Zollbarrieren gefährden die kapitalistische Wertschöpfung

Die große Bereinigung

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Bereit zum »blutigen Kampf«

Der chinesische Präsident Xi Jinping formulierte auf dem Volkskongress in markigen Worten den neuen imperialen Machtanspruch Chinas. Die Welt brauche die chinesische Weisheit »zur Verbesserung der globalen Ordnung«. China werde »den blutigen Kampf ­gegen unsere Feinde« aufnehmen, um seinen »rechtmäßigen Platz in der Welt einzunehmen«, und strebe die »Wiedervereinigung des Vaterlandes« mit Taiwan an, dem die USA Autonomie garantieren. Das chinesische Parteiblatt Global Times rief die Landsleute auf, sich auf einen Handelskrieg vorzubereiten, »strategisch und mental«, denn »Appeasement ist keine Option«. China droht den USA mit Vergeltung und erinnert beiläufig daran, dass es Hauptabnehmer vieler US-amerikanischer Produkte ist: Sojabohnen, Baumwolle, Flugzeuge, Autos.

China hat hohe Wachstumsraten und expandiert planvoll. Das Projekt »Neue Seidenstraße« bindet inzwischen 68 Staaten bis Nordafrika und Osteuropa über Infrastruktur-, Kredit- und Militärprogramme an China. China bringt Kapital zu den Menschen, errichtet überall Konfuzius-Institute, vergibt Stipendien, holt junge Menschen aus aller Welt zum Studium nach Peking, während die EU sich einmauert. Das Projekt »Made in China 2025« regelt den Einstieg in moderne Industrien (von der Informationstechnik bis zum Hochgeschwindigkeitszug, von der Elektromobilität bis zur Agrartechnik). China plant den Sprung von der »Billigproduktion« zur »Qualitätsproduktion« und strebt den Status der führenden »Industriesupermacht« an.

Der Plan des russischen Präsidenten Wladimir Putin, gemeinsam mit China eine eurasische Großmacht gegen den Westen hochzuziehen, scheint China nicht mehr zu interessieren. China hat zwar – wie Deutschland – ein Interesse an russischen Rohstoffen, aber für eine innovative Partnerschaft taugt Russlands Ökonomie, die Putins Oligarchen- und Bandenkapitalismus in die Pleite reitet, nicht. Chinas Bruttoinlandsprodukt ist inzwischen achtmal so groß wie das russische. Der Einfluss Russlands basiert allein darauf, dass seine Führung sich zur Lösung internationaler Konflikte einladen lässt, die sie pausenlos selbst auslöst. Warum sollte China seine Expansion durch nutzlose Abenteuer gefährden?

 

 

Während der Kapitalismus die Fesseln der Nationalstaaten sprengt, fällt das Bewusstsein in die Kleinstaaterei, in ethnische, rassistische und faschistische Bindungen und Wahnvorstellungen zurück.

 

 

Heuchelei und Besonnenheit

Das Problem für Deutschland sei, dass seine Säulen, »die amerikanische ­Sicherheitsgarantie und der freie Welthandel durch Trump in Frage gestellt werden« (Josef Fischer). Die innere Zersetzung kommt hinzu. Die EU ist keine Nation, sondern ein Konglomerat konkurrierender Staaten, das durch Austritte, Staaten- und Regionalbünde sowie Stimmengewinne der Rechts­populisten und Faschisten in seiner Existenz bedroht ist. Die Wahl von Marine Le Pen hätte die EU bereits im Zentrum erschüttert. Polen fürchtet sich vor Russland, aber in Italien begrüßen ­beide Wahlsieger, der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini (»Lang lebe Trump, lang lebe Putin, lang lebe Le Pen«) und Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung), Putins Angriffe auf die EU. Die EU ist nicht satisfaktionsfähig. Als sie mit Zöllen auf Whiskey und Harleys drohte, erwähnte Trump, er werde dann Autos mit 25 Prozent belasten – und schon beschwor die EU ihre eigene Besonnenheit.

 

China, Rad

Bätschi. China plant im Gegenzug Zölle auf US-Produkte wie Früchte und Wein im Wert von drei Milliarden Dollar.

