Immer mehr Bundesländer arbeiten an immer repressiveren Polizeigesetzen

In die Gefahrenzone vordringen

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Der Gefährderbegriff, für den es keine Rechtsdefinition gibt, umfasst dem Verfassungsrechtler Kyrill Schwarz zufolge gerade Personen, die »noch nicht den Bereich der Strafbarkeit eines Verhaltens (auch im Vorbereitungs- oder Versuchsstadium) erreicht haben, die aber gleichwohl eine nicht unerhebliche Gefahr aufgrund ihres ›kriminellen Potentials‹ darstellen«. Das »kriminelle Potential« wiederum prognostizieren die polizeilichen Ermittler.

Zur Erleichterung dieser Prognosen greifen die Polizeibehörden einerseits auf bereits bestehende umfangreiche Datenbestände zurück. So wurden dem Münchner Anwalt Marco Noli zufolge in Bayern jahrelang »diskriminierende Merkmale ­gespeichert, zum Beispiel ›ANST‹ für ansteckend oder ›LAND‹ für Landfahrer inklusive des ›verantwort­lichen Sippenführers‹«, und Arbeitsdateien angelegt, die »Auskunft über die Persönlichkeitsstruktur von Bürgern ­geben, um hieraus entsprechende sogenannte Personagramme anfertigen zu können«.

Überdies werden Möglichkeiten zur Ausspähung erweitert. Darauf zielen die neuen Vorschläge zur Einführung einer section control, also der statio­nären Erfassung des Straßenverkehrs, und zur Videoüberwachung städtischer Räume einschließlich automatisierter Gesichtserkennung. Die so gewonnen Daten bilden die Grundlage für die prognostizierte Gefährlichkeit bei abweichendem Verhalten. Zudem sollen die Möglichkeiten der Überwachung des elektronischen Datenverkehrs weiter ausgebaut werden. Dabei geht es nicht nur um die technischen Fähigkeiten, sondern auch darum, die rechtlichen Beschränkungen zu lockern.

Um eine größere Menge persönlicher Daten auch jenseits strafrechtlicher Ermittlungen abschöpfen zu können, muss die Eingriffsschwelle gesenkt werden. Bereits im Sommer 2017 trat in Bayern das »Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen« in Kraft, das die bisher geltende polizei­liche Eingriffsschwelle von einer »konkreten« auf eine »drohende Gefahr« durch eine zu erwartende Straftat absenkte. Dieser aufgeweichte polizei­liche Gefahrenbegriff, der ohne konkrete Hinweise auf eine bevorstehende Tat auskommt, soll in Bayern nunmehr nicht nur für den Einsatz von Über­wachungsmaßnahmen gelten. Auf seiner Grundlage soll es möglich werden, eine als »Gefährder« eingestufte Person auf richterliche Entscheidung hin bis zu drei Monate in Präventivhaft zu nehmen, mit der Möglichkeit wiederholter dreimonatige Verlängerungen, ohne dass eine absolute Obergrenze fest­gelegt wäre. Erstmals bestünde damit eine Vorschrift, so der Strafverteidiger Frank Nobis, nach der »Menschen, ohne eine Straftat begangen zu haben, aufgrund einer Prognoseentscheidung als potentielle Gefährder eingestuft und faktisch unbegrenzt und ohne ein strafrechtliches Urteil einer längeren freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden können«.

Dabei geht es bei weitem nicht mehr nur um islamistische »Gefährder«. Alle Entwürfe zielen mehr oder weniger explizit auch auf andere mögliche ­»Gefährdergruppen« ab. Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen nennt Hooligans, potentielle häusliche Gewalttäter und die grenzüberschreitende Kriminalität, also die berühmten »mobilen Einbrecherbanden«, deren Aktivität dem Bundeskriminalamt zufolge im vergangenen Jahr um rund 20 Prozent zurückgegangen ist – eine Tatsache, die bei keinem der Gesetzentwürfe ernsthaft eine Rolle gespielt haben dürfte. Es geht, wie Herbert Reul (CDU), der nordrhein-westfälische Justizminister, sagte, einzig darum, dass »wir bei ­Gefahren vor die Lage kommen«. Genau dort aber, vor der »Lage«, haben die Verfolgungsbehörden gar nichts verloren.