Die kurdischen »Volksverteidigungseinheiten« konnten das syrische Afrin nicht verteidigen

Halbmond über Afrin

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Doch am 12. Mai sind im Irak Wahlen. Danach dürfte die Regierungsbildung schwierig werden. Es gilt als unwahrscheinlich, dass einer türkischen Operation zugestimmt wird, während die Regierungsbildung läuft. Die Wahl ist ohnehin heikel. Die größte Wahlvereinigung der Sunniten im Irak, die Koalition Muttahidun (Vereint für Reform), hat bereits die Verschiebung gefordert, vom Krieg versprengte Wähler sollten erst in ihre Wohnorte zurückkehren. Der Muttahidun gehört auch die eng mit der türkischen Regierung verwobene Irakische Turkmenenfront (ITF) an. Falls die Türkei bereits vor dem 12. Mai einmarschieren sollte, könnte dies die Wahl im Norden des Irak gefährden. Hinzu kommt, dass in der Türkei immer wieder Gebietsansprüche im ölreichen Nordirak angemeldet wurden.

Andererseits will Erdoğan, dass türkische Firmen am Wiederaufbau des Irak verdienen, und daher ist es unwahrscheinlich, dass man die irakische Regierung zu sehr gegen sich aufbringen wird. Damit ist eine Verschiebung des Einsatzes im Irak wahrscheinlich, was den Vorteil hat, dass man die türkische Öffentlichkeit länger im Kriegsmodus halten und zugleich die Frage nach dem Umgang mit Manbij und den zwei verbliebenen kurdischen Kantonen in Syrien aufschieben kann.

Unter dem Strich hat Erdoğan viel gewonnen. Ohne Putins Einverständnis hätte er nicht einmarschieren können, doch nun ist eine starke Präsenz der Türkei in Syrien ein Faktum, das sich nicht mehr so leicht rückgängig machen lässt und die Verluste der türkischen Armee sind überschaubar. Den Haushalt wird der teure Feldzug zwar belasten, aber wenn nicht zu viele weitere Abenteuer folgen, kann die Türkei das verkraften.

Kurdische Organisationen stehen einmal mehr als Verlierer da. Dass sich die YPG mit ihrem Öcalan-Kult unübersehbar als PKK-nah geoutet haben, war sicher nicht besonders klug. Aber im Zweifelsfall finden die Staaten der Region noch immer einen Vorwand, um kurdische Autonomiebestrebungen mit Gewalt zu unterdrücken. Der Bürgermeister der ostanatolischen Stadt Bitlis, Ömer Halisdemir, sitzt seit anderthalb Jahren in Untersuchungshaft, weil er einen getöteten PPK-Angehörigen mit dem städtischen Leichenwagen zum Friedhof bringen ließ. Entgegen aller Logik behauptet der türkische Generalstab, in Afrin auch den »Islamischen Staat« zu bekämpfen. Am Ende haben die YPG wenigstens eines richtig gemacht. Sie haben die Bevölkerung fliehen lassen und auch selbst auf einen aussichtslosen Häuserkampf in Afrin verzichtet.

Erdoğan hat mehrfach erklärt, er wolle Afrin seinen »wahren Herren« zurückgeben. Falls seine Hilfstruppen damit gemeint sein sollten, so nahmen die das wörtlich und begannen mit Plünderungen. Erdoğans Sprecher İbrahim Kalın stritt nicht ab, dass es zu Plünderungen kam, sagte aber, bereits annähernd 100 Kämpfer der FSA seien deswegen festgenommen worden. Kurden sehen hinter Erdoğans Worten die Ankündigung ethnischer Säuberungen. Die Türkei hat eine lange Tradition in der Umsiedlung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Auch hat Erdoğan während der Offensive mehrfach angekündigt, syrische Flüchtlinge aus der Türkei könnten nach der Aktion zurückkehren. Bisher war Afrin allerdings ein Gebiet, aus dem kaum jemand fliehen musste. Damit wird die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge, eventuell unter Verwendung von Geld der EU, faktisch eine Umsiedlungsaktion.

Nach Angaben aus verschiedenen Quellen haben kurz vor der Einnahme Afrins mindestens 150 000 Menschen die Stadt verlassen. Was aus ihnen wird, ist unklar. Nach Angaben des Vorsitzenden des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC), Peter Maurer, verwehrt die Türkei der Hilfsorganisation den Zugang zu Afrin. Ein Verhalten, das nicht gerade dazu angetan ist, den Verdacht ethnischer Säuberungen zu entkräften.