten, auf das örtliche Hauptquartier der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) abgewehrt, die sich weitgehend auf die syrisch-kurdische Miliz YPG stützen. Dort hätten sich zu dem Zeitpunkt auch US-Militärberater aufgehalten. Davon ausgehend äußerte die russische Zeitung Nowaja Gaseta die Vermutung, die Wagner-Söldner hätten möglicherweise jene Berater treffen sollen, um die USA perspektivisch zu einem Abzug ihrer Truppen aus Syrien zu bewegen. Russland, so das Pentagon, habe versichert, von einer Beteiligung russischer Staatsan­gehöriger an etwaigen Operationen bei Deir al-Zor keine Kenntnis zu besitzen. Tatsächlich gibt es seit geraumer Zeit ­einen intensiven Austausch zwischen beiden Seiten, um militärische Zusammenstöße zu vermeiden.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte den desaströsen Zwischenfall damit, dass aufständische Einheiten ihr Vorgehen nicht mit dem russischen Kommandostützpunkt in Syrien abgestimmt hätten. Der Tageszeitung Kommersant zufolge habe die russische Militärführung den Versuch von auf der Seite des syrischen Diktators Bashar al-Assad stehenden Einheiten missbilligt, die Kontrolle über die an Öl- und Erdgasvorkommen reiche Region zu übernehmen. Erst im vorigen September hatten kurdische Milizen die Jihadisten des »Islamischen Staats« von dort verdrängt. In diesem Gebiet befindet sich eine Erdölraffinerie des Konzerns Conoco-Phillips. Offenbar fanden an Ort und Stelle bereits im Herbst Gespräche zwischen kur­dischen Milizen und nicht näher benannten russischen Vertretern statt, bei denen es um eine mögliche Übernahme ging.

Womöglich hatten sich die kurdischen Milizen von Russland Unterstützung gegen das aggressive Vorgehen der Türkei erhofft. Dann wären sie jedenfalls enttäuscht worden. Zu einem als Friedensdialog angekündigten Kongress im Januar im russischen Sotschi reiste die kurdische Delegation gar nicht erst an. Daraus folgerte die Nowaja Gaseta, die russische Seite könnte am 7. Februar versucht haben, sich die Raffinerie mit Gewalt anzueignen. Nicht mit Hilfe regulärer Militäreinheiten, versteht sich, denn in Syrien sind offiziell keine russischen Bodentruppen präsent, sondern lediglich die Luftwaffe. Deshalb könnte den Wagner-Söldnern eine Schlüsselfunktion zukommen; Auslandseinsätze russischer Söldner werden durch das Gesetz zwar nicht gedeckt, de facto aber auch nicht geahndet.

Diese Hypothese stützt sich auf Überlegungen, in deren Zentrum Jewgenij Prigoschin steht. Als Unterhändler der russischen Regierung für besonders heikle Aufgaben ist er in den USA längst auf der schwarzen Liste gelandet. Er gilt als Drahtzieher der »Trollfabrik« in St. Petersburg, die vor den US-Präsidentschaftswahlen gegen Donald Trumps Konkurrentin Hillary Clinton Stimmung gemacht hat. Zu Prigoschins lukrativen Einkommensquellen gehören auch Aufträge des russischen Verteidigungsministeriums.

Das rus­sische Internetportal Fontanka.ru deckte nach intensiven Recherchen bereits im Juni 2017 auf, dass hinsichtlich der technischen Abwicklung von Wagner-Einsätzen alle Fäden bei der Firma Evro Polis zusammenlaufen, die von Prigoschin kontrolliert wird – eine Art Outsourcing. In Syrien sollten die Wagner-Söldner demnach dafür sorgen, das Öl- und Gasvorkommen wieder unter ­Assads Kontrolle gelangen, wofür Prigoschin mit einer Gewinnbeteiligung von 25 Prozent an den Rohstoffverkäufen belohnt worden wäre.

Der Washington Post zufolge haben US-amerikanische Geheimdienste ­Prigoschins Kommunikation abgehört; aus einem Report gehe hervor, dass dieser wenige Tage vor der missglückten Operation einem hochrangigen ­syrischen Staatsvertreter berichtet habe, ein nicht genannter russischer Minister habe grünes Licht erteilt für eine »schnelle und starke« Initiative Anfang Februar. Er erwarte die Zustimmung der syrischen Regierung, die ihm wiederum ein Honorar versprochen habe. Darauf muss Prigoschin nun wohl verzichten.