Eine Geschichte von Elfriede Jelinek wurde für den Comic »Der Fremde!« von Nicolas Mahler adaptiert

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Optisch erinnert der Fremde an Nosferatu aus der Murnau-Verfilmung von 1922, die klauenartigen Hände des Filmvampirs nennt auch der Vampir bei Mahler sein Eigen. Zumindest, wenn er in dieser Körperform auftritt: der Horror ergibt sich für die Stadtbewohner vor allem ­daraus, dass der Fremde einen wandelbaren Körper hat, jederzeit und überall auftauchen kann: »ein gesicht taucht hinter den scheiben auf. wem gehört es. drei verschiedene menschen haben drei verschiedene besitzer des gesichtes an drei verschiedenen orten aber zur gleichen zeit gesehen. das ist merkwürdig diese präzise beobachtungsgabe bei unsrem etwas zerstreuten landvolk.« Der Fremde ist also nicht auf den ersten Blick erkennbar, ist mal der Nosferatu-Vampir, mal »sportlich und sehr männlich« und mal »ein sehr hübsches mädel«. Nicht auf den ersten Blick als »der Fremde« ­iden­tifizierbar zu sein, macht den Besucher umso mehr zu einer ­Bedrohung der Kleinstadtgemeinschaft.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, den von Jelinek angerissenen Diskurs der engen Verflechtung des Vampirs mit dem antisemitischen Bild des ewigen Juden auszuführen. Angelegt ist diese Auseinandersetzung in den von Jelinek wie auch Mahler in der Comicversion aufgezeigten Projektionen, denen der Fremde durch die Kleinstadtbevölkerung ausgesetzt ist, aber durchaus. Erzählt wird von diesen Projektionen, die einen »Fremden« konstruieren, um ihn als ­bedrohliche Figur auszustoßen, auch über jenen eigentümlichen Humor, der wiederum Jelinek und Mahler verbindet: Kalauer, Wort- und Sprachspiele, die wörtliche Übertragung von Metaphern in Bilder: »in ihrer ­rauhen schale steckt ein weicher kern. der fremde der ihre rauhe schale schnell durchhat beschäftigt sich intensiv mit ihrem weichen kern. der saft rinnt ihm dabei in den hemdkragen so beeilt er sich.« Die künstlerischen Umsetzungen bei Jelinek und Mahler unterscheiden sich vor allem dadurch, dass bei Jelinek über die sprachlichen Bruchstücke aus Film und Fernsehen, Oberflächenbeschreibungen von Klischees des Horrorfilms, die sie in die Erzählung integriert hat, auch eine Medien­kritik formuliert wird, eine Kritik an der »Infantilgesellschaft«, wie es im Untertitel ihres Romans »Michael« von 1972 heißen wird. Mahler dagegen stellt zwar auch Klischeebilder des Horrors in seinem Comic aus, konzentriert sich jedoch auf die Erscheinung des Fremden und die Ängste der Kleinstadtbewohner.

»Was bleiben soll, ist immer fort. Es ist jedenfalls nicht da. Was bleibt einem also übrig«, hat Jelinek in ­ihrer Nobelpreisrede über die Sprache formuliert, »das Flüchtigste«, das sich immer wieder entzieht, der sie sich jedoch bedienen muss. Ihren Untoten ist dieses Flüchtige ebenfalls eingeschrieben, den »Kadavern der Sprache«, wie die Autorin die Wiedergänger in »Die Kinder der Toten« nennt. In diesem unsicheren Sprachraum bewegen sich Figuren wie jener Fremde, der Vampir aus dem ersten Prosatext Jelineks, der noch lange in ihrem Werk weiterwirken sollte. Nicht umsonst schließt Mahler seinen Comic mit den Sätzen: »verschiedene menschen atmen ­erleichtert auf. es ist als ob der fremde nie dagewesen wäre. das gegenteil ist in wahrheit der fall.«

 

Elfriede Jelinek/Nicolas Mahler: Der fremde! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs. Carlsen Comics, Hamburg 2018, 64 Seiten, 12 Euro.