Die Grünen wollen sich ein neues Grundsatzprogramm geben

Irgendwas mit Menschen

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Was folgte, war die jahrzehntelange gesellschaftsprägende Verbreitung »grüner« Themen in den Bereichen Bildung, Ökologie, Energiewirtschaft, Verbraucher- und Datenschutz, Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Die Partei selbst allerdings konnte davon nicht immer profitieren und flog mit der Wahl 1990 kurzzeitig sogar aus dem Bundestag. Der Mensch als Wähler ist halt unzuverlässig. Dennoch gab es zur Wiedergeburt als Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 1993 ein neues politisches Grundsatzpapier, in dem es abermals tapfer menschelte: »Unser Handeln wird bestimmt von einer politischen Ethik, die von der Verantwortung für den Menschen als Individuum, für die Gemeinschaft der Menschen und das Leben im umfassenden Sinn ausgeht.«

Was daraus – nur fünf Jahre später – bei der bislang einzigen Regierungs­beteiligung auf Bundesebene von 1998 bis 2005 wurde, ist bekannt: der erste Kampfeinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg, der stufenweise Abbau der altgedienten sozialen Sicherungssysteme und die Privatisierung von Staatsbetrieben. Und mittendrin in diesem – nüchtern betrachtet – nicht allzu menschen-, jedoch überaus kapitalfreundlichen Umbau der Repu­blik erfolgte auch die Verabschiedung eines neuen und bis auf Weiteres gül­tigen Grundsatzprogramms, aus dessen Präambel es unter Missachtung der Auswirkungen des eigenen Regierungshandelns tönt: »Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und seiner Freiheit. Die Un­antastbarkeit der menschlichen Würde ist unser Ausgangspunkt. Sie ist der Kern unserer Vision von Selbstbestimmung und Parteinahme für die Schwächsten.«

Nun kann man eine Kritik der Grünen unter Verweis auf das Kabinett Schröder/Fischer inzwischen durchaus wohlfeil finden. Auch gibt es in den verschiedenen Landesverbänden der Partei weiterhin engagierte Mitglieder, die insbesondere in Ostdeutschland gute Antifa-Politik betreiben und sinnvolle politische Bildungsprojekte fördern.

Allerdings wirkt die Ära Fischer in den Grünen weiter. Das bemerkt, wer sich nicht allzu sehr von den Überschriften ablenken lässt, die sich die Grünen für die Einladung zum »Startkonvent« ausgedacht haben. Unter ­jeder von ihnen findet sich nämlich ein recht unterhaltsam zwischen Sekundarstufenklausur und anthroposophischer Besinnlichkeit oszillierender Fragenkanon. Unter »Der Mensch als Kapital oder das Kapital für die Menschen« werden etwa »neue Fragen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik« ­versammelt, die einen Hauch Selbstkritik aufblitzen lassen: »Ist unser mehrdimensionaler grüner Gerechtigkeitsbegriff noch zeitgemäß?« Ja, da­rüber könnten die Grünen nachdenken. Allerdings würde eine andere Frage eher an den Kern des Problems ­heranführen: War »unser mehrdimensionaler Gerechtigkeitsbegriff« nicht eine brillante Hohlfloskel, die die Grünen gebetsmühlenartig aufsagten, während sie Lohnabhängige und Erwerbslose kräftig übers Ohr hauten?

Aber gut, vielleicht kommen solche Erkenntnisse ja noch. Schließlich steht die Partei erst am Anfang jenes zweijährigen Prozesses, der das neue Grundsatzprogramm hervorbringen soll. Was dabei am Ende herauskommen wird? Prognose: irgendwas mit Menschen.