In Frankreich wird über die Aufweichung des Laizismus diskutiert

Im La-La-Laizismus-Land

Der französische Präsident Emmanuel Macron will eine Annäherung von katholischer Kirche und Staat.

Die Rede Präsident Emmanuel Macrons blieb nicht unbeachtet. In dieser Frage mit seinem Vorvorgänger Nicolas Sarkozy weitgehend einig, plädierte er jüngst für eine stärke Bindung der französischen Politik an die katholische Kirche. Er kündigte dies in einer Rede vor 400 geladenen Gästen der französischen Bischofskonferenz am Abend des 9. April an. In einem Land, das die Trennung von Kirchen und Staat mit einem Gesetz aus dem Jahr 1905 festschrieb, nachdem die katholische Kirche über Jahrhunderte politische Macht aus­geübt hatte, kommt diese Initiative des Präsidenten einem Tabubruch gleich.

Macron, der stets um das Image des visonären Machers bemüht ist, und die Kirche – wie passt das zusammen? Seit seinem Ausspruch Anfang 2017, das präsidiale Amt müsse jupitérien – »jupitergleich« – ausgeübt werden, wurde er scherzhaft mit dem römischen Gott verglichen. Selbstverständlich war die damalige Aussage Macrons nicht religiös oder mythologisch gemeint, sondern bedeutete eine Absage an das Amtsverständnis seines Vorgängers François Hollande, der eine présidence normale anstrebte und damit scheiterte. Nach fünf Jahren, in denen Hollande von den bürgerlichen Medien bevorzugt als entscheidungsschwacher Versager porträtiert wurde, will sein früherer Berater, späterer Konkurrent und nunmehriger Nachfolger einen völlig anderen Regierungsstil. »Vertikal«, also von oben regierend, habe eine Präsidentschaft zu sein, verkündete er.

Taktisch motiviert könnte auch die Annäherung Macrons an den katholischen Klerus sein. Über seine eigenen religiösen Überzeugungen ist wenig bekannt. Nicolas Sarkozy, der sich in einem Ende 2004 bei dem katholischen Verlag Editions du Cerf erschienenen Buch gegen eine strikte Einhaltung des Laizismus aussprach und diese Aussage Ende 2007 im Vatikan sowie Anfang 2008 in Saudi-Arabien wiederholte, bezeichnete sich als gläubigen, wenn auch nicht strenggläubigen Katholiken. Die Republik könne anders als »die Re­ligionen« jedoch keine dauerhaften, verbindlichen Werte stiften, argumentierte Sarkozy. Ob Macron sich als gläubig versteht, ist nicht bekannt.

Sicherlich hatte auch Sarkozy vor allem politische Fragen im Blick, als er die Religion zum gesellschaftlichen Ordnungsfaktor erklärte. Vor diesem Hintergrund verkündete er etwa bei seinem Staatsbesuch in der wahhabitischen Monarchie Saudi-Arabien 2008, ein Lehrer besäße niemals dieselbe moralische Autorität wie ein Priester, da nur Letzterer aufgrund des Zölibats etwas opfere.

Was sagt Emmanuel Macron nun aber konkret? Seine vielbeachteten Kernsätze waren an den Erzbischof von Marseille und Vorsitzenden der Bischofskonferenz Georges Pontier gerichtet: »Um uns heute Abend hier zu treffen, Monseigneur, haben Sie und ich die Skeptiker auf beiden Seiten hinter uns gelassen. Und wenn wir es taten, dann deswegen, weil wir auf unbestimmte Weise das Gefühl teilen, dass die Bindung zwischen dem Staat und der Kirche beschädigt ist und dass es uns – Ihnen und mir – darum geht, sie zu reparieren.« Er fügte hinzu, dass »eine Kirche, die behauptet, sich nicht für die weltlichen Belange zu interessieren, nicht bis ans Ende ihrer Berufung geht« – aber auch, dass »ein Präsident der Republik, welcher behauptet, sich nicht für die Kirche und für die Katholiken zu interessieren, seine Pflichten verfehlt«.

Lediglich an einer Stellte wurde er persönlich. »Aus gleichermaßen bioraphischen, persönlichen und intellektuellen Gründen« habe er »eine höhere Idee von den Katholiken«, so dass er »eine Erosion des Vertrauens zwischen den Katholiken und der Politik, den Politikern« nicht hinnehmen wolle.

Marine Le Pen bezeichnete Macrons Angebot an die katholische Kirche sinngemäß als ein Linsengericht, mit dem die Katholiken abgespeist werden sollten, um sie »gütig zu stimmen«.