Bild:
picture alliance / Stephen Shaver

 

Jeder Handelskrieg bedroht die deutsche Wirtschaft, die zu 40 Prozent am Export hängt – die der USA nur zu acht Prozent. Auch Zölle gegen China wären wegen der drohenden Umlenkung der chinesischen Exporte nach Europa eine Belastung. Zölle auf ­Autos würden ganz Europa erschüttern, weil jedes Land an grenzübergreifenden Fertigungsketten hängt. Die USA sind für deutsche Autokonzerne nicht so wichtig wie Europa und Asien (VW verkauft im Jahr in Asien 4,5 Millionen Fahrzeuge, in Europa 4,3 und in den USA 0,6). Autozölle würden am meisten die Slowakei, Zölle auf Stahl, Eisen und Aluminium besonders Rumänien, ­Slowenien und Tschechien treffen. Dieter Kemp, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), empfiehlt deshalb Besonnenheit und Verhandlungen mit den Gouverneuren der US-Bundesstaaten. Sie seien ­»bessere Adressaten.« Ein kleiner Versuch, die USA zu zersetzen!

Der EU fehlen Macht und Einigkeit. Noch weniger ist die Moral auf ihrer Seite. Ihre Zollpolitik ist aggressiver als die US-amerikanische. Die EU erhebt 56 Strafzölle auf Importe aus China, ihre Zölle auf PKW-Importe sind viermal so hoch wie die der USA. Sie erhebt für Stahlerzeugnisse aus China, Russland und Indien bis zu 48 Prozent Strafzoll. Solarpanels aus China verteuert sie um 65 Prozent, Fahrräder aus Asien und Nordafrika um 48 Prozent. Um Afrika am Aufbau einer eigenen Produktion zu hindern, bezieht die EU nur ungeröstete Kaffeebohnen zollfrei, geröstete werden durch Zölle verteuert, damit die Veredelung in der EU stattfindet. Dasselbe gilt für Kakao, Baumwolle, Erze und Metallprodukte.

 

Vorboten der großen Bereinigung?

Jede aufstrebende Industrienation braucht Zölle zum Schutz der heimischen Produktion und für die Entstehung eines Binnenmarktes. Auch reiche Nationen sehen zu, dass sie inländisches Kapital durch Zölle, Normen, Qualitätsstandards und Investitionsblockaden bevorzugen. Aber Trumps Zollbarrieren, seine Freund-Feind-Definition, die Demontage multilateraler ­Regeln und die sprunghaften Bestrafungen setzen eine Protektionswettlauf in Gang, gefährden die Wertschöpfungsketten und fördern die Renationalisierung der Welt. Paul Welfens vom Europäischen Institut für internationale Wirtschaftsbeziehungen befürchtet einen Rückfall in die Zeit des »späten 19. Jahrhunderts, als aggressive Rivalität der Großmächte die internationalen Wirtschaftsbeziehungen prägte«.
 Vielleicht ist der Handelskrieg der Vorbote einer größeren Bereinigung – wie damals zwischen den Weltkriegen –, die im Kapitalismus dann passiert, wenn als folge der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals der über alle Maßen hinausgewachsene Kapitalberg durch Entwertung und Vernichtungabgetragen wird. Nach der Beseitigung der überschüssigen Geld- und Kreditmenge und der Zerschlagung der unproduktiven Kapitalmasse könnte ein neues »Wirtschaftswunder« beginnen, wie nach 1945.

Ein Ausweg aus dem wiederkehrenden Dilemma deutet sich nicht an. Im Gegenteil. Während der Kapitalismus die Fesseln der ­Nationalstaaten sprengt, fällt das Bewusstsein in die Kleinstaaterei, in ethnische, rassistische und faschistische Bindungen und Wahnvorstellungen zurück.

In Italien gewinnt die Lega, die zur Rassentrennung in Bus und Bahn ­zurückwill. Apartheid im aufgeklärten Europa. Das durch das Sein beschädigte Bewusstsein schlägt zurück. Diesmal gehört der Kapitalismus selbst zu den Opfern des miserablen Bewusstseins, das seine Entfremdung und Verdinglichung anrichtet. Die Weltpolitik erinnert heute eher an das Attentat von Sarajewo als an Digitalisierung und Glo­balisierung.