Im Rest seiner Rede nahm er noch zu konkreteren politischen Fragen Stellung. Zu den seit einigen Jahren schwelenden Konflikten bei der Familienpolitik, insbesondere vor dem Hintergrund der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare – diese jährt sich im kommenden Monat zum fünften Mal –, äußerte der Präsident sich ausweichend: Die Botschaft der Kirche stoße mitunter auf »eine komplexe und widerspruchsreiche Realität«, und auch die Katholiken selbst seien durch Widersprüche bei manchen ethischen Fragen herausgefordert. Offensiver antwortete er auf das Plädoyer von Erzbischof Pontier, die Politik müsse sich um »die Ärmeren« kümmern, was sich auch auf den Umgang mit Migranten ­bezog. Hier verteidigte Macron indirekt seine durch Abschreckung geprägte Migrationspolitik, die vorsieht, abgelehnten Asylbewerbern in vielen Fällen das Recht auf Berufung zu versagen.

Sein Vorhaben, eine große Ansprache zum Umgang mit dem Islam zu halten – dabei soll es unter anderem darum gehen, den Einfluss des Auslands auf muslimische Organi­sationen in Frankreich zu unterbinden –, hat er indessen auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Rede war zum Jahreswechsel als Grundsatzrede angekündigt worden. Präsident Macron wurde jedoch auch aus den Reihen seiner Berater und Par­teifreunde signalisiert, es handele sich um ein ziemlich heißes Eisen. Auch der islamistische Anschlag am 23. März im südwestfranzösischen Trèbes dürfte für die Verschiebung der Rede mitverantwortlich sein. Deswegen scheint Macron sich zunächst auf das Verhältnis zu den Katholiken konzentriert zu haben, obwohl er ursprünglich vorhatte, sich grundlegender zum Verhältnis zwischen Republik und allen – monotheistischen – Religionsgruppen zu äußern.

 

An Kritik, insbesondere ­wegen des Vorwurfs, er greife die französische Tradition des Laizismus an, mangelte es in den darauffolgenden Tagen nicht. Auch ein politischer Wegbegleiter wie der frühere rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls – er ist inzwischen Mitglied von Macrons Partei La République en marche (LREM) – zeigte sich wenig angetan von Macrons Initiative. Valls gilt als Vertreter eines eher »autoritären Laizismus«, der das Gebot der Trennung von Staat und Religion sehr weit fasst; er fordert beispielsweise vom Staat die Durchsetzung des Kopftuchverbots in vielen Bereichen, so auch bei Erzieherinnen, die in ihrer Wohnung Kleinkinder betreuen.

Macrons Auftritt kommentierte Valls mit den Worten: »Ich beanstande nicht, dass er vor den Bischöfen spricht. Ich leugne auch nicht die historische Bindung zwischen dem Christentum und Frankreich. Aber es gibt Themen, bei denen ich den Präsidenten nicht verstanden habe. Etwa, wenn er von der beschädigten Bindung zwischen Kirche und Staat spricht. Es gibt keine Bindung. Sie ist durchtrennt.«

Auch in weiten Teilen der Linken, die sich ebenfalls zum Laizismus bekennen, sich zugleich aber von Valls’ eher etatistischer Konzeption desselben scharf abgrenzen, rief Macrons Vorstoß Skepsis und Empörung hervor. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon kritisierte noch am Abend der Präsidentenrede: »Die Bindung zwischen Kirche und Staat hat es nicht zu geben. Macron geht zu weit. Das ist unverantwortlich! Macron mitten im metaphysischen ­Delirium. Unerträglich. Man erwartete einen Präsidenten, man bekam die Miniaturausgabe eines Priesters.« Einige Tage später warf Mélenchon Macron in einem Video vor, er laufe Gefahr, »Feuer an die Republik zu legen«, indem er das Zusammenleben durch seine Parteinahme gefährde.

Von der konservativen bis zur ex­tremen Rechten erhielt Macron dagegen viel Zustimmung; allerdings ging seine Initiative einigen nicht weit genug. Marine Le Pen bezeichnete Macrons Angebot an die katholische Kirche sinngemäß als ein Linsengericht, mit dem die Katholiken abgespeist werden sollten, um sie »gütig zu stimmen«. Dadurch wolle Macron sie in sein politisches Vorhaben einer Revision des Gesetzes von 1905 einbinden – dessen Nutznießer jedoch nicht sie seien, sondern die Muslime. Prinzipiell habe die französische Nation natürlich »christliche Wurzeln«.

Einen politischen Konsens kann Macron mit seiner Aussöhnung mit den Katholiken nicht erzielen. Vielleicht gelingt es dem Präsidenten, der als wirtschaftsliberaler, materialistischer Technokrat gilt, seinem Image eine neue Facette hinzuzu­fügen.